Wie kann Rollenspiel verstanden werden?

Das Mosaik des Rollenspiels

„ Rollenspiel“ erklingt es, und die Augenbrauen heben sich interessiert. Die meisten Menschen kennen den Begriff aus der Filmindustrie oder seltener der Psychologie. Doch als Form der Freizeitunterhaltung verstehen ihn nur Wenige. Mit ihm erklingt der Ton des Exotischen und Fremden. Unausweichlich stellt sich die Frage, wobei es sich denn beim Rollenspiel handelt. Es wäre falsch, eine oder eine eindeutige Antwort darauf zu geben. Rollenspiel ist kein Konzept, wie ein Sport oder ein gewöhnliches Spiel. Es ist ein Oberbegriff für ein Mosaik aus Ideen, Erwartungen und Techniken. Es ist ein Bild, das zu jeder Tageszeit mit anderen Farben strahlt. Welches Motiv es genau zeigt? Das hängt von dem ab, der hinsieht. Lies also von einem ganz und gar außergewöhnlichen Hobby.

 

Wie funktioniert eine Spielrunde?

Stell dir vor, Menschen können einen einen halben Tag lang Spaß haben, und das einzige, das sie dazu benötigen, ist ein Würfel und ihre Fantasie. Was jetzt nach einem Flaschendreh-Spiel klingt, ist ein weitaus komplexeres, soziales Phänomen. Denn anstatt nach Peinlichkeiten und sexuellen Erfahrungen zu fragen, beginnt einer von ihnen, die Spielleitung oder der sogenannte  „Meister“ , eine Geschichte zu erzählen. Er lässt seiner Kreativität freien Lauf und beschreibt Landschaften, andere Personen, im Grunde die Filmszene, in der gleich gespielt wird. Alle anderen Personen, die Spieler und ihre gespielten Charaktere am Tisch haben nun eine wichtige Aufgabe: Sie müssen sich das Gesagte vorstellen, in diese Welt eintauchen und dann in der Rolle, die sie sich vor dem Spiel erdacht haben, mit dem Erzählten interagieren. Es entsteht eine gemeinsame Geschichte. Die Spielleitung beschreibt, die Spieler entscheiden. Aus einer einfachen Handlung, wie sich beim Bäcker ein Brötchen zu kaufen, kann eine unvorhergesehene Situation entstehen. Aus einer dunklen Ecke heraus beobachtet eine vermummte Gestalt die Charaktere. Beim Bäcker sind sie abgelenkt, zählen ihr Geld, geben ihre Bestellung auf und die Gestalt nähert sich ihnen. Welche Intention wird sie besitzen? Wie werden die Spieler auf sie reagieren? Alles ist möglich.
Die allmächtige Spielleitung mag jede denkbare und undenkbare Situation konstruieren können, doch die Spieler besitzen ähnlich viel Handlungspotenzial, um auf diese Situationen einzugehen. Zusammen entsteht ein gemeinsames Erlebnis. Für alles, dessen Ausgang noch nicht sicher ist, gibt es den Würfel. Er ist der Richter, das Schicksal, dem sich Spielleitung und Spieler unterordnen müssen. Wäre die vermummte Gestalt ein Dieb und würde die Charaktere bestehlen, so müssten die Spieler würfeln, ob sie den Diebstahl bemerken. Aus diesem einfachen Gedanken entstehen unterschiedlichste Systeme aus Werten und Regeln, die die Charaktere zu fassen und ihre besonderen Fähigkeiten in die Spielwelt zu übersetzen versuchen. Denn nahezu immer spielen die Spieler nicht sich selbst, sondern tauchen in die Rollen anderer Personen. Diese besitzen Eigenschaften, Erfahrungen und Möglichkeiten, die dem Spieler in der realen Welt nicht zur Verfügung stehen. Du kannst sein, wer immer du sein willst. Gehen wir noch ein Schritt weiter:  Stell dir vor, die Geschichte spielt nicht in unserer jetzigen Zeit, sondern im Mittelalter. Stell dir vor, die Geschichte spielt nicht nur im Mittelalter, sondern in der mittelalterlichen Welt deines Lieblingsromans. Solange du es dir vorstellen kannst, ist es möglich. Und das ist der große Zauber des Rollenspiels. Nicht deine Beinmuskulatur oder Kegelhand, sondern allein deine Kreativität und Leidenschaft machen die Dinge möglich und führen sie zum Erfolg.

 

Worauf kommt es im Rollenspiel an?

Heißt das nun, das Rollenspiel von für kreativen Geschichtenerzählern und angehenden Regisseuren gespielt werden kann? Mitnichten. Rollenspiel ist ein Mosaik. Es gibt nur drei Elemente, die immer vorkommen werden:  Es wird immer eine Geschichte erzählt, es kann immer zu Entscheidung durch Zufall, wie durch Würfel, kommen und es sitzen immer Menschen am Spieltisch. Die einzelnen Elemente können je nach Geschmack  ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Einige lieben den taktischen und überlegten Einsatz von Regeln, um eine Spielsituation zu meistern. Sie sehen Rollenspiel eher als Spiel statt als interaktive Geschichte. Ihr Rollenspielansatz ist genauso legitim, wie einer, der nahezu auf Regeln verzichtet, um eine großartige Geschichte zu erzählen. Doch das Spiel tritt in den Hintergrund, verneigt sich regelrecht vor der wichtigsten Komponente, ohne die Regeln, Fantasie oder Schauspieltalent unwichtig wären: der Spielgruppe.
Es ist das gemeinsame Lachen, Mitfiebern, die gegenseitige Inspiration und Hilfe, die Rollenspiel zu einem einzigartigen, sozialen Erlebniss erheben. Es ist dieses Erlebnis, das die Menschen, mehr als in jedem anderen Freizeitvergnügen, miteinander verbindet. Spieler aller Systeme unterhalten sich Monate oder gar Jahre nach dem Spiel immer noch über einzelne Situationen, Kämpfe oder Charaktere mit denselben Gefühlen von Spannung und Solidarität . Stell dir vor, das alles ist Rollenspiel. Wie sieht dein Bild aus?

 

2 Gedanken zu „Wie kann Rollenspiel verstanden werden?

  1. Lija

    Wie du weißt, mag ich deine Art zu schreiben, bin fasziniert davon und lausche gern deinen Worten. Du hast mir etwas näher gebracht, von dem ich zwar hörte, nie aber darauf stieß, da mich niemand umgibt, der mir Raum für ein Rollenspiel dieser Art geben könnte.
    Aus personellem Mangel bevorzuge ich eine verschriftliche Internetvariante, die der eigentlichen Form doch ähnlicher scheint, als ich erwartete.
    Ich hoffe, das dieser Beitrag und auch alle, die jenem folgen werden, viele weitere Menschen an dieses, von vielen belächelte, Hobby herranführen und mehr Verständnis dafür wecken.
    liebe Grüße
    Lija

    Antworten
  2. Der Narr

    Ich bin heute zufällig auf Deinen Blog gestoßen (per Link auf einen neueren Artikel) habe diesen auf der Hälfte abgebrochen und beschlossen, mir etwas mehr Zeit zu nehmen, um mir Deine gesammelten Werke vom ersten Eintrag an zu Gemüte zu führen. Jetzt, wo ich ihn gelesen habe, denke ich, dass dies eine gute Entscheidung war. Wenn die anderen Artikel diesen Level halten hast Du jedenfalls einen treuen Leser hinzu gewonnen.
    Was mit beim Überfliegen der Überschriften aufgefallen ist: Im Gegensatz zu anderen Seiten, die sich mehr mit Rezensionen beschäftigen (die ich ebenfalls sehr gerne lese), scheinst Du Dich deutlich mehr mit der Meta-Ebene und Rollenspieltheorie zu beschäftigen und füllst damit eine (zumindest von mir empfundene) Lücke.
    Um nun noch Deine abschließende Frage zu beantworten: Ich selber meistere sehr viel und bevorzuge einen Stil, der den Spielern Luft gibt, ihre Figuren auszuspielen (auch wenn das Abenteuer dadurch mal etwas langsamer vorankommt), angereichert mit einigen simulationistischen Elementen. Was ich nicht mag, ist ein komperativer Stil, bei dem die Spieler ständig die Werte ihrer Charaktere vergleichen und dem anderen nicht das Schwarze unter dem Fingernagel gönnen. Auch bei Gesellschaftsspielen mag ich eher die kooperativen Spielen. Der Spielspaß kommt durch das Gemeinschaftserlebnis und die besten Ideen entwickeln sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Ideen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.