Die Utopie einer Rollenspielkultur

Sechs Nerds sitzen an einen Tisch und alle Blicke wenden sich ab. Dieses Bild drückt das Interesse und die Anerkennung aus, die dem Rollenspiel entgegen gebracht wird. Es befindet sich seit einem halben Jahrhundert in einer Nische der Freizeitunterhaltung und ist noch weit davon entfernt, in der gesellschaftlichen Mitte anzukommen. Tatsächlich ist eher fraglich, ob es dort überhaupt ankommen kann. Die Medien sprechen hierbei eine eindeutige Sprache. Immer wieder kommen Journalisten auf Larp- oder Pen&Paper-Conventions und berichten, wie Feldforscher in einem exotischen Land, von dem wundersamen Orchideenhobby des Rollenspiels. Ihre Beiträge, in Form von Filmen oder Videos, sind stets humoristisch gehalten. Sie zeigen selbstironisch, wie wenig ernst sich das Hobby nimmt oder mit welcher Übertreibung es nur zur Geltung kommen kann. Aber es gibt auch einige andere Versuche, wie der Film „Wild Hunt“, Spielfilm, Kanada 2009, oder aus religiöser Motivation gezeichnete „Aufklärungscomics“ (http://www.chick.com/reading/tracts/0046/0046_01.asp), die sich tatsächlich einer ernsten Agenda verschreiben. In beiden Fällen wird Rollenspiel, als soziales Phänomen, zu einer verstörenden Gefahr. Gezeigt werden Menschen, die nicht mehr zwischen Realität und Fantasie unterscheiden können. Für sie gelten überhaupt keine Grenzen mehr, seien es moralische, soziale oder legale. Sie verwandeln sich in die entgrenzten Monster, in die Freaks, die nur in ihrer Traumwelt einen Selbstwert besitzen. Es ist dieses Bild, das oft in den Köpfen Außenstehender nachvollzogen wird. Denn Rollenspiel scheint für den Durchschnittsbürger immer noch etwas Fremdes, Verrücktes und Lächerliches zu sein. Das mag verschiedene Gründe haben, die sicherlich auch das Medium Computerspiel zu Beginn in ein ähnliches Licht gerückt haben. Allerdings waren Computerspiele wirtschaftlich erfolgreich, während ich zu Rollenspielen eher düstere Hiobsbotschaften finde, die von ihrer Chancenlosigkeit berichten. (https://www.wired.de/collection/life/das-schwarze-auge-sollte-sich-fur-seine-5-edition-ein-beispiel-deutschen-indie)

 

Sind Rollenspiele tot?

Das sicherlich nicht, denn sie werden immer noch gespielt und entstehen neu, auch wenn sie ihre goldene Zeit längst hinter sich haben. Es gibt eine feste Stammspielerschaft und auch eine lose Rollenspielgemeinschaft, die das Hobby am Leben erhalten. Aber der Zuwachs an Neueinsteigern ist relativ klein und bei vielen Stammspielern herrschen oft Elitismus und Überalterung vor.  Ich habe immer wieder erlebt, wie Anfänger, die sich in der zarten Phase der Erstberührung befanden, schnell mit Gruppen konfrontiert waren, die viele Regeln eingefordert oder mit ihrer Erfahrung, sowie dem Hintergrundwissen, die Neulinge überfordert haben. Ich denke, dass die Heranführung an Rollenspiele ein entscheidender Punkt dafür ist, ob eine Person Leidenschaft entwickeln kann und weitermachen will oder die Würfel im Regal belässt. Auf der anderen Seite habe ich bemerkt, dass es durch die Nennung in populären Medien (wie der Serie „Big Bang Theorie“ und den Youtubern „Rocketbeans“) zu einem spürbaren Schub von Neugierigen gekommen ist. Das Interesse scheint also vorhanden zu sein, die Aufmerksamkeit oder Werbung jedoch nicht.

 

Was kann Rollenspiele retten?

Damit stellt sich die Anschlussfrage, wie eben jener verlorene Glanz des Fantastischen und Neuen wiedererweckt werden kann, ohne dass Rollenspieler als Realitätsflüchtlinge und Freaks diffamiert werden. Ich bin der Meinung, das ist nur durch eine Bewegung in die Öffentlichkeit möglich. Anstatt weiter nur für sich zu spielen, bedarf es einer starken Vernetzung, einer gemeinsamen Rollenspielkultur, um gesellschaftliche Anerkennung zu erringen.
Da ich viele Parallelen zu Computerspielen sehe, will ich kurz auf sie näher eingehen. Bis zur Jahrtausendwende und einige Zeit noch danach gab es große Berührungsängste. Die ältere Generation konnte oft nichts mit Computern anfangen und sie sahen das Spielen daran als unnützen Zeitvertreib. Besonders die Jüngeren konnten sich aber für diese neue Form der Unterhaltung begeistern und zwar so sehr, dass sich dahinter eine Industrie aufbauen konnte. Heute sind zehntausende Arbeitsplätze mit Computerspielen verbunden und sie erhalten schon allein durch ihre sichtbare Präsenz in der Öffentlichkeit, genügend Aufmerksamkeit, um als gesellschaftlich anerkannt zu gelten. Doch es war, meiner Meinung nach, nicht nur der wirtschaftliche Erfolg, der sie in das Alltagsleben etabliert hat. Computerspiele haben einen Nerv getroffen und „Gamer“ als neue Jugendkultur erschaffen. Spätestens mit dem Aufkommen großflächig nutzbaren Internets schufen Vernetzung und Expertentum eine professionelle Liga von Computerspielern, die sogenannten „E-Sports“. Das Spiel wurde mit dem altbekannten Sportcharakter verbunden. Es gab Turniere, virtuelle Athleten, sowie Ruhm und Preisgelder. Was wäre, wenn sich dieses Erfolgsrezept auf Rollenspiele übertragen ließe? Ich will daher, ganz in der Tradition meines Hobbys, meiner Fantasie freien Lauf lassen und über eine Utopie erzählen, in der Rollenspiel anerkannt wird, anstatt belächelt zu werden.

 

Die Utopie des anerkannten Rollenspiels

Um die ersten Schritte in Richtung der gesellschaftlichen Mitte zu gehen, bedürfte es Mut und Kreativität. Rollenspieler müssten hinter ihrer Leidenschaft stehen und sie, zum Beispiel an Schulen oder Tauschakademien, vorstellen. Die Rollenspielgemeinschaft müsste sich als solche überhaupt erst vernetzen und verstehen. Daraus könnte dann der Wunsch stark gemacht werden, nicht nur zu spielen, sondern auch für das Spiel einzustehen. Mit dieser Bereitschaft wären verschiedene, neue Geschäftsansätze möglich. Ich kann mir Rollenspiel-Cafes vorstellen, in denen One-Shot-Abenteuer zum sofortigen Spielen bereitliegen. Alternativ könnten das auch Erlebnisrestaurants sein, in denen Larper in Gewandung auf einer Bühne spielen. Die Faszination der Narration kann über viele Wege erlebbar sein. Was heute Themenpartys sind, kann morgen als Gewandungsgrillen gemacht werden. Mit der Vernetzung sollte auch eine Bewertung der Spielrunden und damit eine Professionalisierung des Rollenspiels einhergehen. Dadurch würde sich eine Szene selbst erschaffen. Man könnte sogar soweit gehen und den Rollenspieler als buchbaren Unterhaltungsberuf anbieten. Weiter gesponnen könnten sich in einer Spielehalle, ähnlich einer Sportarena, die besten Rollenspieler der Länder treffen. Dice-Sports würde in bunten Neonlichtern über dem Eingangsportal strahlen. Eine Jury aus Künstlern, Schauspielern und Mathematikern würden die Vorbereitung, den Erzählfluss, die Innovation, das harmonische Miteinander und die Geschichte der Gruppen bewerten. Die Disziplinen könnten die Spielleitung vor einer zufälligen und fremden Gruppe, das Zusammenspiel mit einen fremden Meister und dann die Königsdisziplin, die perfekte Spielrunde, ohne fremde oder zufällige Elemente, sein. Es wäre die Kür, eine Ode an den Rollenspielgedanken. Ich weiß nicht, ob ich diesen Tag noch erleben werde, aber man stelle sich nur die Reaktion der Medien vor. Sechs Nerds sitzen an einem Tisch und die ganze Welt schaut zu.

2 Gedanken zu „Die Utopie einer Rollenspielkultur

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