Sex im Rollenspiel – über seinen Sinn und seine Gefahren

Ich hatte vor einiger Zeit einen Blogartikel entdeckt (http://www.npconline.de/2017/10/erotik-am-spieltisch-unfreiwillige-erfahrungen/), der mich über das Thema Sex und Rollenspiel neugierig gemacht hat. Als ich dann aber darüber nachgedacht habe, kamen viele, negative Erfahrungen in mir hoch. Entweder hatte ich total perverse Spielleiter, die mit ihren Beschreibungen irgendwas kompensieren mussten oder die Sexualität war dermaßen konstruiert, dass sie schlicht nicht in die Szene gepasst hatte. Aber ich halte die Frage, ob Sex im Rollenspiel funktionieren kann, durchaus für interessant. Deswegen will ich in diesem Artikel prüfen, ob entsprechende, explizite Szenen im Rollenspiel überhaupt sinnvoll sind und wenn ja, wie man sie am besten einbaut.

 

Warum sollte man Sex einbauen?

Meine eigene Runde war da einhellig der Meinung, dass diese Szenen eher unnötig sind. Es bestand daran kein wirkliches Interesse, also habe ich mal in verschiedenen, anderen Runden (5 Runden, jeweils 4-6 Spieler) nachgefragt. Interessanterweise wurde von Jung und Alt eine positive Antwort mit der Begründung geäußert: „Weil es Spaß macht.“
In fast jeder langlebigen Runde hatten die Charaktere sexuelle Erlebnisse geteilt, Beziehungen zueinander gehabt oder sogar schon Kinder von einander bekommen. Sex galt dort als humoristische Grundlage für viele, (billige) Lacher. Es ging also nicht darum, prickelnde Erotik zu versprühen oder ernsthafte, zwischenmenschliche Beziehungen auszuspielen, sondern eher das Gegenteil war der Fall. Für die OT-Komik wurde ein inkonsistentes IT-Spiel erzeugt, damit alle was zu lachen und zu kommentieren hatten.
Wenn man sieht, was in der Realität Sex für eine Bedeutung für zwei Menschen haben kann, wie der Akt mit Gefühlen der Lust, Eifersucht, der Enttäuschung oder Erfüllung verknüpft ist, empfinde ich diese Antworten als wenig zufriedenstellend. Sie zeugen für mich eher von einer unreifen, wenig authentischen Darstellung des Liebesspiels. An dieser Stelle will ich aber auch euch fragen, welche Meinung ihr dazu habt oder Erfahrung bereits damit gesammelt habt.
Ich selbst hatte Sex bisher nämlich nur einmal für einen Plot bei einem Intrigenabenteuer unter Adligen eingebaut, weil hier das Fremdgehen eine gute Motivationserklärung für einen NSC war. Daher kann ich über die Frage, warum man Sex im Abenteuer einbauen sollte, nur hypothesieren. Ich will dazu aber erstmal von dem Argument, weil es Spaß macht, weggehen. Das sind für mich OT-Gründe, die mit dem eigentlichen Spiel oder Abenteuerkonzept nichts zu tun haben, sondern ganz den zufälligen Launen der Spieler entspringen.
Um die Frage nach dem Sinn für Intimitäten zu beantworten, würde ich meinen Blick auf die Realität wenden. Dort schlafen wir nicht wahllos mit anderen Menschen und schon gar nicht einfach so. Viele Männer jagen gerne, wollen Frauen erobern. Die Damen wiederum haben ein bestimmtes Erwartungsbild, was sich an Aufwartung, Aussehen und Verhalten richtet. In den meisten Fällen entspringt eine Liaison einem gewachsenen Vertrauensverhältnis, das dann oft in eine Partnerschaft übergeht. Sex bedeutet etwas. Er ist häufig kein reines Vergnügen, sondern eng mit sozialen Positionen, Vorteilsdenken, Macht oder Liebe verknüpft. Das sind wiederum alles Dinge, die im Rollenspiel Relevanz besitzen und sich darstellen lassen. Wenn das, durch gelungenes Sozialspiel, dann im Geschlechtsakt mündet, dann halte ich den Sex auch für berechtigt.
Rein theoretisch sehe ich also einen Platz für Sex im Rollenspiel, wenn er eine natürliche Konsequenz für gutes Charakterspiel ist. Denn dann fungiert er als Belohnung und kann entweder in einer intensivierten Beziehung zu einem Charakter führen oder als Mittel für einen anderen, noch verborgenen Zweck dienen. Ihn aber ohne ein solches Vorspiel einzubauen, würde ihn die Bedeutung nehmen – also genauso, wie es im realen Leben der Fall wäre. Und warum sollten wir für etwas Bedeutungsloses unsere Zeit verschwenden? Die einzige Antwort wäre wohl wieder: weil es Spaß macht. Dann wäre aber die nächste Frage, ob es der Spaß wert ist. Denn mit dem Sex können auch einige Gefahren für das Spiel einhergehen.

 

OT-Gefahren

Kommen wir jetzt zur der Kehrseite des Themas. Wenn nicht alle erwachsen und respektvoll mit der intimsten Sache der Welt umgehen, die man mit jemanden teilen kann, kann das Gift für das Spiel sein. Beklemmung, Unwohlsein oder ein anhaltender Nachgeschmack sind der Preis, wenn der Bogen überspannt oder das Liebesspiel zu forsch angegangen wird. Es ist nicht sicher, ob in unangenehmen Situationen bei allen Spielern die Kommunikation und der Mut da ist, ein Halt zu rufen. Selbst wenn dies geschieht, ist so eine OT-Notbremse für die aktuelle Szene zerstörerisch und kann schnell auch als Schellte verstanden werden.
Wenn also eine Spielleitung Sexszenen einbauen will, sollte sie vorher wissen, welche Gefahren darin lauern könnten. Die erste große Gefahr, die ich sehe, liegt in der Projektion eigener Fantasien auf die Interaktionen mit den anderen Spielern. Es sollte nie darum gehen, das eigene Lustempfinden auf andere zu projizieren oder eigene Vorlieben an den Charakteren ausgelebt zu sehen. Sex sollte möglichst neutral und von allen Beteiligten kontrolliert sein. Ich betone das, weil, wie oben gesagt, es eben nicht immer den Mut gibt, sowas direkt anzuzeigen. Ich will das an einem persönlichen Beispiel verdeutlichen:

Mein erster Meister, der mich damals in DSA eingeführt hatte, hat während der Abenteuer noch ganz gern völlig andere Dinge in die weiblichen Charaktere eingeführt. Das waren keine scherzhaften Lappalien, auch wenn er das stets unter dem Deckmantel des Humors zu verbergen versucht hat. Ich rede hier von Tentakeldämonen, spontaner Selbstentkleidung sowie Erregung und von einem Beschreibungsfokus auf die Geschlechtsteile der Gegner, was zufällig häufig gut ausgestattete Oger oder Trolle waren. Wenn ich mir heute vorstelle, dass ich das mehrere Jahre mitgemacht habe, weil ich vor langer Zeit dachte, das ist Rollenspiel und das funktioniert scheinbar so, ist das heute für mich unvorstellbar. Wir hatten zwei Spielerinnen in der Gruppe, ähnlich jung wie wir anderen. Die waren ständig das Ziel solcher Perversionen. Es kam immer nur unter vorgehaltener Hand zur Sprache, niemand hatte den Mut, das anzusprechen und doch war es sehr störend. Aber man hat es über sich ergehen lassen, denn alternative Gruppen gab es zu dieser Zeit für uns noch nicht.

Kurzum, Kommunikation ist natürlich wichtig. Das Wohlgefühl ist aber Sache jedes Einzelnen. Ich kann daher nur empfehlen, wenn man denn vorhat, explizite Szenen einzubauen, sich nicht selbst als Maßstab für Erotik zu nehmen. Die eigenen Fantasien haben da nichts verloren. Die Szene sollte sich, durch die Bereitschaft der Eigengestaltung der Beteiligten, entwickeln können.
Das zweite Problem, was unweigerlich mit eigenen Maßstaben in Sachen Sexualität mitgeht, ist der Sexismus. Ich hatte ja schon einen Beitrag geschrieben, der darüber handelt, ob Spielerinnen, in der eher männlich dominierten Welt des Rollenspiels, gerade durch solche sexuellen Fantasien benachteiligt sind und ob das Hobby vielleicht wirklich ein Sexismus-Problem hat. Am Ende bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass im Hobby sowas nicht besonders gefördert wird. Aber es ist einfacher, die eigenen sexuellen Wünsche hier abzubilden und andere damit zu konfrontieren. Deswegen ist die OT-Distanz zum IT-Geschehen essentiell. Nur wenn ich eine gesunde Distanz zu meinem Charakter aufbauen kann und lediglich Beobachter des Treibens bin, können mir die Erlebnisse nicht nahe genug gehen, um mich selbst angegriffen zu fühlen. Um genau das zu erreichen, muss die Szene erklärbar, authentisch, von mir selbst mitherbeigeführt und damit im eigenen Maß bespielbar sein. Diese Dinge geben, meiner Meinung nach, dann die Sicherheit, die für solche delikaten Inhalte unabdingbar ist.
Ich will also nochmal festhalten: Sex im Rollenspiel darf auf keinen Fall eine Einweg-Kommunikation sein. Niemand will das aufgezwungen bekommen. Damit ist jeder am Tisch gemeint. Ganz gleich ob Spielleitung oder brünstiger Spieler, eigene Lustprojektionen oder Zwänge mit diesem Ziel müssen tabu sein. Ich halte auch den besonderen Schutz von Spielerinnen für erwähnenswert. Wenn Männer in einer Männerrunde ihren Sex ausspielen, ist das nochmal etwas ganz anderes, als wenn eine Frau dabeisitzt. Wenn ich mir als Mann im Rollenspiel Schweinereien zurecht spiele, ist der Funkenschlag zur Dame am Spieltisch nur eine Kopfbewegung weit entfernt. Anstatt aber in einem triebgesteuerten Impuls die Spielerin jetzt OT oder ihren Charakter IT in diese Szene zu zerren, gilt es umso mehr, ihr die Kontrolle zu geben. Sie muss immer entscheiden können, ob sie das mitmacht, ob es noch angenehm für sie ist und wo für sie der Spaß aufhört. Da gilt es dann nicht nur auf ein entsprechendes Signalwort zu horchen, sondern allgemein die Reaktionen sensibel wahrzunehmen. Gleich die Hosen runterzulassen sorgt eher für eine Traumatisierung, als für schönes Spiel. Aber das ist ein gutes Stichwort.

 

Wie kann man eine schöne Sexszene gestalten?

Interessanterweise ist LARP sehr sexuell. Zumindest bei den von mir besuchten Cons haben immer die Zelte fröhlich in der Nacht gewackelt. Rollenspiel und Sex scheinen sich also nicht kategorisch ausschließen zu müssen. Natürlich sind die Bedingungen auch andere. Im LARP spielt man den Sex nicht am Küchentisch aus, sondern hat ihn. Dabei kostümiert zu sein, gibt dazu vielleicht noch einen besonderen Reiz. Das ist in der Würfelrunde selbstverständlich anders.
Ich weiß nicht, ob sich einer von euch noch an die alten Baldurs Gate Teile erinnern kann. Da hatte man viele schöne Dialoge und ist seinem Ziel, die Dame seiner Wahl ins Bett zu kriegen, immer näher gekommen. Als es dann aber endlich soweit war und man den Lohn für seine Mühen erhalten hat, ist der Bildschirm einfach schwarz geworden. Das fand ich enttäuschend. Nicht, weil ich unbedingt sehen wollte, was da passiert, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass mir etwas vorenthalten wurde, als gäbe es eine Lücke in der Geschichte. Dragon Age, Mass Effect oder the Witcher zeigen, wie man solche Szenen deutlich befriedigender gestalten kann. Das Zauberwort dabei ist wohl geschmackvoll.
Ich denke dieses Konzept lässt sich auch so auf das Rollenspiel übertragen. Dabei ist der Akt selbst und wie man sich dabei schlägt, gar nicht so wichtig. Das sind eher irrelevante Informationen, die man nur sehr schwer zugänglich machen kann und wahrscheinlich sogar für die anderen Spieler unangenehm sind. In dem Sinne ist der körperliche Teil der Szene vermutlich schädlich für den Spielspaß. Aber alles was davor kommt, kann ausgespielt werden und die Köpfe mit genügend Vorstellungen anregen, dass es trotzdem ein befriedigendes Gefühl auslösen kann, ohne einen großen Zensurbalkens vor Augen zu haben. Die Erotik baut sich immerhin vor dem Akt auf. Sie ist ja gerade die Kunst alles anzudeuten, ohne irgendwas zu zeigen.
Das ist, wie gesagt, jetzt alles theoretisch. Vielleicht könnt ihr mich da ja mit euren Erfahrungen in den Kommentaren unterstützen. Aber wenn ich eine Sexszene gestalten müsste, würde ich so vorgehen:
Zuerst muss die richtige Sprache gewählt werden. Man muss nicht poetisch werden und von Bergen und Tälern reden, allerdings sollte die vulgäre Sprechweise ausnahmslos unterlassen werden. Es ist nicht Ziel einer solchen Szene, irgendjemanden OT scharf zu machen, sondern authentisch zu bespielen, wie es zum Geschlechtsverkehr kommt.
Dann ginge es mit der Beschreibung der Vorbedingungen weiter, also dem sprachlichen Ausmalen der Räumlichkeit und der Sinneseindrücke, wie Duft oder Licht. Gerade solche Wahrnehmungen halte ich bei einer sinnlichen Szene für unverzichtbar. Sie sollte Elemente des Schönen enthalten und ihre Wirkung auf das Empfinden der Beteiligten zeigen.
Dann erst folgen Beschreibungen zu Kleidung, verheißungsvolle Körperformen und besondere Details, wie tiefblaue Augen.
Erst jetzt kommen die Spieler in die Szene. Sie sollten ab hier frei handeln können. Der Rahmen wurde vorgegeben. Sie wissen dadurch, welche Folgebeschreibungen sich anbieten würden, kennen die Stimmung und die benutzte Sprache. Ich würde es soweit laufen lassen, bis die Szene mit den ersten, ernsthaften Handlungen, wie der völligen Entkleidung oder der umschlingenden Berührung, aufwartet und sie danach in den Köpfen der Spieler ausklingen lassen. In der Anschlussszene, wenn die entsprechenden Spieler wieder an der Reihe sind, gibt es dann noch ein Bild danach, wie sie dicht angeschmiegt im Bett zusammen gekuschelt liegen. Aber das reicht, denke ich, um den Akt ausreichend darzustellen und sollte noch kurz genug sein, um andere Mitspieler nicht zu langweilen.
Das wären zumindest meine Gedanken, wie Sex im Rollenspiel befriedigend für alle ablaufen könnte. Aber ich tippe da im Prinzip von einem Elfenbeinturm aus. Deswegen bin ich umso gespannter, ob ihr schon diesbezüglich Erfahrungen gemacht habt und freue mich wie immer über eure Kommentare.

Ein Gedanke zu „Sex im Rollenspiel – über seinen Sinn und seine Gefahren

  1. Der Narr

    Ein interessantes Thema, gerade weil hier die Meinungen in der Spielerschaft zu weit auseinander gehen.
    Grundsätzlich stehe ich dem Thema „Sexualität im Rollenspiel“ positiv gegenüber, vor allem aus dem Grund, dass sie halt zum Leben dazu gehört – also auch zum Leben innerhalb einer Fantasy- oder SciFi-Welt.

    Meine ersten Erfahrungen diesbezüglich fanden mitten in der Vollpubertät statt und sahen wohl auch eher so aus, wie die abschreckenden Erfahrungen, die Du in Deiner ersten Runde geschildert hast. In einer reinen Jungsrunde machte halt jeder so seine mehr oder weniger (meist weniger) lustigen Späßchen dazu.

    Mittlerweile gestalte ich solche Szenen ähnlich aus, wie Du es am Schluss geschildert hast. Meine Gruppe ist mittlerweile männlich/weiblich gemischt, deshalb reicht es, den eigentlichen Akt nur anzudeuten, so wie es ja auch in vielen Filmen der Fall ist. Die Ausgestaltung kann recht unterschiedlich sein, es ist natürlich ein Unterschied, ob der Söldner der Gruppe nach Wochen in der Wildnis das erstbeste Freudenhaus stürmt (dann wird die Szene recht schnell und schmerzlos abhandelt) oder ob da aufseiten der SC wirklich Gefühle im Spiel sind (hier kann man durchaus Spannung aufbauen).

    Noch eine letzte Beobachtung: Obwohl wir über lange Jahre auch ein echtes (OT-)Paar am Spieltisch sitzen hatten, kam es interessanterweise nie zu einem Techtelmechtel innerhalb der Heldengruppen.

    Viele Grüße

    Antworten

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