Besondere Spiele 7: die Psyche als Thema in Spielen

Es ist recht selten, dass ich über ein Spiel stolpere, bei dem ich von Anfang an merke, dass es etwas ganz Besonderes ist. Die meisten Spiele zeigen sehr direkt, welche Art von Erlebnis sie bieten. Man weiß, worauf man sich einlässt und es ist auch mit einem gewissen Grad an Vorhersehbarkeit verbunden. Nicht so bei Hellblade: Senuas Sacrifice. Schon allein die Prämisse sticht heraus: die Orpheus-Sage wird im nordischen Gewand nachgespielt, die keltische Protagonistin ist ein junges Mädchen, das von Schizophrenie geplagt wird, und der Weg nach Helheim ist als Kampf gegen die eigenen Ängste dargestellt. Was für mich dieses Spiel aber zu einer echten Perle macht, die jeder einmal gespielt haben sollte, ist das Thema der Geisteskrankheit. Ich kenne kein anderes Spiel, wo sich so authentisch und ernsthaft damit beschäftigt, als in Hellblade. Deswegen will ich heute darüberschreiben.

Wahnsinn = Wahnsinn?
Prinzipiell wird mit dem Thema Geisteskrankheiten im Medium Spiel sehr eindimensional umgegangen. Oftmals dienen sie als bloße, platte Erklärungsmuster. Warum greifen einen die Gegner in Darksouls, Bioshock, Outcast, the Surge und in noch vielen, weiteren Titeln an? Ganz einfach: sie sind wahnsinnig. Damit ist alles erklärt. Scheinbar kann man einer verrückten Person absolut jede Gräueltat zurechnen. Da ist Wahnsinn gleich Wahnsinn. Alle sind gleich gewalttätig und völlig irrational. Ja, das gibt den Designern viele Freiheiten. Egal, was die Charaktere machen, man nimmt es ihnen ab. Allerdings berührt diese Sicht nicht einmal im Ansatz den Kern von psychologischen Erkrankungen. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Persönlichkeitsstörungen, Neurosen oder Psychosen, alle sind schlicht gleich zerstörerisch.
Umso erfrischender ist es, in Senuas Welt einzutauchen, ihre Erlebnisse sowie Geschichte nachzuempfinden und so Stück für Stück zu verstehen, warum sie die Dinge so wahrnimmt, wie sie sie wahrnimmt. Denn Senua handelt aus ihrer Perspektive, was gleichzeitig die Perspektive des Spielers ist, keinesfalls irrational. Ganz im Gegenteil: alles was sie sieht und hört ist für sie real. Nur wir Spieler, die von außen in ihr Innenleben eindringen, können an den Erlebten zweifeln. Nur wir können uns auf einer Metaebene fragen, was davon bloße Einbildungen sind. Dabei ist man als Spieler aber natürlich an ihre Wahrnehmung der Dinge gebunden. Das ist nochmal in der Hinsicht etwas Besonderes, weil nur das Medium Spiel dazu in der Lage ist, uns ihre Realität als spielerische Realität zu vermitteln. Anders als im Film, wo man nur bloßer Zuschauer ist, interagiert und steuert man die Figur und trifft Entscheidungen. Wenn man überleben will, müssen ihre Visionen als Wahrheiten hingenommen werden. Man kann nicht einfach stehen bleiben und das Gesehene negieren, denn das mündet unweigerlich im Spielende.
Da es zusätzlich noch ein quasi Permadeath-System gibt, schleicht die eigene Angst, seinen gesamten Spielfortschritt zu verlieren, immer mit. Diese Anspannung ist umso größer, da man stets im Unklaren gelassen wird, wie oft man noch sterben darf. Hellblade bringt einem nicht nur Senuas Angst näher, sondern nimmt auch dem Spieler selbst jede Sicherheit. Im Wissen, dass jeder Tod die Löschung des Spielstandes nach sich ziehen kann, wird die Spielsituation viel intensiver wahrgenommen und Risiken genau abgewogen. Dadurch ist es mir zum Beispiel passiert, dass ich mich selbst bei völlig irrationalen Handlungen ertappt habe. Anstatt, wie vom Level vorgesehen, einfach durch eine Passage zu gehen, habe ich innegehalten und einen anderen Weg gesucht, weil ich mich der Gefahr dieser Passage nicht aussetzen wollte. Natürlich wusste ich rational, dass es nur diesen Weg gibt, aber dem Spiel ist es gelungen, ihn mich trotzdem umgehen lassen zu wollen.
Aus diesen geschickten Mechaniken und den großartigen Erzählstimmen, die das eigene Handeln verspotten, davor warnen, es befeuern, es hinterfragen oder alles das zusammen tun, ergibt sich ein vielschichtiges und nachdenkliches Bild. Senua ist eben nicht einfach wahnsinnig und bringt Leute um. Sie hat viele Schrecken erlebt und jedes Erlebnis formt andere Herausforderungen im Spiel, die die Protagonistin überwinden muss. Ihre Geisteskrankheit ist nicht nur ein Attribut, das sie vollständig definiert. Sie ist eine Last, gegen die sie ankämpft, und gleichzeitig ist sie auch Teil ihres Lebens, mit dem sie irgendwie zurecht kommen muss.

Tabuthema Psyche?
Das Spiel berührt viele Punkte, die in der Öffentlichkeit ungern angesprochen werden. Es geht unter anderem um den falschen, elterlichen Umgang bei Geisteskrankheiten, um die abstoßende, destruktive Reaktion der Gesellschaft darauf und auch wie diese Dinge auf das Leben eines jungen Menschen zurückgeworfen werden und es dadurch zerstören. Das sind ernste Themen, die zum Glück durch eine sorgfältige Recherche sowie durch Konsultationen mit Experten im Spiel authentisch vermittelt werden und deswegen umso mehr zum Nachdenken anregen. Mir persönlich hat es vor Augen geführt, wie wenig Toleranz es für geistig Erkrankte in unserer Gesellschaft gibt. Es gibt schon einen Grund, warum das Thema Psyche stets in den Medien so eindimensional behandelt wird. Das scheint mir nämlich die Grundhaltung der Gesellschaft zu sein. Wenn jemand zum Psychologen geht, dann ist das oft mit Scham verbunden. Hier wird nicht die genaue Erkrankung gesehen, sondern nur der Umstand, dass scheinbar eine Beeinträchtigung des Geistes vorliegt. Das reicht aus, um Personen zu meiden oder sie vorzuverurteilen. Ich kann mir dieses Phänomen daher erklären, dass wir immer unser eigener Maßstab sind. Da heißt, wir bewerten andere stets eher nach unseren eigenen Leistungen, anstatt einen geeigneten Maßstab für die besondere Situation zu wählen. Damit wird Letztere aber vernachlässigt. Wenn also jemand 20 Mal nachschaut, ob das Licht aus ist, dann mag uns das nerven, für diese Person ist das aber Alltag, bzw. sogar ein Erfolg, wenn sie sich vom Lichtschalter lösen kann. Ohne eine Beschäftigung oder ein Verständnis dafür, kann man dieses Handeln aber kaum anders, als durch den eigenen, gesellschaftlich angepassten Maßstab, bewerten.
Von daher halte ich es für nochmals besonders gelungen, dass sich Senuas Geschichte 1:1 in die heutige Welt übertragen lässt. Die Konflikte, die Reaktionen des Umfeldes und das Leben als Ausgestoßene sind auch in unserer Gesellschaft relevante Themen. Doch wer spricht über sie?
Es gab mal einen gerichtlichen Fall in Deutschland, da buchte eine Reisegruppe eine Pension. Dort arbeitete, weil er zur Familie der Pension gehörte, ein geistig Behinderter. Nach Ende ihres Urlaubs forderte die Reisegruppe eine Entschädigung, weil sie jedes Mal zum Frühstück seinen Anblick und seine Anwesenheit ertragen mussten. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen geistiger Behinderung und geistiger Erkrankung, aber dieses Beispiel verdeutlicht recht gut, welche von Form von Ablehnung, wenn nicht sogar Abscheu, Beeinträchtigungen des Geistes auslösen können. Man will nicht darüber sprechen und schon gar nicht will man sich damit beschäftigen. Deswegen ist es so einfach allen geistig Erkrankten pauschal als bekloppt oder wahnsinnig abzustempeln. Das die meisten Spiele bisher diese Kategorisierung einfach nur wiedergespiegelt haben, verstärkt diese gesellschaftliche Haltung nur noch. Dabei zeigt doch gerade Hellblade, wie tief und mitreißend so eine Erkrankung sein kann, wenn man nur versucht ihre Geschichte und Zusammenhänge zu verstehen. Da bricht Senua einfach eine Lanze für mich und ermöglicht jeden Interessierten einen angenehm ernsten, wenn auch düsteren, Zugang zu der Thematik. Letztendlich verschwinden diese potenziellen Konfliktthemen nicht, indem man sie tabuisiert, unangemessen darstellt oder einfach nicht darüber spricht. Sie werden immer da sein und deshalb finde ich es richtig, dass ihnen auch eine gewisse Aufmerksamkeit in Spielen gewidmet wird. Da Hellblade ein großartiges Erzählabenteuer geworden ist, zeigt sich zudem, dass es sich auch spielerisch lohnen kann, sie zu behandeln.

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