The Stanley Parable und was sie uns über Geschichten lehren kann

Die Weihnachtszeit ist vorüber und das Jahr neigt sich dem Ende. Ich hoffe, dass alle besinnliche Tage hatten. In meinem Fall gab es wieder zu viel Leckeres zu essen und zu viele gute Angebote auf Steam. Der Vorteil daran war aber, dass ich dabei The Stanley Parable entdeckt habe. Das ist im Grunde kein wirkliches Spiel, sondern ein kritischer Kommentar, wie Geschichten erzählt werden und vielleicht auch nur erzählt werden können. Das ist für mich deswegen so interessant, weil in meinem Umfeld Geschichten immer zu dem tragenden Element eines Spiels emporgehoben werden. Ob nun im Rollenspiel, LARP oder bei digitalen Medien: die Geschichte eines Spiels wird geradezu glorifiziert. Jeder, den ich kenne und der in irgendeiner Form ein Spiel leiten oder bauen will, ist von dieser Rolle der Geschichte überzeugt. Als ob alles irgendwie gut wäre, wenn doch nur die Geschichte stimmen würde. Ich persönlich denke, dass hier Begriffe wie Spielwelt, Atmosphäre oder auch Handlung wild durcheinandergeworfen werden. Denn meiner Meinung nach kann Geschichte eigentlich gar nicht so viel leisten.
Umso erfrischender fand ich deshalb, dass in The Stanley Parable in einfacher und eindrucksvoller Weise aufgezeigt wird, wie die Geschichte eines Spiels als Spielelement funktioniert. Es gibt einen Erzähler, der seine Geschichte vortragen will und den Spieler durch einen Schlauch führt. Nun kommt es aber an einigen Stellen zu Abzweigungen, bei denen der Erzähler ganz genau sagt, wie er den Spieler handeln sehen will. Dieser kann sich aber auch dagegen entscheiden und damit den Erzähler verärgern. Der versucht anfangs zwar noch das Spielgeschehen wieder geradezurücken, aber falls der Spieler weiterhin gegen ihn und seine Geschichte handelt, dann bricht das gesamte Spiel in sich zusammen. Der Erzähler wird wütend, warum seine Geschichte nicht wertgeschätzt wird, warum der Spieler immer versucht, den Erzählfaden verlassen zu wollen, am Ende zweifelt er sogar über sich selbst und fragt den Spieler, was er hätte besser am Spiel designen sollen, damit er seine Geschichte erzählen kann. Auf der anderen Seite handelt die Geschichte, wenn man als Spieler den Erzähler 1:1 folgt und alles tut was er sagt, von Gedankenkontrolle und dem Glück, welches man darin findet, genau das zu tun, was andere einem vorschreiben. Also der Geschichte ohne eigene Entscheidungen zu folgen, fühlt sich genauso falsch an. Das verdeutlich für mich zwei interessante Punkte: das Verhältnis zwischen Erzähler und Spieler sowie zwischen Geschichte und Spiel.

 

Erzähler und Spieler
Der Erzähler will seine Geschichte erzählen. Er hat Zeit und Mühe investiert, um sie stolz den Spieler vortragen zu können. Er nimmt es als selbstverständlich hin, dass der Spieler seinem Erzählfaden folgt. Kleinste Abweichungen davon können in vollkommene Willkür des Erzählers enden, sie können das Spiel an verschiedenen Stellen schlicht zerstören. Da es sich um ein Spiel und nicht um eine vorgetragene Geschichte handelt, muss der Spieler handeln können. Er benötigt ein absolutes Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit. Ansonsten könnte man sich auch einen Film angucken. Das heißt, beide sind abhängig von einander. Der Erzähler muss notgedrungen den Spieler durch seine Geschichte bewegen, um diese voranbringen zu können. Der Spieler kann natürlich nur im Rahmen der Geschichte handeln. Er kann sich aber auch dazu entscheiden, gegen sie zu handeln. Erzähler und Spieler können sich feindselig gegenüberstehen. Der eine versucht den anderen ständig Situationen aufzuzwingen, während dieser wiederum versucht sie durch unerwartetes Handeln zu sprengen. Sie können aber auch miteinander harmonieren. Darin toleriert der Spieler seine eingeschränkte Handlungsfreiheit zum Wohle der Geschichte und richtet seine kreative Freiheit innerhalb der Geschichte darauf aus, diese detaillierter zu gestalten.
Meiner Meinung nach, sind das die grundlegenden Strukturen einer jeder Rollenspielsitzung. Sie werden hier mit solcher Klarheit aufgezeigt, dass sie eine neue Perspektive auf die Geschichte in Spielen ermöglichen. Denn die Geschichte wird hier nicht als alles umfassendes Gesamtwerk, sondern als schlichtes Vehikel dargestellt. Sie wird auf ihre bloße Funktion reduziert und dadurch werden andere Prozesse sichtbarer. Der Kampf zwischen Erzähler gegen Spieler und damit Kontrolle gegen Entscheidungsfreiheit ist einer dieser Prozesse.
Daraus ergeben sich spannende Meta-Fragen für die Spielleitung. Was will ich denn als Spielleitung? Will ich eine Geschichte erzählen und sie zum Zentrum meines Spiels machen? Sollen sich die Spieler austoben können und ihre eigene Geschichte entwickeln? Soll der Spielspaß das Ziel sein? Dieser lässt sich aber auf verschiedenen Wegen erreichen. Laut Cid Meyers ist er eine Abfolge bedeutungsvoller Entscheidungen. Diese müssen nichts mit einer Geschichte zu tun haben. Solche Entscheidungen können sich allein auf Spielmechaniken beziehen. Ein Dungeon benötigt keine Geschichte, sofern er genügend abwechselnde Kampfherausforderungen bietet. Charakterspiel, das Bangen um einen glücklichen Wurf, taktische Gespräche zum Vorankommen oder auch das Leiden bzw. Lachen finden sich in einem Kampf ebenso wieder, wie in einer geschichtlichen Erzählung. Dann würde die Frage auftauchen: Ist die Geschichte denn überhaupt wichtig?

 

Geschichte und Spiel
Ist die Geschichte erst von Begriffen wie Spielwelt, Atmosphäre und den Gedanken getrennt, dass sie alles durchdringt und färbt, ist sie erstmal nur eine Ansammlung von Begründungen und Motivationen.  Um es überspitzt zu sagen, ist sie die höfliche Form des Erzählers seinen Willen auszudrücken. Also anstatt zu sagen: Ich will, dass ihr jetzt in das verlassene Herrenhaus geht und mein tolles Gruselabenteuer erlebt.“, beschreibt er: „Das Fahrzeug verunglückt im Straßengraben und der einzige Ort um Hilfe zu holen, ist das alte Herrenhaus.“
In dieser Sichtweise ordnet sie sich als ein Instrument des Erzählers unter, die Handlung oder Szenenabfolge voranzutreiben. Sie ist dann kein Spielelement in dem Sinne mehr, dass mit ihr gespielt werden kann. Sie ebnet nur den Weg für andere Spielelemente. Darin kann sie sich erschöpfen. Es gibt genug positiv bewertete Spiele, bei denen es nicht schlimm ist, dass die Geschichte ein bloßes Vehikel ist. Das gilt auch für das Rollenspiel, in dem die Rahmengeschichte vollständig von den dynamischen Spielerinteraktionen überlagert werden kann.
Geschichten werden erst dann für Spieler wertvoll, wenn sie interaktiv werden und in sich selbst eine Motivation darstellen, anstatt nur Motivationen für Handlungen zu liefern. Wenn der Spieler von selbst wissen will, wie die Geschichte weitergeht, dann wird sie auch als Spielelement relevant. Doch selbst dann ordnet sie sich neben anderen Spielelementen wie Kämpfen, Rätseln oder Gesprächen ein.  Sie hat demnach nicht, wie von vielen gedacht, eine Königsrolle inne.
Wenn ich darüber nachdenke, kommt vielleicht dieser Eindruck des Sakrosankten einer Geschichte von der emotionalen Mengenlage. Ich kann mir vorstellen, dass es ähnlich wie mit Nostalgie ist. Wenn ich sage, dass Dark Project oder auch Dark Souls grandiose Geschichten haben, erinnere ich mich in erster Linie an die Gefühle, die ich empfunden habe, als ich die Titel gespielt habe. Die Geschichte ist hier untrennbar mit meinem emotionalen Erlebnis verknüpft. Bricht man die lückenhafte, do-it-yourself Geschichte von Dark Souls oder die sehr nüchtern betrachtet High Fantasy lastige Geschichte von Dark Project nur auf die Geschichte, nicht auf das Erlebnis, herunter, dann hört sie auf zu leuchten. Und ja, Erlebnis und Geschichte sind unbedingt zu trennen. Denn das Erlebnis ist die Gesamtheit aller Spielelemente, von der die Geschichte nur ein Teil ist. Vielleicht kann man also diese Lehre ziehen:
Ein Erzähler sollte die Macht der Geschichte nicht überschätzen. Stattdessen muss ihn bewusst sein, wie er sie einsetzen will, um die Spieler zu lenken und welche Freiräume darin für sie möglich sind. Was das eigentliche Spiel aber zusammenhält, sind die Spielelemente, also alles Interaktive in einem Spiel. Darauf sollte sich der Erzähler konzentrieren und sich dabei stets fragen, ob diese Interaktionsmöglichkeiten ausreichen, um die Spielbedürfnisse der Spieler zu befriedigen.
Soviel von mir dazu. Ansonsten wie immer Fragen, Anregungen und Kritik in den Kommentarbereich – ich freu mich drauf. Ich wünsche jeden noch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

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