Notwendig aber langweilig – Schwierige Rollen im Spiel

Zuerst: Bitte nicht wundern, aufgrund einer Dienstreise musste ich den monatlichen Beitrag um eine Woche vorverschieben – nun aber zum Artikel:
Ich will mal wieder mit einer Geschichte beginnen. In meiner Gruppe ist ein Medizin-Student, der gleich zwei unerlässliche Charaktere in einer Sci-Fi Runde spielt. Der erste ist der Pilot, der zweite der Schiffsarzt. Beide Rollen sind von essentieller Bedeutung und müssen, wenn er nicht da ist, von NSCs (Nicht-Spieler-Charaktere) besetzt sein, damit die Runde überhaupt funktioniert. Denn niemand anderes kann das Schiff fliegen, wodurch die anderen Charaktere festsitzen würden, und niemand anderes kann die Charaktere heilen, was aber in den meisten der Abenteuer notwendig wird. Die Rollen sind also unersetztbar und sie sind leider aber genauso langweilig. Was also tun?

Das Problem

Ich will zuerst das Problem aufzeigen, bevor ich zum Lösungsansatz übergehe. Beide Charaktere des Spielers sind Spezialisten. Das heißt, sie können das und vor allem das, was für die Spielfunktionalität benötigt wird (fliegen oder heilen). Das ist im Rollenspiel auch ganz normal. Jeder versucht sich zu spezialisieren, da man ja die Gruppe hat, die dann die anderen, fehlenden Fertigkeitsbereiche ausgleicht. Jetzt sind aber die Bereiche Fliegen und Heilen spielerisch extrem schnell erschöpft.
Beim Fliegen zum Beispiel interessieren sich die anderen Spieler schon gar nicht mehr für die aktuelle Situation. Es gibt nur einen Piloten, der alle Manöver macht. Da keiner Geschützwaffen gelernt hat, feuert die KI des Schiffes und da der Pilot noch ein krasser Spezialist ist, gibt’s auch nichts für den Mechaniker, zwecks Reparaturen, zu tun. Das Piloten-Spiel ist wie eine Blase, ein eigenes Spielsystem, in dem nur ein Spieler Spaß haben kann. Das Schlimmste daran ist aber, sobald das Schiff landet, was häufig genug passiert, dann wird der Pilot vollkommen nutzlos. Alles was er so ein bisschen gelernt hat, können alle anderen viel besser.
Genau für diesen Umstand hat sich der Spieler nun seinen Zweitcharakter, den Arzt, gebaut. Schon allein diese Entscheidung zeigt, wie beschränkt die Pilotenrolle ist. Leider ist es beim Arzt nicht sehr viel anders. In dem System wird viel Wert auf Realismus gelegt. Der Arzt ist also nicht, wie in einem Fantasy-System, der Heiler, der jede Runde auf magische Weise Lebenspunkte wiederherstellt. Er kann schwer verletzte Charaktere im Kampf stabilisieren und sie so vor dem Tod bewahren, er kann sie nach Kämpfen behandeln oder negative Effekte, wie Gifte und Krankheiten, therapieren, aber das benötigt alles Zeit. In Kämpfen wartet der Charakter also auch eher, als spielen zu können. Zudem weiß der Medizinstudent natürlich was er da tut. Er verlangt von mir, als Spielleitung, dass ich ihn Symptome und Reaktionen beschreibe. Wenn ich ein entsprechendes medizinisches Wissen hätte, könnte ich daraus vielleicht sogar ein Spiel aufbauen. Aber selbst wenn, wäre nur wieder ein Spieler in seinen Fachgebiet bespaßt. Zusätzlich wiederholen sich die Behandlungen sehr schnell. Es gibt nicht so viele Arten Kugel zu entfernen oder sich um Verbrennungen zu kümmern, noch ist es besonders aufregend oder spannend.
Damit haben wir also einen Spieler, der trotz seiner bedeutenden Rollen, ohne die ein Abenteuer nicht funktionieren würde, passiv und beschränkt ist. Jetzt könnte man selbstverständlich argumentieren, dass das vielleicht nur eine Schwäche in meinem System ist und wenn man anders spielen würde, gäbe es das Problem nicht. Leider habe ich schon verschiedene Systeme gespielt und überall kam es zu ähnlichen Beobachtungen. In einer Nova-Runde war der Piloten-Spieler sogar das gesamte Abenteuer über an seinen Stuhl gefesselt, weil die Situation es erfordert hat, dass das Schiff schnell abflugbereit war. Der hat einfach das gesamte Abenteuer über gar nichts machen können und das obwohl die Spielleitung versucht hatte, ihn mit ins Abenteuer zu holen. Aber der normale Menschenverstand hat es schlicht verweigert, dass er das Schiff verlässt. Ich denke daher, dass es sich bei notwendigen aber spielerisch langweiligen Rollen um ein strukturelles Problem handelt. Das heißt, dass die Art, wie diese Rollen gebraucht werden, immer dazu tendieren wird, dass dieses Blasenproblem auftaucht. Letzteres macht die Lösung auch sehr viel schwieriger. Normalerweise könnte man Spezialisten immer größere Herausforderungen entgegenwerfen, um sie zu bespaßen. Da diese Rollen aber für sich spielen und nur in sehr speziellen, einzelnen Situationen spielen können, würde solch eine Lösung nur die Wartezeit der anderen Spieler erhöhen. Was kann man also sonst dagegen tun?

Die Lösung

Die einfachste Art das Problem zu umgehen ist, NSCs die Arbeit übernehmen zu lassen. Das funktioniert problemlos, solange der NSC auch mitwürfelt und es sich nicht wie eine Schiene anfühlt. Die Lösung setzt jedoch voraus, dass die Spieler nicht Teil des jeweiligen Spieles sein wollen. NSCs einzusetzen heißt nämlich auch immer Kontrolle an die Spielleitung abzugeben. Gerade bei kritischen Spielbereichen ist das nicht immer leicht.
Eine zweite Möglichkeit ist die Einbindung der Spieler in die Blase. Ein Verletzter muss von den anderen ruhig gehalten oder betäubt werden, weil er sich vor Schmerzen windet, verschiedene Schiffsysteme müssen von Spielerhand betrieben und koordiniert werden und so weiter. Dabei geht es weniger um eine regeltechnische Nutzbarmachung, als um die Generierung von IT-Spiel. Das heißt, ganz unabhängig von Werten und Fertigkeiten müssen die Spieler durch narrativ ausgespielte Handlungen eingebunden werden. Dabei ist allerdings Fingerspitzengefühl der Spielleitung und Spielbereitschaft bei den Spielern gefragt. Besonders bei sich wiederholenden Aufgaben, wie der Verarztung, muss die Spielleitung aber kreativ werden, damit es nicht routiniert und langweilig wird.
Wenn die Spieler es zulassen, könnte die Spielleitung den Spieler auch in der Charaktererschaffung dahingehend beraten, keinen Hyperspezialisten für eine beschränkte Rolle zu erstellen. Sie kann offen und ehrlich darüber reden, welche Probleme mit solch einem Spiel verbunden wären. Das heißt nicht, dass sie es verbietet, aber dass der Spieler dann noch einen anderen Fokus besitzt und sich nicht nur über diese eine Rolle definiert.

Das wären zumindest meine drei Ideen, dieses Problem zu lösen. Vielleicht habt ihr auch noch andere Ideen? Vielleicht gibt es da draußen auch noch ein anderes System, was dieses Problem elegant löst. Ich kenne leider keines. Falls euch aber eines bekannt ist, dann schreibt es doch bitte in die Kommentare! Mich würde auch interessieren, ob ihr schon einmal auf dieses Problem mit notwendigen aber langweiligen Rollen gestoßen seid. Ich freue mich auf eure Antworten!

3 Gedanken zu „Notwendig aber langweilig – Schwierige Rollen im Spiel

  1. Viktor

    Ich denke, kein System kann das Problem wirklich lösen. Es ist auch eher ein „Spielerproblem“. Wenn ich einen Hyperspezialisten erstelle, der nur das eine kann, dann wird dieser auch nur in den entsprechenden Situationen gefragt sein…

    Das Problem ist eigentlich viel eher das Setting/Szenario: Space/Zukunft. Hier bilden sich Spezialisten heraus, die nur eine Sache studiert haben. Wie aber jedes Space-Szenario aus Film und Fernsehen zeigt: Die überleben nicht lange. Sondern die Generalisten – die wie in Fantasy-Settings einfach alles können. Mindestens mal 1-2 Zweitskills für Kampf, Hacking oder Mechanik/Basteln sollten mal noch vorhanden sein.

    Hat der Arzt keine Hobbies? Hat der Pilot keine Auszeichnung im LaserTag? Irgendwas werden diese Charaktere doch wohl neben ihrem Studium gemacht haben… ansonsten ist es wohl ein ziemlich eindimensionaler Charakter.

    Vom System her könnte es dennoch ein we ig gelöst werden, wenn die Fertigkeiten eher generell sind. Das alte W6 StarWars zum Beispiel nutzt den Skill Mechanical sowohl für Medizin als auch Engineering. Generell ist da sehe viel doppelt belegt.
    Aber das Problem Raumschiff wird auch das nicht komplett aus dem Weg schaffen, solange nicht alle Spieler in einem Flug oder Raumkampf involviert werden:
    „Ich brauche jemanden, der die Kabel im Maschinenraum umsteckt“. „Die Schilde können nur noch über die Konsole im Heck gesteuert werden“. Auch hier muss die Spielleitung kreativ werden und alle involvieren. Das ist schwer, lohnt sich aber. Aber gerade deshalb sollte man auch nicht jeden Flug ausspielen/würfeln – sondern nur besondere Ereignisse, bei denen alle anweswnd sein können und müssen. Ähnlich zum verarzten mit festhalten – das wird in besonderen Situationen mal mit allen ausgespielt. Ansonsten halt nur gewürfelt und weiter zum nächsten Punkt.

    Aber ein Arzt der nur für genau das da ist, ist fehl am Platze. Warum kann er nicht auch Verhandlungen übernehmen oder Kontaktpersonen aufsuchen etc.?

    Antworten
    1. Holger

      Ich sehe es ganz genauso: Die Lösung des Spezialisten-Problems kann nie beim Spielsystem, sondern ausschließlich bei den Spielern liegen. Deshalb würde ich auch nicht von schwierigen Spezialisten-Rollen, sondern von schwierigen Spezialisten-Spielern sprechen. Wenn von Spieler-Seite nichts kommt, mit dem der Spielleiter arbeiten kann, wird’s natürlich knifflig.

      Nur weil jemand auf einem Gebiet Spezialist ist, muss er doch noch lange nicht nur Spezialisten-Zeugs zu tun bekommen. Da muss man sich, um beim Piloten-Beispiel zu bleiben, nur mal die eine oder andere TV-Serie anschauen. Bei „Magnum“ (das Original natürlich, nicht das grässliche Remake) ist T.C. der Helikopter-Pilot, der den Protagonisten gerne mal schnell von A nach B bringen oder jemanden aus der Luft überwachen darf. Trotzdem ist er auf die eine oder andere Weise in die Handlung integriert. Deutlicher wird’s noch bei „Firefly“. Wash ist zwar der Pilot der „Serenity“, aber das Fliegen selbst spielt in den wenigsten Episoden eine Rolle. Aber die Figur spielt eine ebenso große Rolle wie die anderen Crewmitglieder auch. Dito bei „Battlestar Galactica“: Natürlich sind da einige Charaktere, die hauptberuflich Kampfpiloten sind, und für die gibt es auch weiß Gott ’ne Menge zu tun. Dennoch ist „Pilot“ letztlich nicht das, was die Figuren primär auszeichnet. Um es mit dem Credo der Galactica-Produzenten zu sagen: „It’s all about the characters“.

      Natürlich gibt es beim Rollenspiel immer wieder mal Situationen, die ausschließlich die Fähigkeiten des Spezialisten in den Mittelpunkt stellen. Aber ein Spielercharakter sollte doch um Himmels Willen genug Hintergrund haben, um ihn auch mal abseits seiner Primär-Fähigkeit ins Rampenlicht zu stellen. Um mal wieder eine Serie zu Hilfe zu nehmen: Doktor Bashir aus „Deep Space Nine“ ist der Arzt der Station. Wenn seine Beschreibung an dieser Stelle aufhören würde, wäre das ziemlich langweilig. Aber er ist – zumindest zu Beginn – abenteuerlustig und ein wenig naiv. Er ist befreundet mit Chief O’Brien, mit dem er immer wieder Darts spielt und in der Holosuite historische Abenteuer (z.B. „The Battle of Britain“) erlebt. Er wird von Section 31, einem zwielichtigen Föderations-Geheimdienst angeworben, was er aber aus moralischen Gründen ablehnt (überhaupt hat er durchaus einen ausgeprägten Sinn für Moral und Ethik, was bei einem Mediziner nicht verwundert). Er war in frühester Kindheit in seiner Entwicklung stark gehemmt, weshalb er von seinen Eltern verbotenerweise genetisch verbessert wurde, wodurch seine körperlichen, vor allem aber seine geistigen Fähigkeiten immens zunahmen… und so weiter und so fort.
      Mit anderen Worten: Doktor Bashir läuft eben nicht nur durch’s Bild, wenn es gilt einen der anderen Charaktere zu verarzten oder wenn die Handlung ein medizinisches Problem präsentiert. Und ebensowenig sollte ein Spielercharakter langweilig und/oder „schwierig“ sein, nur weil er auf einem bestimmten Gebiet Spezialist ist. Das erfordert einerseits natürlich eine gewisse Vor- oder Mitarbeit des betreffenden Spielers. Aber ebenso muss man als Spielleiter einfach auch den Hintergrund der Figur im Auge behalten und andere Facetten anspielen. Ein Beispiel aus dem echten Spieler-Leben: Mein SC bei „Vampire“ ist vom Grundaufbau her ein fast schon stereotyper Brujah. Ein Prügler, wie er im Buche steht (und damit letztlich ein Spezialist für’s Grobe). Während der letzten 5 Spielsitzungen (mindestens) gab es keine körperlichen Auseinandersetzungen, und ich hab mich keine Minute gelangweilt, weil’s für meine Figur eben genug andere Sachen zu tun gab bzw. weil ich an den Handlungssträngen anderer Figuren (auf ihrem Gebiet hier und da durchaus auch Spezialisten) teilhatte.

      Antworten
      1. Ariatros Artikelautor

        Erst einmal vielen Dank für die beiden langen Antworten und eine Entschuldigung, dass es bei mir so lange gedauert hat. Ich bin jetzt erst zurück und habe wieder Internet. Das will ich gleich auch nutzen.
        Ich gebe euch beiden Recht, natürlich ist der Spieler für seinen Charakter verantwortlich. Wenn der nicht mehr mit ihm machen will oder ihn so stark spezialisiert, dass er eben wirklich nur seine 1-2 Fachgebiete kann, dann ist er ein wenig selbst für die Situation verantwortlich. Ihr habt beide gute Beispiele genannt, wie man es besser machen kann. Ich hatte nur überlegt, ob es sich dabei um ein systematisches Problem handeln könnte. Also weil es einen Piloten geben muss, ist da ein Spielabschnitt, der auch nur vom Piloten gespielt werden kann. Unabhängig davon, ob der Pilot nun noch andere Hobbys hat, sitzt er und nur er in dieser Szene am Steuer und kann handeln. Klar, man kann das etwas spielbarer machen, indem man kreativ wird. Aber das klappt nicht immer und man muss sehr aufpassen, dass man sich dabei nicht wiederholt. Wenn also der Spieler unbedingt Pilot sein will und seinen Spaß am Fliegen hat, ist das völlig legitim und sollte berücksichtigt werden. Ich überlege nur immer, wie ich die anderen aus der Gruppe noch mit einbinden kann.
        Andersrum, wenn der Nur-Pilot dann mit der Gruppe rumläuft, funktioniert das mit dem Spiel schon eher, weil man dann einfach spielen kann. Es braucht für die normale Konversation keine Würfel, für Piloten-Proben aber zwingend. Schwierig ist, dass der Spieler tatsächlich wenig Interesse an mehr, außer Medizin und Fliegen, hat. Das ist dann ein klassisches Erstellungsproblem. Da kann man tatsächlich sagen: bei dir einen vielfältigeren Charakter, um Spaß zu haben. Das ist beim Fliegen schon schwieriger, weil man das nicht umgehen kann, wenn dieser eine Spieler seinen Spaß daraus zieht. Von daher finde ich die Frage auch interessant, ob es da noch ein Spezialisierungsloch gibt, in das man hineinfallen könnte.

        Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Ariatros Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.