Wie philosophisch ist Matrix?

Diese Frage stellte mir ein Hauptmann während einer Übung. Ich hielt die Idee, tiefere Erkenntnisse in bekannten Vorlagen zu suchen oder ihren Inhalt daraufhin zu extrapolieren, für spannend. Es ist zugleich ein zentraler Gedanke dieses Blogs sich auf einer philosophischen oder mindestens metaphysischen Ebene dem Thema Spiele zu nähern. Um eine Antwort vorweg zu nehmen, Matrix besitzt einige, interessante Punkte, die Gegenstand der Philosophie sind. Am stärksten finde ich persönlich das Thema Realität, zudem ich einige Worte schreiben will.

 

Was ist Wahrheit?

Bevor ich näher auf den Inhalt der Geschichte um Neo und der Matrix eingehe, bedarf es eines grundlegenden Verständnisses von Wahrheit. Ganz grob wird in 2 Arten von Wahrheit unterschieden: der absoluten und der pragmatischen.
Die absolute Wahrheit ist, wie Kante so schön formulierte, das Ding an sich, eine Idee a priori und das heißt vor unserer Erfahrung. Das können Gott, die Seele, Naturgesetze und alle Arten von Weltprinzipien sein. Diese Begriffe sind so rein, dass wir nur eine bloße Idee von ihnen haben und der Zugang zu ihnen ist, wenn überhaupt, nur durch Ableitungen möglichen. Sie sind das Ideal, dem die Wissenschaft entgegen strebt und bei dem es unsicher ist, ob es je erreicht wird. Menschen neigen dazu, ihre Wahrheit als absolut zu sehen, oftmals auch weil sich bestimmte Vorstellungen immer wieder als nützlich erwiesen haben. Wenn jeden Tag die Sonne aufgeht, dann nimmt eine Person schlicht an, dass am nächsten Tag die Sonne wieder aufgehen wird. Das ist aber kein ewiges Prinzip, sondern es ist eine pragmatische, eine nützliche Wahrheit.
Pragmatische Wahrheiten kommen ständig in unserer Begriffs- und Vorstellungswelt zum Einsatz. Sie verändern sich, passen sich an und haben solange Bestand, wie sie einen bestimmten Nutzen besitzen.  Das ist der Kern unserer Wahrheit. Wir besitzen keine absoluten Begriffe, sondern nur Begriffe, die wir für wahrer und beständiger halten als andere. Das ist essentiell. Überhaupt nur durch Sprache und Begriffe können wir die ganzen Sinneseindrücke, die wir Tag für Tag erleben und verarbeiten müssen, einordnen und kategorisieren. Die Welt ist viel berechenbarer und ungefährlicher, wenn wir sie verstehen und vorhersagen können. Dieses Netz aus Begriffen, um hier einmal mit Quine weiter zu sprechen, bildet unsere Weltanschauung. Es ist unser Realitätsverständnis. Es sind die sprachlichen Kategorien, mit denen wir der Welt begegnen. Sie mögen bei jedem etwas anders aussehen, aber solange jeder eine ungefähre Idee dieser Begriffe hat, kann man sich darüber verständigen. Das ist wie eine Heckenfigur. Im Inneren ein ziemliches Durcheinander, aber von Außen sehen sie alle ungefähr gleich aus. So funktioniert Sprache und mit diesem Wissen sollte man sich nun Matrix anschauen.

 

Die Erschaffung von Realität

Würden wir die Matrix aus einem alltäglichen Verständnis betrachten, müssten wir sagen, sie ist nicht echt und ihre Bewohner leben im Prinzip nicht. Sie sind weder Herr über ihr Handeln, noch besitzen sie irgendeine Freiheit. Sie sind aus der allwissenden Perspektive genauso frei und lebendig wie Batterien, die sie am Ende ja auch sind. Doch jeder von ihnen besitzt das Potenzial, wiederbelebt zu werden. Denn werden diese Menschen aus ihrem Gefängnis befreit, erhalten sie scheinbar all ihr Handlungspotienzial und ihre Würde, also ihre Wesensbestimmtheit, zurück. Der Wert ihres Lebens und ihrer Freiheit wird ganz und gar nach ihrer Autonomie bemessen, wie sie sich von dem System, welches ihre Rolle, Erwartungen, Wünsche und Träume festschreibt, befreien können.
Das Faszinierende ist nun, dass all diese Menschen von sich selbst in der Matrix überzeugt sind, das alles zu besitzen. Sie alle glauben in dem begrenzten Raum, den das System ihnen gibt, frei zu sein. Das ist ihre pragmatische Wahrheit, ihre Weltanschauung und sie existiert genauso, wie die Weltanschauung der Befreiten Menschen. Warum ist das so? „A million can’t be wrong.“
Es wird eine eigene Realität, die Realität der Pluralität, erschaffen. Wenn so viele Menschen von etwas überzeugt sind, erschafft das Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit ist nichts anderes als pragmatische Wahrheit, auf die sich alle geeinigt haben. Es macht keinen Unterschied, ob die Menschen in den Batterien leben, ihre Gedanken nur Datenströme sind oder sie sich in einer imaginierten Wirklichkeit befinden. Sie können sich innerhalb des Systems ihre Vorstellung bestätigen. Ihre Weltanschauung funktioniert und damit ist sie innerhalb der Gesellschaft der Matrix genauso real, wie die Freiheit der Menschen außerhalb der Matrix.

 

Was können wir daraus lernen?

In der Schöpfung lag schon immer eine große Stärke der Menschheit. Jeder besitzt das Potenzial in Unmöglichkeit Möglichkeiten, aus Bekanntem Neues und aus Ruhe Streben zu erschaffen. Wenn wir also die Parallele zu unserer Gesellschaft ziehen, sollten wir nicht in einen Dekonstruktivismus untergehen, dass alles irgendwie beherrscht, kontrolliert und immer nachteilhafter wird. Denn das Beispiel der Matrix zeigt, u.a., wie selbst in einem System der Vorherbestimmung und Kontrolle Freiheit und Autonomie existieren kann. Menschen sind selbst in Situationen der größten Kontrolle in der Lage Unvorhersehbarkeiten auszulösen. Die Batterien funktionieren nur solange, wie sie ungefragt das ihnen Gebotene selbstverständlich hinnehmen. Was wäre passiert, wenn das Höhlengleichnis anders ausgegangen wäre? Wenn es Neo geschafft hätte, die Menschen von seiner Wirklichkeit zu überzeugen? Vermutlich hätten sich die Menschen gegen die Matrix gewehrt, hätten Fehler verursacht oder wären abgeschaltet worden. Eine Neo’s Wahrheit hätte die gesamte Matrix lahm legen können, ohne das ein Agent Smith sie niederreißen müsste.
Das Potenzial zur Schöpfung und die Kraft der Weltanschauung sind mächtige Werkzeuge des Menschen. Selbst wenn er für sich erkennt, dass das ganze Sein an sich keinen Sinn besitzt, kann er sich immer noch selbst einen Sinn erschaffen und ihn als Wahrheit festlegen. Dieser freie Wille, diese Autonomie zu handeln, macht uns, meiner Meinung nach, erst zu Homo Sapiens Sapiens. Kant ging übrigens soweit, dass jedes Vernunftwesen, mithilfe des kategorischen Imperativs als Prüfformel, dazu in der Lage wäre, eine moralische Realität zu erschaffen, die in ihrer Allgemeingültigkeit die Wirkkraft der Naturgesetze erlangt. In diesem Sinne wille ich auch mit dem Königsberger abschließen:

„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“

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