Setzung und Erklärung – Die große Schwäche der High-Fantasy

Vor einiger Zeit hatte ich mich mit einem Freund über die Vorzüge und Nachteile von Spielsettings unterhalten, da war es explizit High-Fantasy gegen Sci-Fi. Er meinte, es gäbe keinen Unterschied zwischen beiden, weil auch High-Fantasy alle Effekte von Technologie durch Magie nachahmen kann. Außerdem scheinen die Settings, man sich die zahlreichen Hybrid-Settings (Aliens sind abgestürzt, Überreste einer fortschrittlichen Zivilisation usw.) ansieht, sowieso kompatibel. Technologie wird für die Einheimischen einfach mit Magier erklärt und fertig. Bei der Aussage ist mir meine Antwort im Halse stecken geblieben. Denn das umschreibt, meiner Meinung nach, die größte Sünde an der High-Fantasy: ihre Setzungen.

Warum sind Setzungen etwas schlimmes?

Kurz: Weil sie das konträre Gegenteil der Erklärung sind. Ich verstehe, dass man besondere, intensive Abenteuer erleben will. Da ist es nicht so wichtig, ob alles logisch ineinandergreift. Hauptsache man selbst hat unvergessliche Momente. Das macht von einer gameristischen Perspektive durchaus Sinn (wobei es auch hier Kritik hagelt, wenn das jeweilige Spiel einen Schwerpunkt im Narrativen besitzt). Problematisch wird das aber, wenn dieses Konzept auf andere Medien, wie Rollenspiel, LARP oder Bücher übertragen wird, die von den Erklärungen leben. Wenn also im Larp sich der neue Spieler ohne viel Ausrüstung und Gewandung vor allen anderen aufbaut und behauptet, ich bin jetzt Prinz X und total wichtig, dann wird er höchstens Gelächter ernten.
Setzungen zerstören hier ein empfindliches Gleichgewicht. Besonders im Larp, in dem die Regelsetzung und Durchsetzung vage und kaum durchzuführen ist (was ein gewisser Teil der Spieler auch ausnutzt), führt das zu einer erzählerischen Katastrophe. Das sieht man dann immer, wenn die Presswürste in ihrer Plattenrüstung jeden Zauber und jeden Treffer ignorieren, weil sie ja so mächtig sind. Spricht man sie darauf an, beschwören sie nur, dass sie so mächtig sind. Sie können aber nicht erklären, warum sie so mächtig sind. Das fühlt sich für alle anderen, die erst im Laufe der Zeit und mit viel Mühe mächtig geworden sind, absolut unfair an. Im Grunde schließen Larper in Bezug auf Setzung und Erzählung einen Gesellschaftsvertrag. Man darf mächtig sein, aber man muss es sich verdienen. Setzt man diese Macht einfach, wird man sozial sanktioniert und hoffentlich auch ignoriert. Rollenspiel kann das Ganze mit einen mehr oder minder deutlichen aber vor allem durchsetzungsstarken Regelsystem auffangen. Das heißt, ich kann mir zwar eine spannende Idee für meinen Charakter ausdenken, bin dann aber trotzdem nur Level 1, weil meine Idee an die Vorgaben des Regelsystems angepasst werden muss.

Nicht nur eine Frage der Macht, sondern auch des Spiels

Was viele in ihren Machtfantasien übersehen ist, wie viel Spaß durch Einfachheit generiert werden kann. Einfache Situationen sind die besten, um ein Spiel aufzubauen, weil wir uns am leichtesten damit identifizieren können. Diese Handlungssicherheit ermöglicht es uns, Handlungsfreiraum zu genieren. Wenn ich also zum Beispiel einen verwundeten Kameraden habe, weiß ich, wie ich Wunden säubere, sie verbinde, weise andere Mitspieler an, mich dabei abzuschirmen usw. Ich kann aus einer einfachen Situation sehr viel Spiel generieren, weil ich weiß, was zu tun ist. Dadurch muss ich keine Zeit mit der Frage verschwenden, was nun angemessen ist. Ich kenne die Regeln, nach denen gespielt wird. Wenn es aber, wie bei jeder zweiten Con, dazu kommt, dass ein unsterbliches Wesen erscheint, dass nur mit Hilfe eines magischen Artefaktes besiegt werden kann, wozu man diverse Zwischenschritte absolvieren muss, um es zu erhalten, dann stehe ich vor einer Plot-Wand. Mein vorheriges Wissen, meine ganze Welterklärung, fällt in sich zusammen und sie wird nicht durch die neuen Tatsachen ersetzt. Es ist einfach ein Loch an Erklärungen da. Wieso ist das Wesen unsterblich? Das ist halt so. Wieso kann es nur durch dieses Artefakt besiegt werden? Das ist halt so. Wieso muss ich Sackhüpfen, Kartoffelwettschälen und Eierlauf machen, um es zu erhalten (das ist wirklich auf einer Con passiert)? Das ist halt so.

Man kann für die Antwort, das ist halt so, auch weil-Magie einsetzen. Der Effekt bleibt der gleiche: es verhindert oder zerstört Spiel. Ich habe jetzt nämlich keine Möglichkeit mehr, kreativ auf die Ereignisse Einfluss zu nehmen. Ich muss mich in die Schiene des Plots reinzwingen und ihn genauso erledigen, wie die SL das will. Ich weiß aber nicht, was die SL will und oftmals kollidiert das auch mit dem Weltbild meines Charakters. Es macht für ihn einfach keinen Sinn, wenn Khorne-Berserker und Sigma-Priester sich gemütlich gemeinsam am Lagerfeuer Geschichten austauschen. Ich kann erst dann sinnvoll handeln, wenn ich mich in dieser Situation zurechtfinde.

Ich wähle mal ein eindeutigeres Beispiel, welches mir letztens untergekommen ist. Ich spiele Pathfinder Kingmaker. Als König, mit vielen voll ausgebauten Städten im Reich, wache ich eines Tages auf und sehe, dass statt meinem Thron nur noch ein Hocker da steht. Die Erklärung kommt prompt. Euer Hoheit, ein Goblin hat sich hier rein teleportiert, sich den massiven Thron geschnappt und bevor noch irgendwer was machen konnte, hat er sich wieder heraus teleportiert. Meine Stirn als Spieler wird runzelig. Habe ich nicht genau wegen so einen Quatsch eine Magierakademie in meine Hauptstadt gebaut, die laut Beschreibungstext sogar exakt das verhindern sollte?  Tja, das sah die Setzung anders. Anstatt einer Erklärung, bekomme ich nur folgende Dialogoption: Schade, dann müssen wir auf unseren Abenteuer Hinweise finden, die uns zum Dieb führen.
Im Rollenspiel hätte ich gesagt: Genial! Wir bilden ab sofort nur noch Teleportkrieger aus. Wenn der Zauber so pille palle ist, dass selbst ein dummes, stumpfes Wesen wie ein Goblin ihn so beherrscht, dass kein Schutz dieser Welt ihn davon abhalten kann, einfach überall hinzukommen, selbst wenn er den Ort vorher noch nie gesehen oder betreten hatte, dann wird das unsere neue Massenvernichtungswaffe. Und warum hätte ich das im Rollenspiel sagen können? Weil ich dort ein Anrecht darauf habe, dass sich jede Setzung in die Erklärung der Welt einfügen muss. Das heißt, ich kann mit ihr arbeiten, sie greifbar machen und am Ende auch für mich verwenden. Das geht nicht, weil das ist halt so – würde sofort zu erbitterten Diskussionen am Tisch führen. Rollenspiel lebt von Erklärungen. Ich löse Situationen ja meistens, weil ich mir eine kreative Lösung überlege und das geht nur mit dem Erfassen einer erklärbaren Situation. Ich weiß, es gibt viele Spieler, die würfeln lieber. Die versuchen gar nicht Argumente zu finden, um jemanden zu überzeugen, sondern lassen die Würfel tanzen und sagen dann, er sei überzeugt. Aber man merkt, wie viel Spiel hier bereits durch die Setzung des Würfelns verloren geht.

Spiel ist alles

Das ist mein Credo beim Rollenspiel. Ich versuche alles zu vermeiden, was ein Spiel stört. Damit ist das High-Fantasy-Setting, was seinen Reiz und seine Wirkmächtigkeit vor allem aus Setzungen bezieht, für mich ein Gräuel. Natürlich kann es auch viel erklären, aber meistens sehe ich, wie sich Spieler und Spielleiter auf der eher setzenden Natur des Settings ausruhen. Das ist aber ein Paradoxon. Denn die Situation wird im Grunde nicht einfacher, weil sie keine Erklärung besitzt. Sondern gerade weil scheinbar widersprüchliche oder gar zusammenhangslose Dinge passieren, entziehen sie sich immer weiter unserem Verständnis und damit unserer Möglichkeit damit zu interagieren. Das gilt übrigens nicht nur auf Spielleiterseite. Mit der Frage nach unerklärter Macht sind sehr viele Diskurse im Rollenspiel verbunden. Da jammern zum Beispiel Spielleiter, dass ihre Stufe 30 Charaktere Götter töten und sie nicht mehr wissen, welche Gegner sie einbauen sollen. Sie kommen gegen die Macht der Spieler nicht mehr mit ihrem herkömmlichen Herausforderungskonzept an. Die Macht nimmt ihnen jede Möglichkeit zum Spiel. Natürlich gibt es dafür Lösungen und zwar fernab der oft beschworenen Reduzierung der Charakterwerte oder ihrer Ausrüstung. Das macht nämlich überhaupt keinen Spaß und entwertet die Spielzeit der Charaktere für ihre Macht, ohne, dass sie etwas dagegen tun können. Aber das jetzt genauer zu besprechen, würde zu weit gehen.

Dennoch würde in einem Low-Fantasy-Setting so etwas nicht geschehen und in einem Sci-Fi-Setting erst recht nicht. Da ist es genau umgekehrt. Wenn man da einen Trecki in der Runde sitzen hat, bombardiert er die Spielleitung mit pseudo-wissenschaftlichen Fakten, die aber alle irgendwie Sinn machen. Da ist dann plötzlich zu viel Erklärung da. Sci-Fi ist nämlich gezwungen alles zu erklären. Man kann zwar auch hier versuchen zu sagen, das ist halt so. Aber jeder Sci-Fi-Fan ist deswegen Sci-Fi-Fan, weil er die Wissenschaft im Namen des Settings schätzt und Wissenschaft funktioniert nur mit Erklärung. Ein Schiff ohne Triebwerk starten zu lassen, was in der Fantasy möglich wäre, führt zu einem Protest beim Sci-Fi-Fan. Aber das macht dieses Setting wiederum für mich interessant. Denn dadurch bin ich gezwungen, mir Erklärungen auszudenken, was meinen ganzen Plot auf eine spannende Weise vertieft. Warum ist da ein Alien? Weil es geschlüpft ist? Also gibt es Eierschalen oder andere Hinweise, aber wo kommt es her? Seine DNA wurde aus einem Fossil nachgebaut. Also gibt es eine archäologische Expedition und ein Genlabor usw.
Das erschafft sehr viel mehr Tiefgang, als ein: jo, der Boss ist ein Dämon. Alle schlucken das, weil man es in der High-Fantasy gewöhnt ist, solche Tatsachen zu schlucken. Natürlich kann sich auch die High-Fantasy entsprechende Fragen stellen und damit Erklärungen schaffen. Aber sie muss es eben nicht, Setzungen genügen ihr. Wenn der krasse Dämonenbeschwörer mit dem Finger schnipst, dann kann er das, weil er der krasse Dämonenbeschwörer ist. Mehr Erklärung gibt es nicht und das ist für die Spielergruppe auch ausreichend. Das vage und flexible Konzept der Magie an sich, verbietet da bereits genaue Erklärungen. Wenn man doch mal versucht, sich ein strenges Magiesystem aufzubauen, kommt man gerade im Larp sehr schnell in Konflikt mit anderen Spielern und ihrem Magiesystem (ähnliches gilt für das Glaubenssystem). Jeder meint hier die Wahrheit gepachtet zu haben, denn jeder will sich diese Setzung irgendwie erklären. Ironischerweise lebt aber High-Fantasy davon, dass besonders die Magie und Götter unerklärt bleiben.

Am Ende des Tages hat man also immer das Risiko in einen High-Fantasy-Setting durch unausbalancierte Machverhältnisse oder widersprüchliche, unverstehbare Situationen frustriert zu werden. Ich habe mein Heil in der Low-Fantasy mit ihren einfachen, natürlichen Problemen gefunden. Aber wie seht ihr das? Schreibt mir eure Meinung in die Kommentare!

4 Gedanken zu „Setzung und Erklärung – Die große Schwäche der High-Fantasy

  1. Andreas (RPGnosis)

    Ich würde da nicht LARP und P&P in einen Topf schmeißen. Von ersterem ist die größte Schwäche mAn der von dir genannte fehlende gemeiname Hintergrund, Hinz und Kunz kann alles Mögliche sein und erzählen, es gibt kaum geschlossene Welt mit vernünftigen Setzungen. Quasi das Gegenteil, was eigentlich gute Fantasy ausmacht, gerade wenn man von Tolkien ausgeht (der Fairy Tale-Aufsatz).
    Gleichermaßen kann man auch Low Fantasy ohne gute Erklärungen spielen, ich glaube das hängt nicht vom „Magiegrad“ ab, sondern vielmehr vom Anspruch und Können der Hintergrund-, Regel- und Plotschreiber sowie des individuellen SL, eine glaubwürdige Welt zu erschaffen. die secondary belief ermöglicht. Da beißt’s leider bei vielen aus, nicht nur, aber auch gerade bei der Verschränkung von Regeln und Hintergrund.

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    1. Ariatros Artikelautor

      Vielen Dank für deine Antwort!
      Ich weiß leider nicht, was du mit secondary belief meinst, könntest du das bitte genauer erläutern (gerne auch den Fairy Tale-Ansatz)?
      Ich hab zwar so eine Ahnung, in welche Richtung das Argument geht, bin mir aber nicht sicher. Ich denke, du meinst, dass Low-Fantasy von ihrer Veranlagung her so gut vorstellbar ist, weil sie viele bekannte oder vertraute Konzepte beinhaltet, die sich logisch aus dem eigenen Wissenschatz ableiten lassen, sodass immer eine gewisse Handlungssicherheit herrscht, oder?
      Auf jeden Fall gibt es einen Unterschied zwischen PnP und Larp, was Setzungen angeht. Im Larp ist man aus physikalischen Gründen dazu gezwungen, auf bestimmte Arten und Weise etwas darzustellen. Die Setzungsfreiheit im PnP ist da unbegrenzt und damit auch die Gefahr der Widersprüche. Das grundlegende Problem bleibt meiner Meinung nach aber bei beiden das gleiche: du willst eine Geschichte erzählen, den Spielern ein tolles Erlebnis bieten oder auf Spielerseite einen besonderen Charakter darstellen. Jetzt kommen mit dem High-Fantasy-Setting bestimmte Erwartungen, die bedient werden wollen und eine Erzähllogik, die eher das Besondere im Blick hat. Es gibt dir, meistens durch Magie, auch ein bequemes Erklärungsprinzip an die Hand. Sicherlich kann man sagen, wenn die Leute mehr Anspruch hätten, würden die auch ihre Setzungen mehr überdenken, mein Argument ist aber, dass das Setting durch seine, mit ihm verbundenen Erwartungen und seine Erzähllogik sehr zu Setzungen verführt. Es ist selbstverständlich Untote oder Bestien im Wald zu treffen, sie kaputt zu hauen und dann weiterzuziehen. Dahinter kann eine Geschichte stecken, muss es aber nicht. Bei einen Low-Fantasy-Setting ist das schon fast das höchste der Gefühle und es MUSS eine Geschichte dahinter haben. Am Ende sind das vielleicht kollektive Vorstellungen, die die häufigen Setzungen und die wenigen Erklärungen bedingen, aber ich lehne mich aus dem Fenster und sagen, dass es gleichzeitig inkorperierte Vorstellungen sind. Das heißt, dass die Erwartungshaltung an das Setting so verfestigt ist, dass bestimmte Dinge (Magie, Götter, Dämonen) so selbstverständlich sind, dass eine Erklärung kaum bis gar nicht mehr benötigt wird.

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      1. Andreas (RPGnosis)

        Hab zu Tolkiens Secondary Belief mal einen Artikel geschrieben: https://rpgnosis.wordpress.com/2018/07/24/abschied-von-der-suspension-of-disbelief-oder-tolkien-hat-was-besseres/
        Genau das ist mAn das, was Rollenspiele brauchen – nicht „suspension of disbelief“, sondern Konsistenz und Plausibilität, blöd gesagt sowas wie „geistige Simulierbarkeit“: Auch in der High Fantasy-Welt braucht es eine gute Erklärung, warum da Skelette durch den Wald stromern. Weil man als Spieler wie als Held ständig Fragen an die Welt stellen darf wie „kommt das hier öfter vor, wie gehen die Holzfäller damit um, wo kommen die ganzen Leichen eigentlich her, gibt es nicht irgendwo Magier, die das untersuchen, dass hier ständig Untote unterwegs sind?“ etc. etc. pp.
        High Fantasy erschwert zweifellos secondary belief, da mehr Magie mehr Interaktionsmöglichkeiten mit der „gewohnten Fantasy-Mittelalter-Vorstellung“ hat und letztere deswegen stärker hinterfragt werden müssen als in einer Low Fantasy-Welt, wo Magie vielleicht auch mächtig, aber selten ist. Das ist (für mich) eins der Hauptprobleme von HF – wenn das Besondere dort quasi Normal ist, verliert es sehr viel von seinem Zauber, gerade wenn man „richtig rollenspielen“ (= Entscheidungen aus der Perspektive des Charakters treffen) will – denn ein Charakter hat in einer Welt, wo Magie alltäglich ist, wahrscheinlich kaum einen sense of wonder.

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