Hausregeln – Notwendigkeit oder Überheblichkeit?

Da ich momentan viel auf der Grundlage von Warhammer 40k selbst an Kampagnen und Spielregeln schraube, wollte ich mal die Frage diskutieren, wie sinnvoll eigentlich Hausregeln sind. Tatsächlich begegne ich ihnen relativ häufig, besonders in langjährigen Runden. Das betrifft nicht nur PnP, sondern auch Tabletop. Wobei es beim PnP da nochmal einige Unterschiede gibt. Wenn wir uns an DSA 4 zurückerinnern, einer Edition voller Regeln, haben da zahlreiche Spieler die Regellast einfach reduziert, indem sie nicht alle Regeln verwendet haben. Das ist vom Spiel teilweise auch so gebaut und damit funktional. Ich will mich hier deshalb mehr auf tatsächliche Eigenkreationen von Regeln konzentrieren.

Wie entstehen Hausregeln?

Ich denke, jeder kennt die Lage. Durch mehrmaliges Spielen wiederholen sich bestimmte Spielsituationen, die sich unrund, unauthentisch oder unfair anfühlen. Gleichzeitig meint man aber zu wissen, wenn man nur eine oder wenige Variablen verändert, eine Ausnahme zulässt oder eine neue Regel erfindet, um die gedachte Schwachstelle auszubeulen, dann wird das Spielerlebnis verbessert. Achtung Wortwitz: in aller Regel funktioniert das auch sehr gut. Das kann einen ausreichend motivieren, um auch noch andere, vermeintliche Verbesserungen am Regelsystem vorzunehmen. So werden die Hausregeln geboren.

Es gibt allerdings einen Grund, warum ich die ganze Zeit im Konjunktiv spreche. Diese Schwachstellen müssen nämlich keine sein. Der gewöhnliche Spieleentwickler baut und prüft sein Werk normalerweise genau. Wenn es diese scheinbar störenden Regeln gibt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dafür ein Grund existiert. Das kann etwa ein spezielles Spielgefühl oder die Spielbalance sein. Auf jeden Fall sollte man nicht davon ausgehen, dass die Entwickler ihre möglichen Regelreibungen nicht kennen. In Hausregeln steckt also eine gewisse Ambivalenz, auf die ich näher eingehen will.

Welche Vorteile haben Hausregeln?

Hausregeln funktionieren dann besonders gut, wenn sie, wie der Name schon sagt, im eigenen Haus eingesetzt werden. Das hat gewissermaßen einen psychologischen Hintergrund. Wir sind eine Gruppe und tasten uns gemeinsam durch den Regelwust eines Systems. Das heißt, auch unsere Erfahrungen mit dem System sind grundsätzlich ähnlich. Das liegt an der Struktur, dass die Spielleitung meistens die Abenteuer baut und in das System einführt. Sie ist damit auch für die Regeln die zentrale Anlaufstelle. Ihre Erklärungen und ihr Regelverständnis färbt die Spielweise aller anderen am Tisch. Das ist in soweit auch vollkommen in Ordnung, denn dadurch einigt man sich quasi per Konsens über das Spielerlebnis auf eine bestimmte Spielweise. Hier nicht alle Regeln zu verwenden oder Regeln zu modifizieren ist eine gute Sache, denn es geht um das hauseigene, gewachsene Spielerlebnis. Hausregeln passen das System auf die Vorlieben der eigenen Gruppe an. Wenn sich alle darauf einigen, dass eine bestimmte Regel irgendwie stört, lässt sie sich innerhalb der Gruppe so abändern, dass das Spielerlebnis für alle verbessert wird. Das ist, meiner Meinung nach, der wichtigste Vorteil von Hausregeln.

Welchen Nachteil haben Hausregeln?

Das gilt jedoch auch umgekehrt. Wenn jemand die Regeln des Systems bereits kennt und sie einfordert, kommt es automatisch zu einem Konflikt. Den der neue Spieler bringt den Wunsch nach seinem Spielerlebnis mit sich. Wenn dieses vor allem über die normalen Regeln geprägt wurden ist, kann er sich auf die Autorität des Regelwerkes berufen, um seine Spielweise durchzusetzen. Das wird dann für die Spielleitung kritisch, die für die Hausregel für gewöhnlich verantwortlich gemacht wird. Denn sie wird in einer ihrer Kernkompetenzen angegriffen, die sie aber notwendig ausfüllen muss, um die Ordnung am Spieltisch herzustellen. Das heißt, neue oder regelerfahrene Spieler müssen von den Hausregeln erst überzeugt werden. Sie müssen sich den vorherrschenden Konsens anschließen. Das kann sich aber umso schwieriger gestalten, desto mehr die Hausregeln weitere Regeln berühren. Jede neue Regel fordert das Gesamtregelwerk heraus.

Fazit

Es gibt verschiedene Einstellungen zu Regeln. Für einige sind sie anstrengender Ballast, der das Spielverlangsamt, für andere eine Art mathematische Herausforderung, um das Spiel zu besiegen. Je nach Einstellung wird die Reaktion auf Hausregeln also anders ausfallen. Ich persönlich halte den Aspekt der sozialen Aushandlung für wichtig. Auf eine sklavische Regelnutzung zu beharren ist nur dann sinnvoll, wenn ansonsten eine Instabilität für das Gesamtsystem droht, etwa weil dann bestimmte Fähigkeiten so stark werden, dass nur noch diese verwendet werden oder ein ganz bestimmtes Spielgefühl verloren geht.

Hausregeln können wunderbar funktionieren und das Spielerlebnis für die eigene Gruppe optimieren. Sie müssen aber vorsichtig implementiert und vor allem offen mit den anderen Spielern besprochen werden.

5 Gedanken zu „Hausregeln – Notwendigkeit oder Überheblichkeit?

  1. Andreas (RPGnosis)

    Wichtiges Thema. Dazu habe ich vor einiger Zeit schon mal einen Artikel geschrieben: https://rpgnosis.wordpress.com/2016/01/07/by-the-book-ad-hoc-und-hausregeln-karneval-der-rollenspielblogs/

    Allerdings:
    „Der gewöhnliche Spieleentwickler baut und prüft sein Werk normalerweise genau. Wenn es diese scheinbar störenden Regeln gibt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dafür ein Grund existiert. (…) Auf jeden Fall sollte man nicht davon ausgehen, dass die Entwickler ihre möglichen Regelreibungen nicht kennen.“

    –> Das möchte ich bei allem gebotenen Respekt in berechtigten Zweifel ziehen. Und zwar zunächst die Verallgemeinerung „des“ Spieleentwicklers (ist das der Regel- oder Kapitelautor, der Redakteur oder gar ein beliebiger Hintergrund- oder Abenteuerschreiber?), sobald mehr als eine Handvoll Autoren beteiligt sind. Je größer ein System wird, desto schwieriger ist natürlich der Überblick; DSA 4, als genanntes Beispiel, hat mit der 4.1-Version ja einen Versuch gemacht, ein in sich konsistentes Gesamtregelwerk zu schaffen, das aber auch viele Abenteuerautoren schon nicht mehr im Kopf hatten, trotz guter redaktioneller Betreuung und teilweise Austausch ganzer Regelbereiche (Elementarbeschwörung mit Logarithmus-Rechnung anyone?).

    Und natürlich sollte man vor der reinen Kreativ- und Handwerks-Leistung Respekt haben, den die Erschaffung eines eigenen Rollenspiels darstellt. Gleichzeitig sieht man dabei aber auf der einen Seite viel undurchdachtes Zeug, auf der anderen meist wenig regelmechanische Fortschritte. Wieviel tausend D&D-Klone bevölkern das Land und werden als eigene Spiele vertrieben? Ich glaube, dass schlechte Regelsysteme ein nicht zu vernachlässigender Grund für Systemhopping und den seit mindestens zwei Jahrzehnten entstandenen Überdruss an rules-heavy-Spielen sind.

    Für die eigene Runde sind Hausregeln meist eine gute Sache – aber wie du sagtest, man sollte sich vorher wirklich Gedanken machen, was es braucht und was die HR bewirken, wie sie mit anderen Bereichen interagieren etc. – da kommt man am Lernen seines Handwerkszeugs auch durch Fails nicht vorbei.

    Antworten
    1. Ariatros Artikelautor

      Erst einmal vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und den Link!
      Ich finde es interessant, wie unterschiedlich die Erfahrungen in Hinblick auf Regelerschaffung sind. Ich selbst bin ein Ein-Mann-Entwickler und in den Spielebauworkshops hatte ich bisher nur andere Ein-Mann/Frau-Entwickler kennengelernt, deswegen ging ich da zu selbstverständlich von dem „gewöhnlichen Spieleentwickler“ aus. Aber du hast natürlich recht, das ist nur mein spezifisches Bild von Spieleentwicklern und darum bin ich auch dankbar, dass du da die Perspektive erweitert hast.
      Was du ansprichst ist für sich genommen nochmal ein spannendes Thema. Tatsächlich kann ich aber zu Systemhopping wenig sagen, da weder ich, noch Spieler, die ich kenne, es betreiben. Aber wenn ich in den PnP-Vereinen unterwegs bin, kann ich da deiner Ansicht nur zustimmen. Da gibt es eine breite Abneigung an zu vielen Spielregeln und den Wunsch, immer mal wieder was Neues ausprobieren. Die Frage ist da natürlich, welchen Anteil daran Regeln haben. Rollenspieler, und ich weiß, das ist wieder eine unzulässige Verallgemeinerung, die meiner Erfahrung entspringt, sind häufig kreativ. Das Entstehen von Hausregeln sehe ich als natürlichen Prozess, um die Qualität des Spielerlebnisses zu verbessern. Also man merkt ja in einer Runde, was stört und ob man sich selbst nicht was einfallen lassen kann, damit das Spiel wieder besser funktioniert. Ich hatte noch nicht erlebt, dass aufgrund des Regelwerkes gesagt wird, das ist so unrettbar spaßzerstörend, dass wir deswegen auf ein anderes wechseln. Meine Erfahrung ist eher die, dass man dann einfach selbst daran rumbaut. Vielleicht hattest du da ja schon andere Erfahrungen?

      Was mich mal noch interessieren würde, wäre, was du mit dem undurchdachten Zeug meinst? Irgendwie kommt mir da die Computerspiel-Parallele in den Sinn. Ich will auch nicht den tausendsten Diablo-Klon spielen, weil etwa die Loot-Spirale nicht funktioniert oder das Skillsystem unbalanciert ist. Dennoch gibt es echte Diablo-Alternativen. Ich frage mich, ob das im PnP-Segment ähnlich abläuft. Also dass du siehst, oh, D&D verkauft sich gut, lass mal schnell ein eigenes Produkt entwickeln und schnelles Geld machen. Ich weiß nicht, ob der Markt groß genug ist, damit so eine Strategie aufgeht. Es gibt auf jeden Fall eine Unmenge von kleinen Systemen da draußen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele schon allein auf Kickstarter entwickelt werden. Aber die haben meiner Meinung nach, dasselbe Problem wie die Indie-Spiele auf Steam: sie bekommen zu wenig Aufmerksamkeit und wie sollen die sie auch bekommen? Es gibt leider keine große PnP-Plattform, weil dafür wahrscheinlich die Nachfrage, zumindest hier in Deutschland, zu gering ist.
      Allerdings selbst wenn es solche Strategien gibt, will ich zumindest die Spieleentwickler in Schutz nehmen, die ich bisher kennenlernen durfte. Da gab es keinen, der nicht ein gutes Spiel als Anspruch an sich selbst herausbringen wollte. Also klar, die reden auch über Zielgruppen, Trends usw. aber zumindest die Spieleentwickler, die ich bisher interviewt habe oder die auf den Workshops kennenlernen durfte, hatten sich sehr viele Gedanken um ihr Regelsystem gemacht. Von denen habe ich u.a. genau diese Argumente der gefährdeten Systemstabilität, wenn man Hausregeln einsetzt. Ich selbst nutze ja auch ein modulares System, welches auch noch eine regellastige und regelsanfte Nutzung kennt. Ich beschäftige mich also gar nicht mal so sehr damit, wie stark sich einzelne Regeln auf das Gesamtsystem auswirken. Das bekomme ich dann im Spiel muss und gegebenenfalls nach justieren. Aber die konnten eine Stunde am Stück darüber sprechen, was eine winzige Regeländerung für Folgen für das gesamte Spiel haben konnte. Das war schon sehr faszinierend. Deswegen war es mir glaube ich auch so wichtig, dass diese Perspektive stark gemacht wird.

      Antworten
    1. Ariatros Artikelautor

      So Klausuren sind vorbei, jetzt habe ich auch wieder etwas Zeit, um zu antworten.
      Das kann ich gerne nochmal in einen gesonderten Beitrag machen. Ich habe unter Projekte einen Beitrag, da baue ich gerade an einem Regeldokument für eine narrative Koop-Kampagne gegen eine KI. In den bisherigen Spielen funktioniert das ganz gut. Ich füge da etwa Regeln ein, dass die Einheiten pro Phase abwechselnd, als du und dein Gegner nacheinander, aktiviert werden, was deutlich mehr Taktik, Fairness und Dynamik erzeugt. Aber ich kann gerne mit einigen Bildern von den Erfahrungen der bisher ausprobierten Regeln berichten ^^

      Antworten
    2. Ariatros Artikelautor

      http://spielosophie.com/?p=689

      Hier ist der Link. Da findest du das Dokument. Ich kann da gerne mal ein Spielbericht zu anfertigen. Glaub mir, 40k wird plötzlich ein ganz neues Spiel.
      Was ich vor allem aber wichtig finde, du nimmst diesen enormen Frustrationsfaktor raus. Das derzeitige 40k ist im Grunde ein DPS-Rennen, in der direkt mal in der ersten Runde die halbe Armee sterben kann. Deswegen musst du immer egoistischer und kleinlicher Regeln kennen und nutzen, um überhaupt eine Chance zu haben. Kooperativ gegen eine KI zu spielen ist so viel entspannter. Selbst wenn man verliert: hey, man hat gegen eine KI verloren, das ist nicht schlimm. Da freue ich mich auch immer über Feedback. Die strategischen Regeln (Gebäudebau, Völkerfähigkeiten usw.) sind noch im Aufbau. Ich will erstmal den Regelkern fertig bekommen. Das Dokument ist also eine Alpha-Version, mit Bugs und Kanten, aber man kann sie verwenden.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Ariatros Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.