Open World in einem PnP – eine Utopie?

Ein Großteil aller Rollenspieler wird wahrscheinlich Elder Scrolls: Skyrim kennen oder selbst gespielt haben. Es war zwar bei weitem nicht das erste Spiel mit einer Open World, aber womöglich das Spiel, mit einer der populärsten Open Worlds. Wie verführerisch ist also der Gedanke, dieses Entdeckungskonzept auf ein PnP anzuwenden? Ich habe den Versuch gewagt, eine Open World für ein Abenteuer zu bauen und will euch hier von meinen Erfahrungen berichten.

Was macht das Open World Erlebnis aus?

Auch wenn diese Frage von jeden wohl ein wenig anders beantwortet wird, steht, zumindest wenn das große Vorbild Skyrim betrachtet wird, die Erkundung der Spielwelt und die Zufälligkeit des Erlebnisses im Mittelpunkt. Wenn ich mit Freunden Geschichten über Skyrim austausche, dann handeln sie darüber, wie schön bestimmte Orte waren, ob man schon Ort X entdeckt hat, welche Kuriositäten einem geschehen sind oder wie knapp man mit nur wenig Leben eine Situation überstanden hatte. Die Open World ist eine Sandbox und erschafft aus sich heraus viele erinnerungswürdige Momente. Der Fokus liegt also nicht auf der klassischen, im PnP durchgeskripteten, Geschichte, sondern auf der Freiheit seine eigenen Geschichten in der Sandbox zu entdecken. Damit das funktionieren kann, arbeiten im Hintergrund von Open Worlds zig Algorithmen, deren Zusammenspiel zu den kuriosen Begegnungen oder aber zumindest zu der Lebendigkeit der Welt führt, für die Open Worlds bekannt sind. Zudem ist die Welt so aufgebaut, dass der Spieler belohnt wird, abseits klarer Hauptpfade auf Erkundungstour zu gehen. In jeder Höhle lockt eine Belohnung, auf jedem Gipfel eine atemberaubende Aussicht. Doch genau hier offenbart sich eine scheinbare Unvereinbarkeit mit dem PnP. Da mir keine App bekannt ist, die eine ähnliche Ereignisdichte im Hintergrund simulieren kann, scheint ein hoher Aufwand auf die SL zu zukommen, wenn sie eine Open World bei sich umsetzen wollen würde. Wie lässt sich das also bewerkstelligen?

Wie lässt sich das Open World Erlebnis umsetzen?

Von den aufgezählten Erlebnissen lassen sich zumindest bestimmte im PnP reproduzieren. Ich habe mich zunächst auf die Erkundung der Karte und auf eine gewisse Dichte an Nebenquests konzentriert. Ziel der Hauptquest war es, ein besonderes Schwert zu finden. Die Spieler hatten von Beginn an keinerlei Hinweise, wo sich dieses befindet, nur dass es sich irgendwo innerhalb der von mir gebauten Open World finden lässt. Mehr als diesen Anstoß zu suchen, hat es auch nicht bedarf, da die Spieler genug andere Spielmöglichkeiten finden würden, um ihren Spaß zu haben.

Die Karte habe ich in Vierecke aufgeteilt. Immer wenn die Gruppe den Rand eines Kartenvierecks berührt hatte, habe ich ihnen den neuen Schnipsel geschickt. Dazu habe ich zwei Karten entworfen. Eine für mich, mit allen Objekten und Quests sowie eine für die Spieler, wo ein Großteil dieser Dinge unsichtbar war. Sie wussten nun aber, wenn sie bestimmte Wege durch die Vierecke nehmen, dort aufgemalte Gebäude oder Anomalien untersuchen, können sie auf Quests, Ereignisse oder NSCs stoßen. Das setzt natürlich eine entsprechend hohe Dichte voraus.

Die Open World aufzubauen, war also schon mit einigen Mühen verbunden. Ich musste nicht nur eine irgendwie sinnvoll zusammenhängende Oberfläche malen, sondern diese auch noch mit spannenden Hotspots füllen. Einmal bin ich dabei in ein liebloses Setzen abgerutscht, was zur Folge hatte, dass die Spieler zwar das Objekt entdeckt hatten, aber weil ich mir keine Geschichte oder große Interaktion damit überlegt hatte, verließen sie es einfach wieder mit einem Schulterzucken, was uns zur nächsten Frage bringt.

Wie wurde das von den Spielern aufgenommen?

Sie erkundeten die Umgebung mit Freunde. Es kam ein richtiges Abenteuergefühl auf. Was liegt wohl am Rand des Vierecks? Was wird uns in den Dünen dort erwarten? Finden wir in der Höhle wieder einen neuen Quest? Das waren die Fragen, die die Suche angetrieben hatten. Es war eine gewisse Wanderlust zu verspüren, die dazu führte, dass die Spieler die Hauptquest vollkommen ignoriert haben und sich in Nebenquests verloren.

Diese Aneinanderreihung von durchdachten Begegnungen im Tempo und auf den eigenen Weg der Gruppe, führte zu einem erfrischend anderem Spielerlebnis. Es ist häufig eher so, dass Spieler nach den Strohhalmen greifen, die ihnen die SL hinhält, damit sie im Abenteuer weiterkommen. Hier war es jedoch so, dass es so viele mögliche Wege gab, die ihnen allen Spiel boten, dass sie sich wie an einem Büffet vorgekommen sind. Sie wollten alle Fragezeichen auf der Karte abarbeiten. Erst, also das tatsächlich passiert war, musste ich überhaupt Zufallsereignisse einfügen. Das Problem an ihnen war, dass sie, im Gegensatz zu den wohlplatzierten Hotspots, tatsächlich zufällig und wie reingeworfen wirkten. Die Einbettung der Hotspots hat maßgeblich zum Suchspaß beigetragen.

Erleichterung für die Spielleitung?

Einen anderen, spannenden Effekt konnte ich zusätzlich bei aufeinanderfolgenden Spielsitzungen beobachten. Am Anfang waren die versteckten Quests nicht miteinander verbunden und existierten lokal und abgeschlossen für sich hin. Je mehr Quests die Gruppe jedoch abschloss und je mehr sie selbst Verbindungen zwischen den einzelnen Quests sahen, umso mehr Geschichte flog mir zu. Ein verrückter Einsiedler in einem Bus, der nur dafür da war, gegen Schnaps den Weg in einen Spalt zu zeigen, wurde plötzlich das Mitglied einer alten Militäreinheit, dessen Anführer der Hauptquestgeber war. Den in einer anderen Quest, wurde ein Foto gefunden und die Spieler fragten sich, ob die NSCs, die sie bisher getroffen hatten, darauf zu sehen war. Ein Hinterhalt von Sandleuten, der einfach nur als Kampf geplant war, nutzt plötzlich das Notsignal eines Kolonisten, um die Spieler anzulocken. Nachdem Kampf wird die Verbindung zum Hauptquestgeber geprüft. Der tote Kolonist weist plötzlich Spuren der Aussetzung und Verbannung auf. Der Verrückte wird dazu befragt und verweist auf die dunkle Seite des Hauptquestgebers. Jetzt buddelt die Gruppe nach Geheimnissen, um mehr über ihn herauszufinden.

Ich hatte zwar am Anfang sehr viel Vorbereitungsaufwand, aber die letzten Runden habe ich nur noch die Geschichten der Spieler weitergesponnen. Das Konzept der Selbstgeschichtserzählung funktioniert tatsächlich auch im PnP. Mein Aufwand als Spielleitung ist verhältnismäßig gering, nach der Initialsitzung, doch die Welt und ihre Bewohner gewinnen mit jeder Sitzung an Tiefe.

Fazit

Das Open World Erlebnis ist im PnP durchaus möglich. Es muss, meiner Meinung nach, zwar auf bestimmte Aspekte, wie bei mir die Entdeckung, reduziert werden, doch in diesem kleineren Rahmen entfaltet es eine ähnliche Wirkung, wie in den Computerspielvorlagen. Das ist natürlich alles mit Vorbehalt zu genießen. Ich hatte einen hohen Vorbereitungsaufwand für die Initialsitzung und natürlich gibt es auch Spieler, die lieber eine gut durchgeskriptete Geschichte erleben wollen. Ich kann aber sagen, aufgrund der gut portionierbaren Menge Abenteuer (wir wollen nur noch das nächste Viereck aufdecken/ Fragezeichen abarbeiten/ mit dem NSC reden dann hören wir auf), der Selbsterzählkraft der Open World und des frischen Erlebnisses kann ich diese Mühe zum Probespiel allerdings empfehlen.

9 Gedanken zu „Open World in einem PnP – eine Utopie?

  1. ghoul

    Bravo! Hört sich nach einer spannenden Kampagne an!

    Wir von der PESA leiten auch eine Open-World-Kampagne:
    https://ghoultunnel.wordpress.com/2021/02/23/die-wilden-gestade-von-habichtgrau-zwischenbilanz/
    Dort ist die Spielerkarte zu sehen. Jeder SL hat eine eigene Hexfeldkarte seiner Subregion, befüllt nach dem Zufallsverfahren aus dem Dungeon Master’s Guide.
    Die Wilden Gestade sind sogar offen für neue und wechselnde Spieler.

    Tatsächlich halten wir Open World für den Goldstandard des Abenteuerrollenspiels.

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    1. Ariatros Artikelautor

      Vielen Dank für den Link, habe direkt mal reingeschmökert ^^
      Wie genau macht ihr das? Die Gruppe sagt, ich will in einer Region spielen, darauf wird die SL der Region aktiv und wechselt wieder, wenn die Gruppe die Region verlässt? Wie baut ihr die Subregionen? Nutzt ihr große Zufallstabellen, um Ereignisse auszuwürfeln oder macht ihr das wie ich, dass quasi Landschaft und Quests handgebaut sind?
      Gibt es ein Beispielabenteuer, in dem man nachlesen kann, wie so eine Runde bei euch abläuft?
      Das waren jetzt viele Fragen ^^“ aber ich finde das Thema sehr spannend 🙂

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  2. ghoul

    Jeder SL hat eine eigene feste Subregion. Die Welt ist das offizielle Greyhawk von Gary Gygax. Die Tools zum Ausarbeiten der (SL-) Hexfelder sind im DMG. Jeder SL bietet Sessions in seinem Gebiet an, SC können hin- und herreisen. Die Details handhaben die SL ganz unterschiedlich.

    Wenn es dich sehr interessiert (also genug, um mal mitzuspielen) maile mir einen Discord-Account-Namen, an den ich den Einladungslink schicken kann. Mitspielen ist die einzige sinnvolle Art, um einen tieferen Einblick zu bekommen.

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    1. Ariatros Artikelautor

      Vielen Dank für das Angebot. Tatsächlich hätte ich Interesse mal einen Einblick zu erlangen. Habt ihr feste Spieltermine? Wie lange gehen in etwa eure Sitzungen?

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      1. ghoul

        SLs schreiben auf Discord Runden aus, meist für eine Session, Spieler melden sich für die Expedition an.
        Manche bieten feste Questen an, andere Posten Gerüchte und stricken dann Abenteuer aus dem, was am meisten Interesse bei den Spielern geweckt hat. Ganz unterschiedlich also.

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  3. John Doe

    Schöner Artikel! Was mich noch interessiert: Ging die Quest mit dem Schwert auch voran?
    Die Frage drängt sich irgendwie auf, wo du ja schon den Vergleich zu den Eldar Scrolls-Spielen gezogen hast. Skyrim habe ich nicht gespielt, aber Oblivion und Morrowind bis zum Abwinken. Und ich erinnere mich, dass es meistens spannender war, die Welt zu erkunden, als den Hauptplot zu spielen.
    Wie lief das bei euch? Hast du die Haupthandlung im Vornherein durchgeplant oder organisch an den Weg der Spieler:innen angepasst?

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    1. Ariatros Artikelautor

      Vielen Dank für deinen Kommentar!
      Kurz und knapp: überhaupt gar nicht XD
      Die Gruppe kam in die zentrale Quest/Startpunktstadt: Niemand steigt aus! Wir haben keine Zeit! Wir müssen sofort den Hauptquest machen!
      Kleiner NSC am Wegesrand: Ähm, aber ich hätte hier eine Nebenquest…
      Gruppe: NEBENQUEST? Werft alles über Bord Leute! Auf ins Abenteuer!

      So lief das in etwa. Die haben bis heute und das sind etwa 7 Spielsitzungen später, noch nicht einmal nach dem Schwert gefragt, geschweige denn danach gesucht XD
      Also ja, auch das konnte ich beobachten. Wobei fairerweiser gesagt werden muss, dass ich die Suche nach dem Schwert auch als Aufhänger gebaut habe, damit sie die Open World erkunden können. Ich mache es momentan so, dass ich die wichtigeren und größeren Nebenquests so umbaue, dass sie nach und nach Hinweise auf den Aufenthaltsort des Schwertes geben, sonst kommt die Gruppe gar nicht mehr voran.
      Zu deiner zweiten Frage: ich habe tatsächlich mir grob zwei Wege überlegt, wie man zum Schwert kommen kann. Wichtiger war es mir aber, dass auf den Weg dahin schöne, ausgearbeitete Nebenquests auf die Spieler warteten. Aber dadurch, dass man die Open World Sitzungen so schön portionieren kann, ich also zwischen den Spielsitzungen immer wieder Zeit habe, Dinge einzubauen, Quests aneinander zu reihen, Charakteren Tiefe zu geben usw. entsteht tatsächlich organisch eine neue Geschichte, die ich vorher einfach gar nicht planen konnte und das ist faszinierend.

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  4. Andreas (RPGnosis)

    Spannend – ich lese gerade gerne alte Artikelserien von Justin Alexander, vielleicht könnte dir das auch bei der Vorbereitung und Leitung von „Open World“ bzw. „Sandboxing“ weiterhelfen: https://thealexandrian.net/wordpress/39885/roleplaying-games/smart-prep
    The Alexandrian hat eine ganze Menge guter Beiträge übrigens – auch zu Spielstrukturen, Rulings, Pacing etc. Lohnt sich, dort etwas zu stöbern.

    Wie groß ist denn deine Spielwelt ungefähr und wie sind die Reisemöglichkeiten der SC? Wie lange ist deine Gruppe darin schon aktiv und wieviele „gesetzte“ Quests sind noch offen?

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