Mittelalter und Fantasy – unversöhnliche Rivalen?

Zuerst eine Entschuldigung an alle Leser für den leicht verspäteten Artikel (bin gerade inmitten der Master-Arbeit und komme nur noch zu wenig). Ich werde mich die Tage auch um den Kommentarbereich kümmern, versprochen! Aber nun erstmal der neue Beitrag.

Heute ging eine Con in Leipzig zu Ende (Westergarder Wehrschau), die von Erik (dem ersten Gast im Podcast mit dem Thema Worldbuilding) als Orga maßgeblich mitorganisiert wurde. Erik ist ein Historiker, demzufolge ist auch sein Worldbuilding historisch orientiert. Das beginnt bei den Ortsnamen seiner Welt, die sich an die Entstehung realer Ortsnamen orientieren und endet darin, was aus den historischen Vorlagen konkret für das Spiel abgeleitet werden kann. Im Gegensatz dazu steht meine neue Gruppe, die Fantasy als Epoche/ Genre sui generis empfindet und vor allem auf Spielbarkeit und Spaß achtet. Historische Ableitungen sind für sie eher Ballast alles Relevante soll im Gespräch zwischen den Verhandlungspartnern durch das Spiel ermittelt werden. Ich halte beide Ansätze für nutzbar und will daher hier darüber nachdenken, mit welchen Vor- und Nachteilen sie verbunden wären.

Historische und kreative Herangehensweise

Zu der kreativen Herangehensweise muss nicht sehr viel gesagt werden. Sie ist die natürliche Auseinandersetzung mit dem Gegenüber im Larp. Wenn wir spielen, erzeugen wir von ganz allein eine Geschichte. Sie orientiert sich an den Ideen für den Charakter und dessen Hintergrund, die aus jeder Inspirationsquelle gespeist werden können, unabhängig ihrer historischen Richtigkeit. Wichtig hierbei ist lediglich die eigene Erzählung als Spielangebot zu gestalten. Also wenn ich einen Knappen spiele, könnte es relevant werden, welche Tugenden ich erlernen, welche Künste ich beherrschen sollte, wem ich eigentlich diene usw. Denn mit diesen Informationen kann mein Gegenüber spielen und auf meine Erzählung eingehen. So weit, so bekannt. Ich halte es für wichtig zu erwähnen, dass sich diese Grunddynamik von Spiel nie aus dem Larp wegdenken lassen wird. Ganz gleich wie sehr historische Tatsachen nachgestellt, bleibt Larp ein Spiel und damit notwendig an eine Form von Kreativität und Dynamik gekoppelt. Also selbst mit einem festen Skript im Hintergrund kann und wird durch das Spiel eine neue Erzählung entstehen, die sich einen eigenen Raum schafft und nach den Gesetzen der Erzähler funktionieren wird. Dieser Funke der Schöpfung steckt potentiell in jeder Form von gegenseitigem Einvernehmen (vom Konfliktspiel um ein gleiches Thema bis zur gemeinsamen, sich entwickelnden Geschichte), dass wir uns mit unserem Gegenüber durch das Spiel schenken.

Gegen diese Dynamik stehen wiederum feste Fakten. Fakten lassen wenig Raum für Kreativität oder genauer Spielraum. Aussagen wie: „Aber im Jahre X war es so.“ Sind in den meisten Fällen nicht zu prüfen und schwer zu widerlegen, wenn man selbst durch Zufall sich nicht auch in diesen Bereich auskennt. Das Spielangebot reduziert sich auf ahnungslos zustimmen und dem Gegenüber das Feld überlassen, das Ganze abstreiten und in einem Konfliktspiel enden oder das Thema zu wechseln. Es ist schwierig aus einer Faktenaufzählung eine gemeinsame Narration zu entwickeln, denn Fakten sind Steine, Spiel ist aber ein Fluss. Natürlich brauchte es damals 20 Bauern, um einen Ritter zu versorgen. Die Vergabe von Land war keine gute Tat des Monarchen, sondern ein notwendiges Übel, um seine schlagkräftigsten Truppen kampfbereit zu halten. Jemanden, der einen Ritter spielt, aber nach seinen 20 Bauern zu fragen oder seinen Ritterstand anzuzweifeln, weil er weder Wappen- noch Ritterbrief vorzeigen kann, ist ein Stein. Es kann sein, dass sich daraus auch Spiel entwickeln könnte, aber wahrscheinlicher ist, dass der Spieler genervt diesen Stein umspült. Denn er wird in den meisten Fällen den Ritter nicht spielen, um Zeugnis darüber abzulegen, dass er diesen Ritter spielen darf, sondern um die fantastischen Geschichten aus Filmen und Büchern nachzuerleben, die er so sehr liebt.

Problematik

Hier liegt, meiner Meinung nach, das erste große Problem mit der historischen Herangehensweise: die allgemeine Spannung zwischen Historie und Spielbarkeit. Am Ende spielt ein Großteil der Spieler in feudalen Systemen, nutzt Vokabular, gesellschaftliche Stände und vieles mehr aus dieser Zeit, was zu einem bestimmten, historischen Gebrauch drängt. Andernfalls würden diese Konzepte keinen Sinn ergeben und das würde auch das Spiel töten. Denn Spiel benötigt eine Erzählung und die fällt ohne Kohärenz in sich zusammen. Also der Bezug auf die Geschichte ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, wo für die Spielbarkeit die Grenzen gesetzt werden.

Ein geläufiges Beispiel hierfür wären die sogenannten „Gewandungsnazis“. So werden abwertend Personen bezeichnet, die andere Gewandungen kritisieren, weil diese nicht historisch akkurat sind. Aufgrund der sehr großen Nähe zu einer real existierenden Epoche fühlen diese Menschen sich berufen eine Bewertungsinstanz zu sein. Sie teilen ein in die Kategorien von richtig und falsch oder besser historisch akkurat und inakkurat. Ihre Kritik hat aber keinerlei Spielwert. Sie würdigen andere Spieler herab oder ignorieren sie, ohne zu verstehen, dass ein Fantasy-Setting bespielt und kein Reenactment betrieben wird. Das Wissen über die korrekten Darstellungen oder Abläufe im Mittelalter wird ihnen also als Instrument der Selbsterhöhung und nicht als Spielelement verwendet.

Ein anderes Beispiel wäre, dass ich gerade an dem Gesetzesbuch für meine neue Gruppe arbeite und ich einen Artikel über Leibeigenschaft schreiben soll. Darin kommt vor, dass Väter auch ihre Kinder in die Leibeigenschaft verkaufen konnten. Das könnte aber ein Trigger für Eltern sein. Das OT muss auch hier mitgedacht und sensibel in die historische Vorlage implementiert werden. Das sollte im Hintergrund auch immer beachtet werden: wir sind nicht frei von unserer eigenen Epoche, egal wie sehr sich jemand das Hineinversetzen in eine andere wünscht.

Lösung

Auch wenn ich jetzt die Probleme etwas stark hervorgehoben habe, liegt die Lösung im Spiel selbst. Denn die richtige Grenzziehung hängt schließlich auch von meinem Gegenüber ab. Das heißt, die oben aufgezeigten Probleme entstehen erst gar nicht, wenn bestimmte Hintergründe, Verfahrensweisen oder Gesellschaftsstrukturen nicht tiefer hinterfragt, sondern sie stattdessen mit der Offenheit des Fantasy-Genre willkommen geheißen werden. Ein weiteres geläufiges Beispiel wären hier die Barock-Piraten. Mit ihren Pistolen, Dreispitzen und Fregatten gehören sie weder in die Epoche, noch können sie erklären, warum sie mit ihrer überlegenen Technologie noch nicht jede andere Fantasy-Welt übernommen haben. Aber wenn diese Dinge gar nicht angemerkt werden, weil man sich von ihnen kein Spiel erhofft, kann man mit den Piraten trinken, schmutzige Lieder singen und sie als Teil des Fantasy-Genres verstehen.

Ich will also festhalten: Geschichte ist wichtig. Sie erzeugt Sicherheit und gibt der Erzählung Kohärenz. Nahezu alle Spieler werden Vokabular aus der Zeit verwenden und ihre Vorstellungen von der Zeit nutzen, um eine glaubhafte Narration zu erzeugen. Wissen um die Geschichte ist also wertvoll. Es gibt sogar bestimmte Spielbereiche (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Militär) in der ein vertieftes Wissen der Epoche notwendig ist, um nicht mit Fanatasiezahlen das Spiel abzuwürgen. Aber dieses Wissen darf eben nicht wie unverrückbare Steine den Fluss des Spieles blockieren. Es sollte als Spielangebot und nicht als Instrument der Besserstellung verwendet werden. Das Entscheidende bleibt diese Grenze zwischen Faktenballast und Sicherheit durch Fakten im und durch das Spiel mit dem Gegenüber setzen zu können. Erst im Spiel zeigt sich, wie sinnvoll es ist, historisches Wissen zu verbauen oder der Dinge ihren Lauf zu lassen und gerade dadurch trotzdem Spaß zu haben. Das Mittelalter sollte so nicht als Rivale, sondern als Spielelement im Genre der Fantasy verstanden werden.

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