Was braucht gutes Charakterspiel?

Da der Wunsch geäußert wurde, hier mal das Thema zu eröffnen, wie man ein besseres Charakterspiel betreiben kann, will ich diesen Wunsch mit diesem Beitrag nachkommen. Ich werde im Folgenden also meine Gedanken und Perspektive, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit, dazu äußern und benötige aber eure Fragen und Anmerkungen, damit wir das Thema in der Tiefe diskutieren können. Ich will euch also erstmal einen allgemeinen Gedankeneinstieg mit diesen Beitrag bieten.

Was macht einen Charakter spannend?

Wenn ich gutes Charakterspiel höre, stelle ich mir zuerst die Frage, was einen Charakter überhaupt spannend macht. Meine ersten Ideen dazu sind Kohärenz, Sprache, Konzept und Gewandung. Das will ich ausführen: Rollenspiel ist eine Form des Eskapismus. Ich betreibe es, um den Alltag als jemand anderes entfliehen zu können. Ich empfinde es daher als ernüchternd, in eben jene Realität zurückgeholt zu werden, vor der ich entkommen wollte. Das heißt, ich will nicht mit den gleichen Vorstellungen und Themen konfrontiert werden, die in unserer Gesellschaft so selbstverständlich sind. Wenn ich als königlicher Herold spiele, dann bin ich Teil eines monarchischen Systems und kenne auch nur dieses. Frauen? Müssen verheiratet werden und kümmern sich um den Haushalt. Das Volk? Hat zu dienen und sein Los zu tragen. Seine Meinung hat keinen großen Wert, weil es keine große Macht hat. Das mag mit unseren anerzogenen Wertvorstellungen kollidieren, hatte damals aber seine gesellschaftliche Richtigkeit und Relevanz. Selbst wenn nicht Fantasy gespielt wird oder das Argument hervorgebracht wird, dass Fantasy nicht historisch ist, gilt der Grundsatz hinter diesem Denken dennoch. Es gilt die eigenen, gewohnten Vorstellungen zu hinterfragen und zu recherchieren oder sich auszumalen, welche Werte und Ansichten in dem Setting geteilt wurden.

Sprache nimmt dabei eine sehr prominente Rolle ein. Ich meine gar nicht, dass es als Adelscharakter obligatorisch ist, gehoben zu sprechen. Ich meine, dass ich mich mit meinen Gegenüber auf eine gemeinsame Sprache einigen muss. Das Gespräch oder im Grunde jede Interaktion mit anderen Spielern ist ein Aushandlungsprozess auf eine gemeinsame Realität. Das wird in Verhandlungen über nicht physisch vorhandene Gegenstände immer sehr klar. Ich verhandele häufig über Wagen- oder Schiffsladungen von Dingen, nur noch schlimmer sind Kriegsräte und Wirtschaftsbesprechungen mit vollkommen in der Luft stehenden Zahlen. Da droht dann auch schon mal das Wüstenkönigreich mit einer Flotte aus 10.000 Triremen und auf die Frage, woher die das Holz dafür haben: wir sind unermesslich reich! Wenn ihr wirklich solche Macht besitzt, warum verhandeln wir gerade über regelmäßige Brotlieferungen einer lokalen Bäckerei?
Die richtige Skalierung, das Gefühl, was angemessen ist, ist hier essentiell. Wird der Bogen einmal überspannt, driftet das Spiel ins Absurde ab. Ich warne daher auch davor über rein abstrakte Dinge zum Selbstzweck zu verhandeln. Themen sollten immer im Spiel geerdet werden, indem zum Beispiel die Bäckerei von einem Spieler betrieben wird. Der freut sich über den Verhandlungserfolg, kann genauer sagen, wie viel Brot er backt oder was er für Mehllieferungen dafür braucht. Halbkonkret Zahlen und Fakten im Hinterkopf zu haben hilft bei dieser Art spiel ungemein. Warum nur halbkonkret? Weil ich auch schon das Gegenteil erlebt hatte und eine Gruppe sich über absolut alles, vom Tagesverdienst des einfachen Bauerns bis zur Produktivität einer ganzen Stadt, Excel-Tabellen angelegt hatte. Hier kann die eigene Vorstellung von Realität dominieren und die des Gegenübers andauernd in Frage stellen. Da er meistens keine besseren Maßstäbe im Kopf hat, muss er sich entweder unterordnen und seine Maske verlieren oder abenteuerliche Begründungen für seine Zahlenrahmen finden (ich hatte diesbezüglich schon einen Baron mit Pony-Mine).
Das gilt allerdings nicht nur für Verhandlungen. Eckdachten – wo bin ich? Wer sind wichtige Personen? Was ist hier grundlegend los? – helfen sehr, um sich als Teil der Welt auszuweisen und als solcher auch angespielt zu werden. Dieses in der Welt sein, die gleiche Sprache sprechen und sich als kohärenter Teil von ihr darzustellen, reicht in den meisten Fällen, um als guter Spieler wahrgenommen zu werden.

Die soziale Komponente

Die Bemessung eines guten Spiels kann aber auch in sehr sozialen Tätigkeiten wurzeln. Humor, das Erzählen unterhaltsamer Geschichten, eine zum Charakter passende Ausstrahlung oder die abendliche Tavernenunterhaltung können für viele schöne Erinnerungen sorgen. Dazu kann ich jedoch nur wenig sagen, außer immer offen für Neues, freundlich und gesprächsbereit zu bleiben. Wer hier Hemmungen hat, muss aber nicht verzagen. Sehr viel gutes Spiel lässt sich auch über die Mitwirkung am Plot generieren. Hierbei sind die Unterhalterqualitäten weniger wichtig als viel mehr ein nützlicher Teil für den Fortgang der Geschichte zu sein. Das Gute am Plot ist, er interessiert oft zahlreiche Spieler, es gibt immer etwas, über das man reden kann und durch die Arbeit am Plot entstehen Gespräche von ganz allein. Ich bin durch die Plotjagd schon in ganze Gruppen hineingekommen und das, obwohl es sich nur um den Plot drehte. Die gemeinsamen Aufgaben, Herausforderungen und Erfolge schweißen Spieler zusammen. Selbst Neulinge, die sich nicht viel Charakterspiel zutrauen, können durch ihren Beitrag beim Plot positiv wahrgenommen werden und Anschluss an viele andere Spieler finden. Ich würde also immer empfehlen, sich für den Plot zu interessieren, denn meistens interessiert sich ein größerer Teil der Spieler auch darauf.

Gewandung und Konzept

Das konkrete Charakterkonzept birgt auch Chancen und Risiken. Larp lebt von Klischees. Sie bilden den Rahmen für die gemeinsame Realität. Zwerge müssen klein und bärtig sein, Orks groß, stark und grimmig. Wer nicht in diesen Klischees spielt, wird erstmal schief angeschaut. Dafür kann es gute Gründe geben, aber die wenigsten Spieler werden nach diesen fragen. Sehr viel hängt deswegen vom Aussehen und dem ersten Eindruck ab, den ein Charakter macht. Bunte Charaktere, wie Pilz- oder Tierwesen, werden häufiger angesprochen, weil sie interessanter sind und neue Formen des Spiels ermöglichen. Diese Faszination bleibt erhalten, wenn das Pilzwesen dann tatsächlich essbare Süßigkeiten in Pilzform vorbereitet hat, diese verteilt, sich spielfördernde Wirkungen dazu ausdenkt oder von ihrer Familie im Wald erzählen kann. Ist ein Konzept ausgearbeitet und wird glaubwürdig ausgespielt, wird es interessantes Spiel erzeugen. Das muss auch nichts außergewöhnliches wie besagtes Pilzwesen sein. Einfach ein Ritter, der seinen Tugenden folgt und von seiner Lady und seiner Queste berichten kann, erzeugt Faszination oder auch Ablehnung, aber beides ist zumindest Spiel. Es braucht zwar nicht eine hochwertige Gewandung, um Spiel zu haben, sie hilft aber, um Interesse zu erwecken und hervorzustechen. Das ausgearbeitete Konzept wiederum hält den Charakter im Spiel.

Soweit meine ersten, allgemeinen Gedanken zum guten Charakterspiel. Das Thema ist groß genug, um es in alle möglichen Richtungen zu vertiefen. Von daher bin ich wie immer auf eure Kommentare gespannt!

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