Über die Schwierigkeit von Tabletop-Kampagnen

Es ist für einen Tabletoper ein naheliegender Gedanke: wir verbinden die einzelnen Abenteuer/ Schlachten zu einer größeren Erzählung. Die meisten Spieler werden freudig dieser Idee zustimmen, denn sie verbindet den Spaß des Tabletops mit der Geschichtsschreibung des Rollenspiels. Da ich derzeit stark in der Gestaltung einer Warhammer 40k Tabletopkampagne involviert bin, kann ich jedoch sagen, dass dieser Gedanke zwar leicht gedacht, aber schwer zu realisieren ist. Deswegen wollte ich hier mal von meinen bisherigen Erlebnisse in der Tabletopkampagnengestaltung berichten.

Rahmenbedingungen

Die Erfahrungen mit bereits abgeschlossenen Tabletop-Kampagnen haben mir gezeigt, dass es grundsätzlich zwei Arten von 40k-Kampagnenspielern gibt: Turnier- und Lore-Spieler. Beide wollen gerne in einer Kampagne zusammenspielen, aber es hat sich herausgestellt, dass das schlicht und ergreifend nicht funktioniert. Werden normale 40k-Spiele gespielt, werden die Lore-Spieler chancenlos durch Meta-Listen platt gemacht. Alles ist darin dermaßen auf das Gewinnen optimiert, dass nicht einmal durch die Schlachten selbst interessante Situationen oder Geschichten entstehen.

Durch viel Arbeit und Mühe habe ich dann ein 4X System (die Spieler erobern Gebiete, bauen Gebäude, entwickeln eine Wirtschaft um Armeen zu unterhalten, die dann gegeneinander antreten) darüber entwickelt, unter dem beide Arten von Spielern zusammenspielen können und es zu halbwegs ausgeglichenen Situationen kommt. Denn die Bewegung und das Bauen auf der strategischen Karte, welche die Bedingungen für die Schlachten festlegt, belohnt mehr Spieler als jene, die nur Internetlisten kopieren und jedes noch so gemeine Shenanigan (Regelschwächen, komplizierte Regelkombos und anderes unausbalancierte Zeug, was ausgenutzt wird) auswendig lernen. Das findet zwar auch noch statt, muss sich aber durch kluge Reichsverwaltung erst verdient werden. Lore-Spieler werden zudem durch schönes Rollenspiel (Diplomatie, Verhandlungen) mit Vorteilen belohnt.

Aber wie es im letzten Beitrag angeklungen ist, wollen Turnier-Spieler so dicht am original 40k spielen, wie irgendwie möglich und trotzdem Teil einer spannenden Kampagne sein. Dafür hatte Games Workshop die sogenannten Crusade-Regeln herausgebracht, die werden aber geschlossen abgelehnt, weil sie die sowieso schon schiefe Balance des Spiels noch weiter kippen. Anstatt nun also abermals Lore- und Turnier-Spieler zu vereinen, will ich dieses Mal nur für die Turnier-Spieler (mit den Lore-Spielern ist das Schaffen einer narrativen Kampagne quasi ein Selbstläufer und unproblematisch) eine entsprechende Kampagne erarbeiten.

Der Rahmen ist somit durch folgende Regeln eng gestrickt:

Die Kampagne darf nicht die Werte von Einheiten verändern. Die Schlachten müssen stets ausgeglichen bleiben. Es dürfen keine Sonderregeln oder besonderes Terrain verwendet werden. Jeder Spieler muss gleichwertige und gleichberechtige Handlungsmöglichkeiten außerhalb der Spiele haben.

Die Kampagne muss Fortschritt für einzelne Fraktionen anzeigen. Es müssen Vorteile durch Siege errungen werden, die in keiner Weise die Ausgeglichenheit von Schlachten berühren. Es müssen spannende Geschichten auch außerhalb der Schlachten entstehen.

Mein erster Entwurf

Meine erste Idee dazu war dass die Schlachten tatsächlich überhaupt nicht angefasst werden. Es werden Turnier-Spiele gespielt und diese gelten als Proxy-Schlacht, um die Geschehnisse weiterzuerzählen. Wer die Schlacht gewinnt, darf also die Narration übernehmen.

Was einfach klingt, wird im Detail aber ziemlich kompliziert. Denn ich hatte mal einen Testballon dazu gestartet und es gab Spieler, die haben dann gleich nach einem Sieg eine Chaos-Flotte beschworen, während andere einfach nur ein Kraftwerk gesprengt haben. Ich habe daraus gelernt, dass ich die Narration als Spielleitung selbst in die Hand nehmen muss. Das führt aber zu einem viel größerem Problem. Ich übernehme damit die Verantwortung über einfach alles. Wenn ich die Kampagne in eine bestimmte Richtung lenke, wird sich beschwert, dass ich andere narrativ bevorteile. Wenn ich sie zu einem Schluss bringen will, wird sich beschwert, dass bestimmte Spieler nicht genug Chancen erhalten haben, ihre Niederlage abzuwenden, usw. Gerade Letzteres ist ein Riesenproblem. Denn manchmal gibt es die Narration nicht sinnvoll her, dass immer alle Fraktion an einer Schlacht teilnehmen oder gleichwertig handeln können (das passiert sogar ziemlich oft). Bei zwei Spielern wäre das kein Problem, da es nur diese beiden Seiten gibt. Bei mehr als zwei Spielern wollen aber alle gleichwertig handeln und ich trage die Verantwortung, dass sich die Geschichte entsprechend beeinflussen und entwickeln lässt. Das ist aber schlicht nicht immer möglich.

Natürlich ließe sich jetzt sagen: das ist Krieg, der ist nicht fair oder ausgeglichen. Irgendwann verliert eine Fraktion. Krieg oder eine narrative Kampagne die sich damit beschäftigt, kann nicht als langes Turnier aufgezogen werden. Wenn die Turnier-Spieler spannende Geschichten erleben wollen, dann müssen sie akzeptieren, dass einen Spielleiter gibt und nicht alles jederzeit ausgeglichen ist. Aber wie baut man, selbst mit dieser Einschränkung, eine motivierende Kampagne für Turnier-Spieler?

Mein derzeitiges Ideengerüst

Habe ich die alleinige Gewalt über die Geschichte, sind die Turnier-Spieler nur bloße Statisten. Das ist keine Art von Kampagne, die motiviert. Ich überlege daher, ob ich einen Erzählfaden für jede der Fraktionen lege, ohne dass dieser zunächst mit den anderen in Berührung kommt. Sie werden trotzdem gegeneinander spielen, ihre Narration aber zunächst nicht gegenseitig beeinflussen (ansonsten geschieht ein: ich greife die Stadt – Sieg, dann bist du dran und greifst die Stadt an – Sieg – und am Ende spielen alle, aber nichts passiert). Jeder Faden soll sich entwickeln und dann kann ich Kreuzungen der Narrationen einbauen, in denen die Geschichte entschieden wird. Davor hat das ganze eher einen PvE (Player vs Enviroment) Charakter. Jeder der Spieler kann so innerhalb seines Erzählfadens seine Akzente setzen, weil die anderen dadurch narrativ nicht benachteiligt werden. Jeder weiß auch, dass diese Fäden dann die Bedingungen der Kreuzungen und der Endschlacht verändern werden. Somit ist auch eine Relevanz der Fäden gegeben.

Ein Beispiel für Fäden: Spieler A sucht ein Chaos-Artefakt um es zu zerstören– Schlacht 1: sucht Hinweise – Schlacht 2: birgt das Artefakt

Spieler B will eine Chaosinvasion starten – Schlacht 1: sammelt Anhänger für einen Kult – Schlacht 2: beschafft sich Waffen

1 Kreuzung: die Chaosgötter flüstern, dass B da Artefakt braucht – Schlacht: A oder B hat das Artefakt

Spieler C sucht um die Kontrolle des Landes – Schlacht 1: er schaltet seine Rivalen aus, Schlacht 2: er nimmt den Platz eines regionalen Verwalters ein

Spieler D will das Land verdauen – Schlacht 1: er verteilt seine Sporen – Schlacht 2: er überfällt Nahrungsvorräte

Kreuzung 2: Schlacht um eine Hauptstadt: A oder B werden zu einer Regionalmacht

Spieler E will das sein Fraktionsanführer ein großer Held wird – Schlacht 1: er geht gegen die Chaoskorruption vor – Schlacht 2: er beweist sich vor einem regionalen Anführer

Kreuzung 3: er spielt bei einer der anderen Kreuzungen mit (ich habe bereits ausgeglichene Dreierschlachten erfolgreich getestet)

Nach der Kreuzung beginnen die Spieler dann wieder zu erzählen, was sie als Nächstes vorhaben und ich kann dann nach und nach zu einer Endschlacht hinarbeiten. Innerhalb der Fäden werden sie aber ihre eigenen Geschichten erleben, bei denen ihnen kein Spieler reingretschen kann. Die Schlachten können sie verlieren ohne tatsächlich geschwächt zu sein, aber die Narration wird dadurch düsterer für sie und ihre Ziele können sich ändern.

Beispiel für Niederlageneffekte: Spieler C schaltet seinen Rivalen nicht aus – ein feindlicher NSC wird in der Narration gegen ihn arbeiten – er schafft es nicht den Platz des regionalen Verwalters einzunehmen, der NSC nimmt ihn diesen Platz weg, Kreuzung: er will dass Spieler D seine Feinde für ihn erledigt und öffnet Spieler D die Tore zur Stadt

Ich weiß noch nicht, ob das funktioniert, aber das wäre eine Möglichkeit, die die Anforderungen der Rahmenbedingungen erfüllt. Wie seht ihr das? Habe ich dabei irgendetwas vergessen? Hattet ihr bereits eine erfolgreiche Tabletop-Kampagne organisiert oder kennt ihr Beispiele für eine solche? Wie immer freue ich mich über eure Kommentare und wünsche euch ein frohes Osterfest!

2 Gedanken zu „Über die Schwierigkeit von Tabletop-Kampagnen

  1. ghoul

    Habe neulich zwei Bücher über Tabletop-Kampagnen gelesen, richtige Augenöffner:
    Tony Bath’s Ancient Wargaming;
    The Solo Wargaming Guide.
    Geht nicht nur um Antike oder Solospiel, sondern um die Grundlagen des Kampagnenspiels. Kann ich dir sehr empfehlen, in beiden ist viel mitzunehmen.

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