Der NSC ist König – Eindrücke aus einer Silvestercon

Anstatt gemütlich Zuhause mit der Familie das neue Jahr zu erwarten, habe ich mich 200 anderen Rollenspielverrückten angeschlossen, um ins neue Jahr zu spielen. Die Silvester-Veranstaltung  fand auf der Burg Bilstein statt. Das Thema war ein Jahrmarkt, der langsam immer weiter in Wahnsinn versank. Das Besondere daran war der Umgang mit den Nicht-Spieler-Charakteren. Auf 200 Spieler kamen halb so viele NSCs. Jeder, der auf Larp-Veranstaltungen war oder diese selbst organisiert hat, weiß, wie schwierig es sein kann, genügend Menschen zu motivieren, bloßer Gehilfe der Spielleitung zu sein. Deswegen will ich heute von dieser Silvestercon näher berichten.

Das Konzept

Im Grunde handelte es sich um einen regulären Jahrmarkt. Das heißt, es gab ein Gruselhaus (Dungeon zum Durchlaufen), ein Kuriositätenkabinett (verschiedene NSCs verweilten und stellten ihre besonderen Charaktere zur Schau), zwei Bühnen (eine große Freiluftbühne für die spektakulärsten Auftritte und eine Kleinkunstbühne), Spielleute, einen Zuckerbäcker, Wahrsager (einer davon war ein Voodoo-Priester), ein Kasino, ein Dompteur mit seinen Affen, einen magischen Spiegel (ein Ort der Selbstreflexion), eine Wunschkiste (aus der je nach Wunsch ein anderes Wesen heraussprang), Tänze, Artisten und Gesang. Das heißt, unabhängig von dem tatsächlichen Rollenspiel, war bereits sehr viel Schau- und Erlebniswert aufgebaut. Selbst Personen von außerhalb, die mir Larp nichts zu tun hatten, hätten sich den ganzen Tag über vergnügen können.

Gespielt wurde über 3 Tage. Jede Attraktion, mit Ausnahme des Gruselhauses, war zudem personenbezogen. Das heißt, die Spieler kamen unweigerlich und länger in Kontakt mit den NSCs. Diese spielten auch keine Springerrollen, sondern waren über die gesamte Zeit, außer für die Angriffe, in ihren festen Rollen. Das bot die Möglichkeit, sich mit ihnen anzufreunden, auf Handlungen und Aussagen aufzubauen und allgemeine eine tolle Situationsdynamik aufzubauen.

Geschichtendynamik

Am ersten Tag (bzw. Abend) wurde der Jahrmarkt eröffnet und es gab ein großes Staunen über die Liebe und Mühe, die für den Aufbau aufgewendet wurden. Es war ein Kennenlernen der NSCs und der hier gebotenen Möglichkeiten. Dieser Tag war wichtig, denn er bildete für die Spieler die Orientierung oder die Erwartungshaltung, mit der dann am zweiten Tag gebrochen wurde.

Am zweiten Tag wurde es nun seltsam. Die Lichter wandelten sich von hellen und fröhlichen Farben zu dunklen und roten Tönen. Die Musik wurde schräg und unheimlich. Die Schausteller waren alle irgendwie erschöpft, gereizt oder trugen düstere Gewandungen. Jedem ging es nur noch darum, möglichst viele Leute bei dem eigenen Stand zu sichern. Dafür wurden wir Spieler sogar von den Schaustellern bezahlt. Der Grund dafür schien, dass es im Geheimen einen Ältestenrat der Familien gab und der entschied nach Besucheranzahl, wer auf der Burg und damit in der Familie bleiben konnte. Was erstmal nur mit Nötigung begann und sich schon am morgen seltsam sowie unangenehm anfühlte, entwickelte sich hin zur Obsession. Der Muskelmann, der eigentlich zeigen sollte, wie viel Kilo er heben konnten, packte plötzlich Passanten und warf sie ins Kuriositätenkabinett. Eine Tag zuvor noch grazile Dryade wurde eine manisch fröhliche Pixie, die mit ihren Hula-Hoop-Reifen Leute fing und zu sich zog. Auch die Attraktionen wurden immer gefährlicher. Der magische Spiegel begann etwa bei zu naher Betrachtung ein schreckliches Zerrbild zu zeigen und den Betrachter in den Wahnsinn zu treiben. Der Zuckerbäcker schuf Rezepte, die die Leute von seinen Süßigkeiten abhängig machten. Das eskalierte soweit, dass etwa das kleine, süße Mädchen, dass Ticket für die Vorstellung der eigenen Familie verkaufte, plötzlich mit einem Dolch auf einen Ticketverkäufer einer anderen Familie losging. Sind NSCs gestorben, kamen sie mit gelöschtem Gedächtnis zurück, als wären sie bloße Echos ihres einstigen Selbst.

Das führte zu großartigen Geschichten. Es bildete sich etwa eine Popcorn-Mafia. Da das Popcorn des Zuckerbäckers abhängig machte, gab es sehr bald schon Charaktere, die kein Geld mehr hatten, aber unbedingt mehr Popcorn brauchten. Diese schlossen sich zusammen, erdolchten den Zuckerbäcker und diebten seinen Vorrat. Um einen konstanten Fluss an Popcorn zu erhalten, wurde ab nun Teile des Diebesgutes an Spieler verkauft, in der Hoffnung, diese auch abhängig zu machen. Mit den Einnahmen daraus, wurde der ständig neu zurückkehrende Zuckerbäcker bezahlt, damit er neues Popcorn produzieren konnte. Andere Süßigkeitenverkaufende wurden auf offener Straße ermordet, um die Konkurrenz für das eigene Popcorn auszuschalten. Das geschah völlig dynamisch aus der Handlung von Spielern heraus und stand parallel zum Plot.

Eine andere Geschichte bezieht sich auf das Kuriositätenkabinett. Der Direktor war ein Langfinger, der nur zu gerne alles und jeden, der nur ein klein wenig besonders war, bei sich ausgestellt hätte. Seine Exponate waren seine Familie und sie waren um seine kriminelle Energie besorgt. Aus den Gesprächen ergab sich dann, dass wir Spieler eine besondere Vorstellung für den Direktor aufführen wollten. Durch unser Spiele (Gesänge, Gedichte, Schauspiel) verdeutlichten wir ihm, dass er doch bereits alles von Wert besaß und nicht mehr bräuchte, als seine liebende Familie. Da kamen dann selbst dem Menschen hinter der NSC-Maske die Tränen.

Eine persönliche Geschichte hatte ich mit dem Zuckerbäcker. Dieser war arrogant und abweisend. Seine einzige Obsession waren seine Kunstwerke, die angemessen gewürdigt werden mussten. Nach einen langen, erfolglosen Gespräch über 90min, hatte der Zuckerbäcker jegliche Möglichkeit ihn umzustimmen ausgeschlossen. Also saß ich, mit meiner spontan gegründeten Gruppe vor seiner Zuckerbäckerei und wir kamen auf die Idee, ihn diesen Hochmut auszutreiben (spielmechanisch standen wir vor den größten Ängsten und Sehnsüchten der Personen vom Vortag und mussten diese besiegen). Also erdachten wir uns die Demutskekse und schrieben ein tatsächliches Rezept dafür. Nur die besten Zuckerbäcker konnten sie herstellen, doch die Zubereitung verlangte einen Prozess der Selbstreflexion, der Würdigung der anderen und des Respekts aller, die vor ihm kamen und die noch kommen werden. 2,5h benötigten wir für das Rezept und hatten großen Spaß bei seiner Fertigstellung. Dann flanierten wir in den Laden des Zuckerbäckers und uns schien nichts anzusprechen, weil alles so perfekt war. Nichts war demütig genug für uns und damit unserer Anerkennung nicht wert. Darauf forderte er uns auf, ihm das Rezept zu geben, stellte 2 Lehrlinge an, um uns diese vermaledeiten Demutskekse zu backen (die Lehrlinge waren dann auch noch Chaosspieler, die sich vor einer riesigen imperialen Gruppe versteckt hatten und dann Chaossternkekse formten). Auch wenn der Zuckerbäcker überhaupt keine tragende Rolle, sondern eigentlich eine Funktionsrolle war (jemand musste Popcorn herstellen und Süßigkeiten verkaufen), entstand daraus ein grandioses Spiel für zig Spieler.

Der NSC als König

Nimmt man Geschichte, Dekoration und Location weg, dann war es immer noch eine hervorragende Con. Das lag zum Großteil an den zahlreichen und motivierten NSCs. In meiner Zeit als NSC gab es nur wenige Festrollen. Meistens waren wir Springer, hatten keine Ahnung, was gerade vor sich ging und hasteten von einen Kampf zum nächsten. Diese Con hat aber gezeigt, dass es anders geht. Die NSC wurden hier sehr gut behandelt. Sie hatten etwa immer als erste etwas zu Essen bekommen, mussten sich nicht anstellten und konnten mit ihren persönlichen Besonderheiten scheinen (wir hatten echte Musical- und Opernsänger, Artisten und Bäcker erleben dürfen). Jeder der NSCs war gut gebrieft und durfte selbstständig mit den Spielern spielen. Die Dynamik daraus führte zu tollen Spielszenen für alle. Ab einen gewissen Punkt war der Plot nicht mehr so relevant, weil es viel mehr Spaß gemacht hatte, mit den NSCs zu interagieren und zu sehen, wie ihr eigens erdachtes Spiel weitergeht. Das unterstützte letztlich auch den Plot, denn die Spieler fühlten sich mit den NSCs so verbunden, dass sie gar nicht wollten, dass ihnen etwas Böses widerfährt und sie deswegen den Plot eifrig von selbst verfolgt hatten. Wenn ich also ein Fazit ziehen würde, dann stünde darin nicht nur, dass die Veranstaltung sehr gut war. Es würde in ihm stehen, wie wertvoll NSCs sind und wie viel Mehrwert sie bieten können, wenn sie und ihr Spiel bestmöglich unterstützt werden. Am Ende füllen sie dann von selbst die Veranstaltung so, wie man es sich immer von Spielern erhofft, sie aber oft dazu animieren muss: nämlich mit schönem Charakter-Rollenspiel.

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