Da der letzte Beitrag mit den narrativen Kampagnenspielen auf größere Resonanz gestoßen ist, will ich hier über die Art von Brettspielen reden, die mich wohl mit am meisten faszinieren: Expertenspiele. Für mich können Spiele nicht komplex genug sein. Ich liebe es, vorauszuplanen, verschiedene Wege zum Sieg zu haben und mir eine bestimmte Spielweise aufzubauen. Da ich leider selbst keinen Überblick über die ganzen Spieleperlen besitze, will ich hier zumindest meine Favoriten küren, hoffe aber, dass ihr die Liste noch mit euren Auserwählten ergänzen könnt. Ich werde die Vorstellung in die Bereiche: Thema, Mechanik und Spielgefühl unterteilen.
Dune – Imperium
Thema: Das Spiel orientiert sich optisch an der Film- (die neusten Dune-Filme) und inhaltlich an der Buchvorlage. Jede Spieler wählt sich eine Persönlichkeit aus den verschiedenen Häusern und versucht dann die Kontrolle über Dune zu erlangen.
Mechanik: Dune ist ein Hybrid aus Workerplacement und Deckbuilder. Jeder Spieler besitzt 2 Aktionen in Form von zwei Agenten (im Verlauf des Spiels kann noch ein zusätzlicher Agent gekauft werden). Dazu zieht er jede Runde 5 Karten. Das Besondere ist nun, dass er Karten für ihren Ort-Effekt spielen kann, das heißt, die Karten zeigen Orte auf dem Board, auf denen dann die Agenten platziert und Aktionen ausgelöst werden können, oder er kann sie auf der Hand behalten und dadurch für die Aufdeckphase Ressourcen, Zusatzeffekte und Kampfstärke erhalten. Es gilt also ständig darum abzuwägen, welche Karten gespielt, welche Orte besucht (feindliche Agenten können Orte durch ihre Anwesenheit blockieren) und welche Ressourcen wie eingesetzt werden sollen.
Dabei gibt es zahlreiche Wege zum Sieg. Dabei gilt es klassisch darum, Siegpunkte zu erhalten. Diese lassen sich am leichtesten über Siege in Schlachten erringen (am Ende der Runde wird die Stärke aller Kampfeinheiten in der Schlacht addiert und je nach Punktezahl gibt es die Platzierungen 1-3 mit unterschiedlichen Belohnungen). Aber schon allein das Ausheben von Truppen, die Abwägung, welche Truppen in die Schlacht geschickt werden (alle Truppen in der Schlacht sterben am Ende der Runde) und die Manipulation der Stärke durch Intrigenkarten und Handkarten ist eine spannende Abwägung.
Dazu kommt die verzahnte Ressourcenproduktion. Es gibt Spice, das verkauft, für Technologie gehandelt oder für sehr mächtige Fraktionseffekte ausgegeben werden kann, Wasser, das benötigt wird, um in der Wüste bestimmte Orte zu besuchen und vor allem mit der Fraktion Fremen zu interagieren, Geld, mit dem der dritte Agent, Truppen und Einfluss gekauft werden kann, sowie Einfluss, der für das Kaufen von neuen Karten benötigt wird. Mit jeder dieser Ressourcen lassen sich Siegpunkte erringen. Das Spiel lässt sich allein dadurch gewinnen, dass ein Spieler mit bloßem Wasser an die schwer zugänglichen Wüstengebiete kommen, dort ohne Konkurrenz Spice ernten sowie Fremen und Sandwurmreiter rekrutieren kann. Ein anderer Spieler geht nur auf die Aktionen der Handelsgilde, erfüllt ihre Aufträge, erhält dadurch Boni, sammelt Frachtersymbole, wodurch er unermüdlich Geld, Spice und Truppen erhält. Ein dritter Spieler wiederum investiert in den großen Forschungsbaum der Immortality-Erweiterung, wertet seine Karten ständig auf, kann immer effizientere Züge mit einzigartigen Effekten spielen, während der Vierte allein auf die Intrigen der Bene Gesserit setzt, immer einen Trumpf auf der Hand hat und durch seinen Einfluss Siegpunkte durch die Fraktionen und die besten Karten für sein Deck erhält. Ein fünfter Spieler setzt allein auf militärische Macht, kauft sich Schlachtschiffe und sammelt gezielt Fremen-Karten, denn Kartensets unterstützen sich untereinander. Für ihn ist es dann wichtig, ganz bestimmte Schlachten zu gewinnen und dadurch zusätzliche Siegpunkte zu erhalten. Die Wege zum Sieg sind vielfältig.
Spielgefühl: Dune – Imperium schafft es, wie kaum ein anderes Spiel, in einer verständlichen, kompakten Form die Komplexität und verschiedenen Schichten des Kampfes um Dune in ein Spiel zu vereinen. Auch wenn man durch 2 Aktionen sehr beschränkt ist, fühlt sich die Freiheit durch die ganzen Möglichkeiten dennoch groß an. Die 2 Aktionen sorgen gegenteilig eher dazu, dass sich jeder Zug bedeutungsvoll anfühlt und gut überlegt sein will. Die Kombination aus klugen, der eigenen Spielweise angepassten Deckbau und das gezielte Workerplacement, um seinen Gegner zuvor zu kommen, erschafft tatsächlich dieses Gefühl von einem Kalten Krieg. Ich muss aufpassen, auf welche Spielbereiche sich meine Gegner spezialisieren und wie ich sie am besten durch meine Agenten stören kann und trotzdem meine Siegstrategie weiterverfolge. Die schönen und teilweise 1:1 der Ästhetik der Filme entnommen Grafiken tun ihr Übriges, um eine großartige Dune-Atmosphäre zu erzeugen.
Fazit: Dune – Imperium ist derzeit mein Lieblingsspiel. Es gilt als Kennerspiel, aber mit allen Addons (die alle eine Bereicherung sind), überschreitet es leicht die Schwelle zum Expertenspiel. Die Regeln sind einfach zu lernen. Es gibt keine überbordenden Regeln, die ständig vergessen werden. Die Spielerfahrung ist kompakt und dennoch in ihren Möglichkeiten zum Sieg vielfältig. Ich konnte bisher in jeder Partie einen anderen Weg zum Sieg ausprobieren und alle fühlen sich belohnend und gleichwertig an. Ich halte dieses Spiel daher für ein Meisterwerk und für eine absolute Kaufempfehlung für alle, die Deckbuilder und Workerplacement-Spielen mögen.
Dark Ages
Thema: Wir spielen eine historische Person/Region im Mittelalter und führen sie zu Größe. Dabei gibt es keinerlei Fantasy-Anteile. Es wird versucht, in allen relevanten Bereichen ein heranwachsendes Reich abzubilden.
Mechanik: Das Spiel besitzt mehrere stark miteinander verzahnte Bereiche, die einzeln erklärt werden müssen. Der erste ist die Europakarte. Hier findet der Großteil des Spiels statt. Städte und Gehöfte werden errichtet, Gebäude in die Städte gebaut (jede Stadt hat 3 Anlegepunkte für verschiedene Gebäude und einen Anlegepunkt für Verteidigungsgebäude), Truppen rekrutiert und Schlachten ausgetragen. Die Startposition, die mit der Auswahl des Herrschers einher geht, entscheidet zu Spielbeginn massiv über die Spielweise. Ein Herrscher, der sehr viel Stein zur Verfügung hat, kann prachtvolle Weltwunder und mächtige Mauern aufbauen, ihm fehlen dann aber Leder für Nahkämpfer, Holz für Bogenschützen und zahlreiche Gebäude sowie Eisen für Ritter und Elitetruppen. Ein Spieler mit Eisen kann sehr schnell Kulturpunkte erhalten, neue Technologien kaufen und besagte Elitetruppen aufstellen, allerdings wird er Schwierigkeiten haben, ein großes Heer zu versorgen und eine starke Wirtschaft aufzubauen. Dennoch lässt sich damit eine gesamte Partie gewinnen. Das liegt an den zahlreichen Wegen, wie sich ein Reich entwickeln kann.
Grundsätzlich besitzt jeder Spieler eine bestimmte Anzahl von Adligen (Aktionen) die er für verschiedene Aktionen (Bauen, Bewegen, Entwickeln, Erforschen) einsetzen kann. Wenn nun weitere Spieler dieselbe Aktion durchführen, stapeln sie ihre Adligen auf ihn. Ab einen bestimmten Wert, wird sein Adliger rausgedrückt und erhält eine von zwei möglichen Belohnungen (Ressourcen oder kleinere Aktionen). Die Aktionen können erhöht werden, wenn der Herrscher Titel erhält. Dazu muss er den Großteil (am besten alle) Provinzen einer bestimmten Region besitzen. Daneben erhält er auch zahlreiche Siegpunkte.
Es gibt auch kein Runden. Die Spieler entscheiden sich nur irgendwann zu passen und ihre Adligen zurückzuerhalten. Beim Passen wird noch Einkommen erhalten, aber ansonsten wird der Zug übersprungen.
Der Kampf ist ein zentrales Element von Dark Ages und sehr spannend. Er ist in 3 Phasen geteilt. Zuerst schießen die Fernkämpfer, dann greift die Reiterei an und zuletzt greifen alle Einheiten nochmals im Nahkampf an. Einheiten besitzen dabei 2 Werte: einen Angriffswert (der muss erwürfelt werden, damit die Einheit einen Schaden verursacht) und einen Rüstungswert (Lebenspunkte). Dieser Kampf wird durch Anführer und Technologien massiv beeinflusst. Nehmen wir den Reiter: diese haben von Natur aus 2 Rüstung, treffen auf die 4+ bei 1W6 (ein berittener Bogenschütze wäre auch eine Option für den Reitereislot – man kann immer nur eine Einheitentechnologie auf einen Slot legen – dieser trifft im Nahkampf zwar nur auf die 5+, besitzt dafür aber noch einen Fernkampfangriff auf die 5+, ergreift also in allen 3 Schlachtphasen an). Jetzt besitzt der Spieler aber die Technologien Schlachtross, Lanze und Schmiedekunst auf Stufe 3 (höchste Ausbaustufe der Technologie). Dann erhält jede Ritter einen zusätzlichen Angriff, verursacht 2 Schaden, wenn er trifft und besitzt 3 Lebenspunkte. Sind die Ritter dann auch noch aufgewertet, etwa zu Deutschen Ordensrittern, treffen diese auf die 2+. Ein einziger Ritter kann so völlig problemlos durch eine Horde Bauern reiten und triumphieren. Hat ein anderer Spieler Langbogenschützen (höchste Fernkampfeinheit im Spiel), trifft er zwar auf die 2+, wird aber nur 1 Schaden verursachen. Er bräuchte also 3 Langbogenschützen, um mit ein wenig Glück 1 Ritter rauszunehmen, bevor sie im Nahkampf niedergeritten werden. Mit dem Erfinder der Wagenburg als Heerführer, Pavese-Armbrüsten (die mit dem Schild, verursachen auf eine 6 doppelten Schaden) und einen Turm im Hinterland, der starke Defensivboni gibt, ändert sich dieses Verhältnis aber wieder grundlegend. Es geht also nicht nur darum, starke Einheiten in den Kampf zu werfen, sondern sie auch mit Technologien, Anführern und Gebäuden zu unterstützen. Dazu kommt noch ein Kampfdeck, dass durch einzigartige Kampfkarten der eroberten Regionen unterstützt wird.
Die richtigen Technologien zu bekommen ist ein weiterer, zentraler Aspekt von Dark Ages. Es gibt eine Technologieauslage. Ein Spieler kann umso weiter auf diese Auslage zugreifen, desto mehr Kultur er erforscht hat. Die kulturstärksten Spieler sind also die, die sich die besten Technologien auswählen können. In die Technologieauslage kommen dann aber auch noch Karten mit einmaligen Effekten oder permanenten Boni für das gesamte Reich. Ein Spieler der sich in den Steinabbau spezialisiert hat, hat zum Beispiel großes Interesse an der Technologie Steinhandel, durch den er Stein für Gold (Jokerressource, wird für Forschung und die stärksten Einheiten benötigt, kann in jede Ressource umgewandelt werden) verkaufen kann. Oder er für den Festungsbau, wodurch jede seiner Städte eine Turmetage erhält oder für den Tribok, der Steine nutzt, um vor der Schlacht Einheiten Schaden zu machen. Aber die Wahl muss gut überlegt sein, denn jeder Spieler besitzt auf seinen Spielerboard nur 4 Slots für Technologien. Jede gekaufte Technologie ist somit eine Spezialisierung auf einen Spielbereich. Technologien erzeugen gerade auf den höheren Stufen zahlreiche Siegpunkte und ein vollständig erforschtes Spielerboard ist eine Bedingung, um das Spielende einzuleiten.
Zuletzt gibt es noch den Siegpunkte für Kirchen. Diese geben umso mehr Siegpunkte, je weniger christanisiert die Region und das Umland der Provinz ist, in der die Kirche gebaut wurde. Es ist genauso möglich ohne Armee und nur mit Weltwundern und Kirchen das Spiel zu gewinnen.
Zusätzlich gibt es noch zahlreiche Module, die etwa den Papst einführen, der zu Kreuzzügen aufrufen kann. Dabei können dann die Spieler entscheiden, wie viele Einheiten sie in den Nahen Osten schicken. Dort führen sie eine Schlacht gegen eine Stadt, gewinnen sie, werden sie belohnt und alle bestraft, die keine Einheiten entsandt haben. Verlieren sie, ist es genau andersrum. Es gibt Wikingerinvasionen oder auch Polen als unabhängige, starke Nation, die in ihrem Aufbau unterstützt werden kann. Das Spiel besitzt eine unfassbare Fülle an zusätzlichen Modulen und Spielelementen.
Spielgefühl: Dark Ages kommt von allen Spielen, die ich bisher mit historischen Setting gespielt habe, am meisten an dem einer Simulation heran. Ich pokere um Adelstitel, gründe historische Städte, führe mit Karl den Großen als Anführer meine Paladine in die Schlacht, vasallisiere feindliche Spieler und erbaue Kirchen, um selbst Papst zu werden. Ich kann nie alles machen, sondern muss mich geschickt auf etwas spezialisieren. Ein Spieler baut verstärkt Eisen ab? Dann brauche ich Armbrüste oder baue mit Bündniskarten und Befestigungen einen Schutzwall gegen diesen Spieler. Ich habe immer das Gefühl, noch etwas tun zu können – mit einer Ausnahme: Normalerweise ist so, dass ein Spieler Einheiten opfern muss, um ein neu erobertes Gebiet sich einzuverleiben. Das gilt nicht, wenn er eine Spielerstadt erobert. Jede Stadt hat zwar eine Garnison, eine überlegene Armee tötet aber eine Garnison ohne eigene Verluste. Damit verliert die überlegene Armee nie an Momentum und kann einen schwächeren Spieler Gebiet für Gebiet abnehmen, ohne dass er sich dagegen wehren kann. Das heißt im Late-Game kann es passieren, dass Spieler vasallisiert werden und im Grunde nicht um den Sieg mitspielen können, weil ihnen kein anderer Spieler zur Hilfe gekommen ist (das liegt aber meistens im Interesse anderer Spieler, damit der Spieler der überlegenen Armee nicht übermächtig wird) oder er keine nützlichen Militärtechnologien bekommen hat. Abseits vom Militär gedacht, kristallisieren sich spätesten im Mid-Game schon Leistungsgruppen von Spielern heraus, die sich von den Siegpunkten her von den anderen Spielern absetzen. Im Verlauf des Spiels bleiben sie oft uneinholbar in diesen Gruppen. Aber das ist ein Problem jedes 4X-Spiels. Früher Fehler werden erst spät und dann uneinholbar bestraft.
Fazit: Dark Ages (es gibt je eine Box für das Heilige römische Reich deutscher Nation und das Reich Karl des Großen, die aber zusammen als ein Europa gespielt werden können) ist ein Koloss. Es ist in jeder Form ausufernd, aber nicht auf eine trockene, stellenweise unfaire oder auch bedeutungslose Weise, wie etwa das Europa Universalis Brettspiel, sondern in einer großartigen, spannenden und abwechslungsreichen Spielweise. Ich kann allein mit Holz und Stein, ohne eine Militäreinheit gewinnen. Aber die Interaktion zwischen den Spielern zwingt mich meistens in eine Rüstungsspirale. Der Burgenbauer hat aber grundsätzlich die gleichen Chancen, wie der Forscher und der Eroberer. Wenn man ein langes Regelstudium und eine noch längere Aufbauphase überstehen kann, wird einem mit Dark Ages eine großartige, historische 4X Erfahrung geboten.
Tsukuyumi
Thema: Der Mond, der ein Gefängnis für den mythologischen Drachen Tsukuyumi ist, ist auf die Erde gestürzt, hat die Meere verdampfen lassen und nun kämpfen die verschiedensten Fraktionen (Cyber-Samurai, Zerg-Tyraniden-Insektenschwarm, deutsche Mech-Ritter, Amerikaner, Afrikaner, Australier, Drachen, Wildschweinmenschen, Wale, Korallen, Mörderclowns, Kung-Fu-Pandas und viele andere) um die Vorherrschaft.
Mechanik: Tsukuyumi ist ein Area-Control-Spiel. Es geht darum, Siegpunkte durch das Halten von Territorium zu bekommen und Aufträge zu erfüllen. Das Besondere an dem Spiel ist massive Asynchronität der Fraktionen:
Der Schwarm besitzt zahllose schwache Einheiten, die überall Eier legen können und selbst das noch tun, wenn sie sterben. Ihre Einheiten entwickeln sich dann mitten in einem Gebiet weiter und werden stärker. Sie lassen sich durch die zahlreichen fliegenden Einheiten nicht eindämmen und bedrohen, durch ihre schnelle Expansion und ihr rapides Armeewachstum jeden Winkel der Karte. Einzelne Modelle sind schwach und leicht zu töten, aber diese können sich genauso schnell in gefährliche Varianten verpuppen. Die deutschen Mech-Ritter haben dagegen nur 5 Figuren (der Schwarm hat über 30). Jede Mech ist einzigartig mit eigenen Fähigkeiten und lässt sich noch verbessern. Da gibt es etwa den Freischütz, der alle benachbarten Mechs im Kampf unterstützt oder Einheiten aus Gebieten herausschießt, ohne diese betreten zu müssen. Der Erzengel hat von Schwarmraketen bis zur Atomrakete ein ganzes Arsenal dabei und kann eine Region in Schutt und Asche verwandeln, während der Siegfried-Mech ein Duellant ist, der sich besondere Gegner im Zweikampf stellt. Die Wale oder Korallen hingegen wehren sich gar nicht und wälzen sich passiv-aggressiv durch die Welt und reinigen sie, um Siegpunkte zu erhalten. Drachen hingegen sind wie Rollenspielcharaktere mit Leveln, die immer stärker werden und alle Spielfelder permanent verwüsten können.
Dabei kommt ein spannender Aktionsauswahlmechanismus zum Einsatz. Jede Runde läuft in verschiedenen Phasen ab. Die weiße und erste Phase ist für jeden gleich, hier könne bis zu zwei Standardaktionen ausgeführt werden (bewegen, angreifen, bauen, Ereignis ziehen). Danach hängt jedoch alles von der Aktionskarte ab, die ich für diese Runde ausgesucht habe. Ich habe eine bestimmte Auswahl an einmaligen Aktionskarten, von der ich die beste für mich für diese Runde auswählen muss. Die Aktionskarte kann etwa keine blaue und grüne Phase (Bewegungs-/Ereignis- und Aufbauphase) enthalten, dafür aber in der roten Kampfphase zahlreiche Bewegungen und Angriffe erzeugen. Sie kann aber mir auch nur 7 Ressourcen geben, mit denen ich sofort Einheiten bauen darf und mich ansonsten meinen Zug überspringen lassen. Aus dem Pool an Aktionskarten, die ich für das gesamte Spiel auswähle, muss ich also darauf achten, möglichst eine ausgewogene Wahl zu treffen. Ich werde aufbauende Aktionskarten genauso benötigen, wie kampflastige Aktionskarten oder Aktionskarten, die mich in jeder Phase irgendwas machen lassen.
Die Kämpfe sind, neben die komplett verschiedenen und fantasievollen Fraktionen, das Highlight von Tsukuyumi. Einheiten haben einen Angriffs-, einen Eroberungs- und einen Lebenspunktewert. Angriffswerte aller angreifenden Einheiten werden addiert, und von den Lebenspunkten der Verteidiger abgezogen, das erobert aber noch keine Region. Tatsächlich ist es so, wenn ein Angriff gestartet wird, wählt der Spieler eine Karte aus und gibt sie den Verteidiger. Diese Karte einfach nur sagen, die Angreifer fügen normal Kampfschaden zu oder rechnen ihren Eroberungswert gegen den Eroberungswert der Verteidiger, um die Region zu erobern. Es können aber auch deutlich speziellere und mächtigere Effekte sein. Je mächtiger eine Karte ist, desto größer sind jedoch die Konsequenzen für den Angreifer. Denn der Verteidiger sucht sich nun eine Konsequenz der Karte auf. Bei normalen Angriffskarten ist das etwa, dass die Verteidiger ihre Lebenspunkte erhöhen können oder zurückschießen. Bei einem Atomangriff erhalten sie aus der internationalen Empörung aber dann plötzlich Ressourcen oder lassen den Erzengel in der Atomexplosion mit verglühen. Es reicht also nicht, einfach nur die stärksten Karten mit den stärksten Einheiten zu spielen. Der Angreifer muss sich immer auch vor den möglichen Konsequenzen seiner Angriffskarte vorsehen. Dazu mischen sich dann noch zahlreiche Fähigkeiten von Einheiten und Fraktionen. Amerikaner können etwa jeder ihrer Einheiten mit verschiedenen Waffen ausrüsten, während die Cyber-Samurai mit Killer-Satelliten in die Kämpfe reinschießen. Das macht die Kämpfe komplex, Positionierung sehr wichtig, aber das Spiel nie unübersichtlich.
Außerdem gibt es die neutrale Fraktion der Oni, die von jedem Spieler übernommen werden kann. Diese Plagegeister können für viel Chaos sorgen. Da sie frei auf bestimmten Felder beschworen werden können, kann schnell ein Spieler denken, es wäre eine gute Idee, die mächtigsten Oni auf einen Spieler zu hetzen. In der nächsten Runde kann es dann aber sein, dass dieser Spieler von seinen eigenen Oni durch einen anderen Spieler besiegt wird.
Spielgefühl: Grafisch ist Tsukuyumi durch seinen Comiclook wohl gewöhnungsbedürftig. Allgemein liegt der Fokus hier vor allem auf der Spielmechanik, statt auf einer dichten Atmosphäre. Diese fühlt sich jedoch trotz der großen Unterschiede in den Fraktionen meistens fair an (es gibt Fraktionen wie die Drachen, die sich aufgrund der enorm mächtigen Modelle sehr stark anfühlen. Oder Afrika kann etwa die Karte beliebig erweitern und so einen Eroberungsbereich nur für sich erschaffen, der unangefochten bleibt, weil die Gebiete in einer langen Schlange immer weiter vom Rand der Spielkarte wegführen). Das Besondere ist die Interaktion zwischen den grundverschiedenen Fraktionen, die eigene Geschichten schreibt. Wenn meine Deutschen Mech-Ritter vom Schwarm umringt werden und geradeso die Stellung halten können, bis plötzlich die Amerikaner einen Entlastungsangriff ausführen und ich ihnen zum Dank die Mondmitte (1 Siegpunkt pro Runde statt nur am Ende des Spiels) überlasse, die dann in der nächsten Runde von den Walen plattgewalzt wird, dann ist das spannendes Taktiktieren mit einer Mischung aus Chaos und Schadensfreude.
Fazit: Tsukuyumi ist vor allem ein taktisches Spiel. Ich bringe meine Modelle klug in Position und gebe nur so viele Ressourcen, wie irgendwie möglich aus, um meine Aufträge abzuschließen oder ein wertvolles Gebiet zu erobern. Ich bin ständig von allen Fraktionen bedroht und jede Bewegung muss gut überlegt sein. Die Interaktion zwischen den Spielern führt zu einer stetigen Eskalation. Keine Fraktion fühlt sich dabei übermächtig oder unfair an und selbst Spieler, die niemals kämpfen wollen, können mit den friedlichen Walen oder Korallen auf ihre Kosten kommen. Allerdings muss man Area-Control-Spiele schon mögen, denn mehr als das, bietet Tsukuyumi nicht. Aber das bietet es mit einer unvergleichbaren Vielfalt an Modellen, Fähigkeiten und Effekten.
Hier noch eine Liste von weiteren Expertenspielen, die ich sehr empfehlen kann:
Im Wandel der Zeiten – 8+h langes Civ-Spiel, sehr starker Aufbau und Entwicklungsaspekt
Eclipse – mein liebstes Sci-Fi-Schiffsbau-Spiel, 4X, größte Freiheiten im Design eigener Schiffe
Hegemony – wissenschaftlich recherchiertes Schwergewicht, in dem die verschiedenen Bevölkerungsschichten eines Staates gespielt werden, faszinierend, lehrreich und komplex.
Heroes 3 – meisterhafte, fast 1:1 Spieleumsetzung des großen Klassikers, eine Hälfte Hexfelderkundung, Heldenmanagement und Städtebau, die andere Tabletopschlachten
Voidfall – deterministisches, kampffokussiertes 4X Sci-Fi-Spiel, viele Regeln, sehr grüblerisch, aber auch umso belohnender
Frostpunk – ich habe noch 5 Partien auf den leichtesten Schwierigkeitsgrad das Spiel nur ein einziges mal erfolgreich beenden können. Knallhartes, kooperatives Aufbauspiel mit großartiger Atmosphäre und grausamen Entscheidungen.
Arche Nova – gemütliches Zoo-Aufbauspiel mit Realgrafik und unglaublich vielen Tieren
So viel erstmal von mir. Ich bin schon auf eure Empfehlungen und Vorschläge gespannt. Von Expertenspielen kann ich nie genug bekommen!