In der Gaming-Industrie ist es ein etablierter Trend, Publikumslieblinge erfolgreicher Marken aufzuhübschen, eventuell heutige Komfortfunktionen hinzuzufügen und sie als Remake, Remaster oder HD-Edition nochmal herauszubringen. Das kann nur funktionieren, weil ihre Idee, ihr Stil, ihre Geschichte oder ihr Gameplay zeitlos sind. Das kann nicht nur für Computerspiele gelten, dachte ich mir und habe nach Brettspielperlen getaucht. Ich suchte nach den besten Vertretern meines Lieblingsgenre: überkomplexe 4X Sci-Fi Spiele. Neben zig Erwähnungen von Twillight Imperium (was ich tatsächlich gar nicht so gut finde) entdeckte ich dadurch auch Space Empires 4x. Auf den ersten Blick wirkte es mit seinen minimalistischen Grafiken, schmuck- und symbollosen Tabellen zum Selbsteintragen sowie überbordenden, kontraintuitiven Zusatzregeln wie ein 8-Bit-Spiel aus den 90zigern. Tatsächlich stammt das Spiel von 2011 von einem Unternehmen, das sich auf Wargames fokussiert hat. Die Erfahrung damit war aber so ungewöhnlich, dass ich euch heute einmal davon berichten möchte.
Wie aus der Zeit gefallen
Zunächst einmal kommen wir zum Offensichtlichen: die gesamte Aufmachung des Spiels ist, höflich formuliert, zweckmäßig. Wobei das auch nicht korrekt ist. Da alle Marker (Planeten, Weltraumobjekte, Schiffe et.) dieselbe Form und Größe haben erkennt man spätestens ab Runde 5 kaum noch, welche der eigenen Flotten schon gezogen hat und welche noch aktiviert werden muss. Laufende Kosten und Einkommen werden nicht über Marker dargestellt, sondern müssen jede Runde aufs Neue berechnet, verrechnet und dann für die eigene Ökonomiephase verplant werden. Alles wirkt umständlich, unübersichtlich und überwältigend. Aber auf eine nostalgische Weise erinnert es mich damit auch an die großen Spiele der 90ziger. Als Kind hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte und konnte. Ich saß vor ehrfurchtsgebietenden Statistiken und habe tausend Reiche in den Ruin gestürzt, bevor ich überhaupt verstand, wie das Spiel vor mir funktioniert hat. Space Empires 4x wirkt auf dem ersten Blick wie ein kantiger, ungeschliffener Rohling, der Regelstudium und Frustrationstoleranz abverlangt. Kein Vergleich zu heutigen Brettspielen, die einen auf so vielen Wegen und mit so vielen Methoden an die Hand nehmen und beim Spielen unterstützen. Aber gelingt es, diese Hürden zu überwinden, wird der Diamant sichtbar, zu dem dieses Spiel werden kann.
Faszination der Möglichkeiten
Space Empires 4x entfacht die Magie, die Warhammer 40k für mich einmal hatte und mit jeder gestreamlineten Edition immer weiter verlor. Das Spiel sagt gar nicht, dass es zugänglich und für alle in angenehmen Portionen konsumierbares Erlebnis sein will. Es ist eher wie die Soulslikes: es hat einen sehr prägnanten Gameplaykern, der viele Spieler ausschließen wird, aber für jene, die ihn zu schätzen wissen, ungeahnte Möglichkeiten entwickeln. Ich will das an einem Beispiel klarer machen:
In Space Empires 4x erforschen die Spieler das Weltall, errichten Kolonien, forschen und bauen verschiedenste Schiffe. Ziel in meinem Szenario war es, die Heimatwelten der Gegner zu vernichten. Ich produziere also Schlachtkreuzer, weil kosten viel und sind stark, und schicke sie zu meinem Gegner. Der hat zwar nur Kreuzer, aber die haben bereits eine erfahrene Besatzung und er hat die besseren Schiffstechnologien. Es wird ein ausgeglichener Kampf, den ich allerdings gewinne. Ich beginne nun seine Kolonien mit Bodentruppen anzugreifen. Ich könnte sie auch aus dem Orbit zerbomben, aber ich will die Kolonien für mich selbst nutzen und ich kann ihn dadurch Technologien stehlen. Er entsendet eine Trägerflotte, die mit den zahlreichen kleinen Kampfmaschinen meine Schlachtkreuzer kontert. Ich muss plötzlich Punktverteidigung erforschen, weil die sehr gut, gegen Jäger sind, die lässt sich aber nur in Scouts einbauen. Ich produziere die zwar, aber bevor sie die großen Distanzen im All überwunden haben, hat mein Gegner bereits Minen erforscht und sichert die Engstellen zu seinem Reich. Ich habe nun also die Wahl, entweder Minenräumer zu erforschen und zu bauen oder die Minen zu umgehen. Ich entschließe mich dazu, Tarnung zu erforschen und dringe unbemerkt in das Reich meines Gegners ein, da alle Technologien und Flotten von den Spielern geheim gehalten werden. Er könnte sie aufspüren, doch dazu bräuchte er Zerstörer, die mit entsprechend leistungsfähigen Sensoren ausgestattet sind.
Für jedes Schiff gibt es gefühlt ein Gegenschiff. Selbst große Schlachtschiffe fühlen sich balanciert an, weil ein Spieler maximal zwei davon besitzen kann und sie ihm die kompletten Werften (und auch nur, wenn ein Spieler alle davon gebaut hat und sie mindestens einmal per Technologie verbessert hat) blockieren. Das Spiel mit dem Unwissen, was mein Gegner nun an Technologien und Flotten besitzt und die zahlreichen Möglichkeiten Situationen über neue Technologien oder Flottenkompositionen zu lösen, sind faszinierend. Jeder Bau von Schiffen und Stationen, jede Forschung und Bewegung fühlt sich bedeutsam an. Vor allem ist es aber das Gefühl der Freiheit und der Möglichkeit, was geradezu berauschend ist. Ich muss in dem Spiel nie Bodeneinheiten bauen. Aber wenn ich es will, kann ich mir aus Infanterie, Landungsschiffen, Panzern, Luftunterstützung, schwerer Infanterie usw. eine Armee zusammenbauen. Wenn ich in ein schwarzes Loch fliege, muss ich würfeln, ob ich das überlebe. Ich kann mir den Wurf aber auch zusätzlich erschweren, um die Gravitation des schwarzen Loches für einen Slingshot zu benutzen. Ich kann die Schiffe benutzen, die ich nach und nach erforsche, ich kann aber auch Schiffe komplett selbst designen und sie mit selbstgewählten Werten und einzigartigen Fähigkeiten ausstatten.
Fazit
Space Empires 4x ist ein Sandkasten und das macht es als Brettspiel so ungewöhnlich. Brettspiele müssen aufgrund ihres Materials und Regelumfanges (es gibt hier keinen Computer, der Regeln oder Ausgänge für einen berechnet) eigentlich sparsam und einschränkend sein. Die Spielerfahrung ist daher in den meisten Fällen ein ganz bestimmtes Erlebnis. Space Empires 4x zeigt mir aber, dass ein Brettspiel auch ohne Spielerkomfort, Übersichtlichkeit oder ansprechende Grafiken als Brettspiel funktionieren kann und sich sogar dadurch von anderen, neueren Spielen abhebt. Denn es ist gleichzeitig in seinem Spielaufbau dadurch so offen, dass es schon dutzende kleinere und größere Erweiterungen von Fans des Spiels gibt, die sich problemlos integrieren lassen. Schließlich setzt das Ding sowieso nicht auf Grafik oder hübsche Modelle, sondern auf Zettel und Bleistift. Ich kenne kein anderes Brettspiel, bei dem das so möglich wäre. Diese Freiheit, Spielmöglichkeiten und Modellierbarkeit machen es für mich daher zu einem besonderem Spiel.