Abschied und Neuanfang – der Tod im Rollenspiel

Ich hatte vor einiger Zeit eine Situation im Rollenspiel, die mich zum Nachdenken gebracht hat. In einer meiner Spielgruppen haben wir immer einen Piloten-Nicht-Spieler-Charakter. Der ist wichtig, weil niemand den Piloten spielen wollte und er für das Erzählkonzept (Team fliegt auf Mission und wird wieder abgeholt) notwendig ist. Allgemein ist das Pilotenkonzept relativ schwierig, weil entweder hat er, als einziger, nur für einen bestimmten Abschnitt was zu tun oder aber er sitzt im Fluggerät rum und wartet, bis die anderen fertig sind. Deswegen hatten wir uns damals für die NSC-Lösung entschieden. Jetzt spielt diese Runde schon sehr lange und der NSC war von Anfang an dabei. Er bekam mit jedem Abenteuer ein bisschen mehr Charakter, nahm immer mal wieder in den Geschichten teil und gehörte alsbald zur Familie. Irgendwann gab es einen Meisterwechsel für ein Abenteuer und ein alteingesessener Spieler, der mit diesen NSC genauso vertraut war, wie wir alle, lässt ihn einfach bei einem Absturz sterben.
Die gesamte Gruppe war einmal so aufgebracht deswegen, dass dieses Ereignis den Rest des Abenteurers überschattet hat. Klar, die Spielleitung verteidigte ihre Entscheidung, dass man ihn einfach ersetzen könnte und wir lieber die Begräbnisszene und den Verlust als Spieler genießen sollten. Aber dieser Pilot war für uns ein Fundament des Spiels, etwas, mit dem wir so vertraut waren, dass wir es einfach nicht mehr missen wollten. Ihn einfach zu ersetzen, einen NSC mit dem wir das gesamte Spiel aufgewachsen sind, das wirkte nicht nur falsch, sondern auch völlig willkürlich. Als würde man seine Taten einfach entwerten, weil sie auf die gleiche Stufe mit einem namenlosen NSC gestellt wurden sind. Selbst schon ihn einfach so sterben zu lassen, lapidar, ohne Bedeutung, hat den Rest der Gruppe rasend gemacht. Wir haben schon verschiedene Spielercharaktere durch die Umstände der Abenteuer verloren. Aber das waren befriedigende Tode und sie waren für die Spieler in Ordnung. Sie haben sie verstanden und es akzeptiert, warum ihr Alter Ego gestorben ist. Ironischerweise ist es aber genau dieser NSC, bei dem das alles nicht zutrifft. Ein Charakter, den niemand spielen wollte und nie jemand je gespielt hat, hat solch große Wellen geschlagen. Aus Sicht der Spielleitung war es natürlich legitim, weil auch der Tod eines bekannten oder wichtigen NSC passieren kann, aber uns als Gruppe hat das schwer getroffen. Ich will in diesen Beitrag einfach mal für mich klären, woran das liegen könnte und wie man mit dem Charaktertod im Rollenspiel umgehen kann.

Der Tod im Spiel

Alles hat ein Ende. Trotz diverser Zeitreise-Nekromantie-Bemühungen wird der Tod oft als das ultimative Ende empfunden. Im Falle von Kämpfen gegen Monster oder Feinde ist er ein Erfolg. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nehmen wir ihn als positives Resultat unserer Taktik und Würfe hin. Er bedeutet dort keinen Kummer, sondern Sieg und Schätze. Aber sofern die Leichen nicht noch geplündert werden können, hat er dort auch keine größere Bewandtnis. Über ihn wird dann kaum reflektiert, weil auch die Beziehungen der getöteten Figuren wahrscheinlich keine Sichtbarkeit besitzen. Die Familien von erschlagenen Banditen oder die hilflos zurückgelassenen Welpen von gejagten Wölfen haben in den zumeist eindimensionalen Kämpfen keinen Platz. Die Feinde stellen Hindernisse dar und ihr Tod kommt ihrer Überwindung gleich.
Dieses Denken ändert sich schlagartig, wenn dem Tod Hintergrund und Bedeutung zukommt. Die entscheidenden Elemente am Tod sind seine Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit. Alles was eine Person ausgemacht hat, ihre gesamte Zukunft und jede Verbindung zu anderen hört plötzlich für immer auf. Erst, wenn den Spielern diese Tragik oder Gewalt an Konsequenzen vor Augen geführt wird, kann ein Bewusstsein dafür entstehen, was es heißt, eine Person zu töten. Das wird im Rollenspiel dann lohnenswert und wichtig, wenn die betroffene Person wichtig oder vertraut war. Denn dann lassen sich einzigartige Szenen, wie ein heldenhaftes Opfer, ein Begräbnis oder das stille Leid der Nachwirkungen, darstellen. Feinfühlig ausgeführt, wird man sich lange an eine solche Szene erinnern. Sie geben dem Ende eines Lebens einen Sinn oder beenden es auf eine würdige und befriedigende Art für den entsprechenden Spieler. Ich halte sie für unverzichtbar, wenn Charaktere, zu denen die Spieler einen Bezug aufgebaut haben, dahinscheiden. Ein Spielercharakter sollte daher nie lapidar sterben. Nur so kann man der ernsten Thematik und dem Wirken einer Person gerecht werden.
Auf der anderen Seite kann der Tod auch als Spielelement dienen. Das Spiel Paranoia sagt direkt, dass jeder Spieler eine gewisse Anzahl von Leben hat und es nicht schlimm ist, das Zeitliche zu segnen. Es lädt zum Experimentieren ein. Besondere Charaktere, wie Wikinger, suchen den ehrenvollen Tod in der Schlacht. Bei anderen Systemen existieren Wiederbelebungen oder bestimmte Arten der Rückholung. Die Temporärität des Todes kann demnach auch zu einem neuen Ziel für die Gruppe werden. Allgemein gilt, dass die Angst vor dem Tod eine natürliche Motivation eines jeden Charakters darstellt. Demzufolge dürfte er für Spieler sehr frustrierend, besonders wenn er ohne Sinn oder durch Pech stattfindet. Jede Spielleitung sollte, meiner Meinung nach, daher wissen, wie folgend mit dem Tod im Spiel umgegangen werden sollte.

 

Wie mit dem Tod umgehen?

Als Antwort auf diese Frage gibt es verschiedene Konzepte. Ich will einfach mal von den Erfahrungen reden, die ich gemacht habe. Sie sind bestimmt nicht vollständig und können sicherlich ergänzt werden, aber sie geben zumindest einen gewissen Einblick, was man tun kann, wenn der schlimmste Fall eingetreten ist.

Unbesiegbarkeitskonzept: Die Spieler sind sich bewusst oder merken sehr schnell im Spiel, dass die Spielleitung sie einfach nicht sterben lassen will. Da werden Würfe manipuliert oder überraschende Ereignisse treten ein, um das Unvermeidliche doch noch abzuwenden. Ich habe eine gewisse Zeit in so einer Gruppe gespielt und kann sagen, dass das recht langweilig ist. Durch die Sicherheit eines Schutzengels werden die Szenen irgendwann unauthentisch und es fehlt ein Gefühl von Bedrohung. Das hat nachher zu tollkühnen Verhalten geführt, welches jenseits jeder Vernunft war.
Die Spielleitung hatte ihre Entscheidung damit begründet, dass jeder Charakter sehr wichtig für die Geschichte war. Die Kampagne war maßgeblich nur von den Spielercharakteren abhängig. Wenn einer von ihnen gestorben wäre, hätten sehr viele Fäden nicht mehr funktioniert. Um die Unbesiegbarkeit zumindest einzuschränken, wurde später ein System eingeführt, das bei jedem Tod eines Charakters stattdessen einen permanenten Nachteil verhalten hat. Er hat entweder Körperteile verloren oder wurde mit geistigen Krankheiten gestraft. Das war wiederum ein sinnvoller Weg, um todesverachtendes Verhalten abzumildern und gleichzeitig den Spielern schmerzhaft die Konsequenzen ihrer Handlungen vor Augen zu führen. Zumal sich an jede Narbe erinnert wurde und durch den Wegfall von Körperteilen auch öfter improvisiert werden musste

 

Experimentierungskonzept:  Bei One-Shoots, also einmaligen, abgeschlossenen Abenteuern, oder Spielern, die mit ihren Charakteren zweifeln, kann eine ganze Bandbreite von verschiedenen Herangehensweisen und Charakterideen ausprobiert werden. Kommt es zum Todesfall, ist dieser nur für das eine Abenteuer begrenzt und hat damit wenig Auswirkungen, auf das weitere Spiel. Ein Freund von mir spielt in einer Warhammer-Fantasy-Gruppe, in der die Spieler aller 2 Abenteuer neue Charaktere anfangen, weil das Spiel so tödlich ist. Das ist aber kein Problem. Da die Erstellung vielfältig ist und da es scheinbar Spaß macht, immer wieder andere Klassen und Rassen zu spielen, nehmen die Spieler den Tod nicht nur in Kauf, sie sehen jedes einzelne Abenteuer sogar als besondere Überlebensherausforderung. Der Tod ist hier, passend zur Welt, etwas Alltägliches. Anstatt ihn zu beklagen, wird beim nächsten Mal eine andere Generierungstaktik und Verteilung von Punkten angewandt. Jeder der Spieler hat dort einen Ersatzcharakter, falls der erste im Abenteuer stirbt, damit er gleich mit dem zweiten weitermachen kann. Das funktioniert allerdings auch nur so gut, weil die Geschichten unabhängig der Charaktere funktionieren, also unpersönlich bleibt, und die Gruppe sich eher den Herausforderungen des Abenteuers stellt, als sich ausgiebig in ihren Charakter zu vertiefen.

 

Wiederbelebungskonzept: Ich habe lange Zeit Dungeons and Dragons gespielt und habe daher Sympathien mit diesem Konzept. Stirbt ein Charakter ist er nicht endgültig verloren. Aber die Wiederbelebung ist so teuer und aufwendig, dass jeder Spieler den Tod unbedingt vermeidet. Die Bedrohung bleibt also erhalten. Jeder achtet penibel darauf, nicht zu sterben. Doch wenn es passiert, ist der Frust deutlich abgemildert, eben weil noch die Möglichkeit besteht, den lieb gewonnen Charakter zurück zu holen. Wir hatten das bisher so gehandhabt, dass es immer noch mit einer Quest verbunden war. Es galt also nicht nur einfach Ressourcen zu verlieren, sondern sich die Auferstehung richtig zu erarbeiten, was auch befriedigend war.

 

Geschichtskonzept: Das ist die Variante, mit der ich momentan spiele. Der Tod wird hier als integraler Bestandteil der Geschichte akzeptiert. Wenn ein Charakter stirbt, dann entwickelt sich hier die volle Tragik des Geschehens, löst weitere Ereignisse und die Spieler müssen erst einmal mit dem Tod klarkommen, ihn verkraften und auf ihn reagieren. Er ist kein regeltechnisches Abhaken, sondern beeinflusst den Fortgang der Kampagne auf dramatische Weise. Er stellt den Superlativ des Failing Forward (eine neue, interessante Spielsituation ergibt sich aus dem Scheitern der Charaktere) dar. Hierbei ist es notwendig, alle Konsequenzen des Ablebens abzubilden und den Spielern dann die Möglichkeit zur eigenen Szenengestaltung und Reaktion zu lassen. Dann aber kann der Tod tatsächlich auch als besonderes Erlebnis zelebriert werden.

 

Was sind eure Erlebnisse mit dem Tod im Rollenspiel? Habt ihr mal einen lieb gewonnen Charakter verloren und wenn ja, wie habt ihr darauf reagiert? Ich freue mich über eure Berichte. =)

Ein Gedanke zu „Abschied und Neuanfang – der Tod im Rollenspiel

  1. Der Narr

    Ein schöner Beitrag zu einem schwierigen Thema.

    Zunächst war ich auch immer der Spielleiter, der zu stark seine schützende Hand über die Spieler gehalten hat. Das lag in erster Linie daran, dass in der Gruppe relativ viele Rollenspiel-Neulinge waren, die ich nicht durch zu schnellen Charaktertod frustrieren wollte und die sich zunächst mal ausprobieren sollten, ohne gleich immer die schlimmsten Konsequenzen befürchten zu müssen. Sterben konnte man eigentlich nur durch offensichtlich tödliche Aktionen (Wer darauf besteht, in eine Schlucht zu springen oder in die Drachenhöhle zu marschieren und dort Lärm zu machen… dieses Kaliber etwa).

    Mittlerweile habe ich das geändert und die Spieler haben sich auch gut darauf eingestellt. Es zwingt sie, deutlich vorsichtiger zu agieren und ihre Aktionen als Gruppe besser abzustimmen. Rollenspielerisch hat sich das positiv auf die Gruppe ausgewirkt, allerdings erst, nachdem zwei Spieler die Gruppe verlassen haben und dafür ein anderer eingestiegen ist, der mit diesem Konzept besser klarkam.

    Was uns leider immer noch nicht gelingt, ist der angemessene Umgang mit der Tod von NSC. Hier habe ich eher das Gefühl, es handelt sich um ein unliebsames Kapitel, welches möglichst schnell abgehandelt werden soll. („Ach ja, ich bestatte ihn dann noch angemessen…“). Immerhin wird er nicht mehr als zusätzliche Loot-Gelegenheit à la The Gamers gesehen, aber da ist darstellerisch doch noch einige Luft nach oben.

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