Ich hatte letztens eine sehr interessante PnP-Runde. Ein
anderer Spielleiter hatte genau am Spieltag abgesagt und da niemand sonst ein
Abenteuer vorbereitet hatte, bot ich mein System an, indem die meisten
Spielinhalte über Zufallstabellen ausgewürfelt werden. Es sollte also nur eine
kurze Runde von 4 Stunden werden, die ohne epische Geschichte auskam und dafür
das gemütliche Beisammensein unter Freunden fördern sollte. Im Grunde also
nichts Besonderes, doch natürlich kam alles anders, als man gedacht hat.
Schon seit geraumer Zeit hatte ein Spieler Frust in dieser Runde aufgebaut.
Während im Laufe der Abenteuer die Charaktere sich immer weiter in moralische
Grauzonen begaben, blieb der eine Charakter seinen Prinzipien treu. Das sorgte
auf der einen Seite für tolles Konfliktspiel, weil so die Positionen der
Polizei und der Kriminellen immer wieder aufeinander getroffen sind. Stets
musste die Gruppe abwägen, auf welche Seite sie sich jetzt schlagen und welche
Konsequenzen ihr Handeln haben würde. Da die Schurkenseite aber mit der Zeit immer
größer und einflussreicher wurde, hatte der Spieler es immer schwerer, sich
durchzusetzen oder mit der Gruppe zu harmonieren.
Diese Umstände entluden sich, indem der Spieler die gesamte Gruppe und ihre
gesetzlichen Verfehlungen den Polizeikräften meldete. Es kam zu einem
Polizeieinsatz und der Rest der Gruppe versuchte mit Waffengewalt der staatlichen
Autorität zu entkommen – und scheiterte. Innerhalb der ersten halbe Stunde des
Spiels waren alle Charaktere, bis auf den Melder, inhaftiert. Also Game Over?
Mitnichten.
Was ging im Kopf der Spieler vor?
Jeder der Anwesenden hat sich bereits während des
Polizeieinsatzes darüber echauffiert, wie die Situation nur so eskalieren
konnte, wie doof die Situation eigentlich gerade ist und dass es so nicht mehr
weitergehen kann. Das war der Grund, warum ich das IT-Spiel abbrach und ein
OT-Gruppengespräch begann.
Das erste Problem, was uns als Gruppe auffiel, war, dass es nicht wirklich
einen klaren Auslöser gab. Die IT Ereignisse, die zu diesem Chaos geführt
hatten, waren kohärent und logisch nachvollziehbar. Es war also nicht so, dass
jemand schlecht gespielt hatte oder sich OT rächen wollte. Auch hatte sich niemand
gegen die Konsequenten, wie die Haft oder die Konfiszierung der Waffen, gewehrt.
Denn auch das waren nachvollziehbare Handlungen. Wir mussten also notwendig
erkunden, wie es zu dieser Situation kam.
Da zeigte sich, dass das eigentliche Problem schon viel früher begonnen hatte.
Der eine Spieler, der den Polizeieinsatz ausgelöst hatte, spielte einen
autoritären und lautstarken Charakter. Das machte er jede Runde auch IT
deutlich und trotzdem hatte er das Gefühl, überhört zu werden. Seine Reaktion
war es, immer lauter zu werden, sodass er wieder ernst genommen wurde. Deshalb
wurden seine Taten oppositioneller, radikaler und konsequenzenreicher bis sie
den Punkt erreicht hatten, an dem sie das Spiel zerstörten. Eigentlich suchte
er nach Anklang, Harmonie und gemeinsamen Spiel, aber er fand nur IT-bedingte
Ablehnung und Anfeindung. Für die anderen Spieler war das Konfliktspiel ein
Genuss. Sie nahmen die Friktionen nicht als unangenehm, sondern als spannende
IT-Komponente wahr, die einem zwang, die eigene Mannschaft als potenzielle Problemquelle
in ihre Pläne miteinzurechnen, wodurch teilweise tolle Spielsituationen
entstanden. Dieser Kontrast, einen quasi Polizisten auf einen mittlerweile
Piratenschiff zu haben, der dazu noch eine hohe Stellung in der Hierarchie des
Schiffes innehatte, belebte das gesamte Spiel an Bord. Außerdem erschlossen
sich über ihn Spieloptionen, an die die Schurken entweder nicht dachten oder
nicht die Möglichkeit dazu hatten. Was der eine Spieler also als unangenehm und
unharmonisch empfand, galt für die anderen als abwechslungsreich und fordernd.
Wie wurde die Lösung erreicht?
Natürlich bestand die Möglichkeit, dass der eine Spieler
sich einen neuen und dieses Mal zwielichtigen Charakter bauen konnte. Aber das
wäre für alle unbefriedigend gewesen, zumal er trotz aller IT-Meinungsverschiedenheiten
tief in der Gruppe verankert war. Ich bin außerdem der Meinung, dass das OT
immer wichtiger ist, als das IT. Zum einen da nur die wenigsten OT vollständig
von IT trennen können und ihr Befinden sich eigentlich immer auf das Spiel
auswirkt. Zum anderen weil die Charaktere am Tisch natürlich in erster Linie
Freunde sind und man ja will, dass es ihnen gut geht und sie Spaß haben. Selbst
wenn er IT einen neuen Charakter gehabt hätte, hieße das nicht automatisch,
dass auf der OT-Ebene alles geklärt gewesen wäre. Das heißt, trotz aller
IT-Freuden mit dem Konfliktspiel war meine Priorität erst einmal, dass wir alle
zusammen eine Lösung finden, mit der sich der Spieler wohlfühlt. Jeder hat
darin Vorschläge eingebracht und alle aus der Gruppe wurden gefragt, was sie
von den Vorschlägen halten und ob sie mit ihrer Umsetzung einverstanden wären.
Das Ganze hat eine Dreiviertelstunde gedauert und war sehr ergiebig.
Am Ende entschieden wir uns als Gruppe dafür, dass der Konflikt zwischen
Polizei und Verbrechen sich nicht mehr auf die Gruppe richten sollte, indem wir
schlicht freie Abenteuer ohne diesen Hintergrund spielen würden. Falls es doch
zu Verwicklungen kommen sollte, versprachen sich die Spieler untereinander
davon zu berichten, damit man auch wieder als Gruppe über das weitere Vorgehen
entscheiden konnte (vorher hatten die Spieler einfach gehandelt). Zuletzt
einigte sich die Gruppe darauf, nicht mehr so schnell ihre Trumpfkarten
(Kontakte zur Polizei/ Piraten) zu spielen, um nicht gleich wieder eine Situation
zu erzeugen, die schnell aus Kontrolle geraten kann.
Ob sich die Spieler daran halten werden oder die Maßnahmen überhaupt etwas bringen,
muss sich erst noch zeigen. Aber die ganze Spannung, die vorher in Gruppe
herrschte, war damit beseitigt. Es fühlte sich wie ein Neubeginn an. Direkt nach
dem Gespräch stiegen wir wieder ins Spiel ein und anstatt sich jetzt gegenseitig
die Schuld zu geben (was früher ständig passiert ist), gab es Erklärungen,
Entschuldigungen und IT-Überlegungen, wie nun die Situation überwunden werden
konnte. Der Rest des Spieles war zwar inhaltlich nichts anderes als
Schadensbegrenzung, aber die Gruppe handelte darin mit neuer, ungeahnter
Energie.
Nicht nur der Spielabend wurde durch dieses Gruppengespräch gerettet, sondern
auch der Hausfrieden der Gruppe. Die Diskussionen waren vernünftig und
konstruktiv, weil jeder an einer Lösung für alle interessiert war. Wir waren
natürlich alles Freunde, in Gruppen aus Fremden mag das nochmal etwas anders ablaufen.
Im Nachhinein halte ich aber diese Gespräche mit der Gruppe für sehr empfehlenswert.
Hattet ihr schonmal solch eine Situation? Wie ging sie bei euch aus? Ich bin schon gespannt, davon in den
Kommentaren zu hören!