Die Autorität der Regeln – Widerstand ist zwecklos

Ich hatte ja schon den einen oder anderen Beitrag zu Regeln geschrieben. Aber das ist wohl auch ein Thema, mit dem ich oft konfrontiert bin. Da ich derzeit zu dem Regelmoloch des Warhammer 40k Systems arbeite, scheint mir das Thema komplexer den je zu werden. Das liegt zum einen an dem Regelwerk selbst, zum anderen aber auch, wie mit Regeln alles andere außerhalb des Spiels verhandelt wird. Das würde ich gerne in diesem Beitrag erläutern.

Was sind Regeln?

In der Soziologie gibt es den schönen Spruch: Normen erzeugen Normalität. Er umschreibt kurz und prägnant, warum Regeln so wichtig sind. Sie erzeugen ein einheitliches und kollektives Denksystem, in dem eigene Handlungen und Handlungen von fremden Akteuren berechen- und vorhersehbar werden. Ich kann darauf vertrauen, dass mein Gegenüber nicht die Tischplatte umwirft, damit meine Figuren davon verschwinden. Denn wir beide haben uns darauf geeinigt, sie über die von den Spielregeln vorgegebenen Weg zu entfernen. Eine Ordnung wird etabliert und diese erschafft Sinn, Orientierung und Sicherheit. Es ist daher verständlich, dass Veränderungen dieser Ordnung, wie durch Hausregeln, zu Skepsis und Ablehnung führen. Das Vertraute muss zwar nicht unbedingt gut sein, aber es ist zumindest gewohnt. Um eine Veränderung zuzulassen, bedarf es daher eine Legitimation. Diese kann allerdings schon darin bestehen, indem die Regeln etwa vom Spieleentwickler stammen.

Eine Frage der Autorität

Autorität ist für den Regelentwickler zentral, zumal bereits das Konzept der Regeln ein autoritatives ist. In den Warhammerspielen bleibt es niemals außen vor, sich über Regeländerungen zu unterhalten. Das sind meistens Gespräche voller Beschwerden. Konsens herrscht oftmals darüber, dass die Spielbalance zu Gunsten eines powercreeps vernachlässigt wurde. Das heißt, jedes neue Armeeregelwerk ist stärker, als das vorherige, mit der Vermutung, dadurch Verkäufe anzuregen. Armeen, die schon sehr früh oder seit langer Zeit kein neues Regelwerk bekommen haben, sind schlicht objektiv schwächer. Aber dieser Umstand wird wie schlechtes Wetter hingenommen. Es gibt sicherlich einige Spieler, die dadurch bei älteren Regelvarianten verweilen. Die überwältigende Mehrheit der Spieler hingegen zieht mit. Das tun sie, obwohl sie sich darüber ärgern, für ein neues Regelwerk etwas mehr als 40 Euro bezahlt zu haben. Das wird umso gravierender, wenn es zudem noch balancerelevante Druckfehler beinhaltet und bereits an dem Tag veraltet ist, an dem es rausgekommen ist (neuer Tyraniden-Codex). Die Vorzeigefraktion hingegen, die auf einen Großteil der Werbevideos zu sehen ist, bekommt mitten in der Edition noch ein Regelwerk, um ihre Kampfkraft anzupassen. Dieser Aufwand wird nur für sie betrieben. Die Spieler schlucken diese bittere Pille aber, denn hinter diesen Änderungen steht die Firma und damit die Autorität, diesen Schritt zu rechtfertigen. Selbst abseits der Turnierszene werden keine eigenen Regeln erstellt, um die gröbsten Fehltritte zu revidieren.

Die externe Dimension von Regeln

Regeln werden so zu einem Instrument dreister Firmenpolitik. Sie können das Kaufverhalten von Spielern direkt beeinflussen. Bei Turnieren wird jede Regellücke oder Unbalanciertheit genutzt, um einen Vorteil zu erzielen. Wenn der Hersteller also eine Box veröffentlicht, in der neben anderen Modellen und Gelände ein einziges Modell ist, was die anderen in Stärke oder Kombinationsmöglichkeit aussticht, dann wird diese Box wegen dieses Modells gekauft. Verändert sich die Stärke eines Modells, etwa durch eine der häufigen Erratierungen, dann wird es schlicht ausgetauscht. Bei den Turnierspielern, die mir gegenüberstanden, blieben so die Modelle immer unbemalt. Das ergibt auch Sinn. Warum sollten sie diese bemalen, wenn jeden Monat die Möglichkeit besteht, dass sie diese mit anderen, derzeit besseren Modellen ersetzten könnten? Die Bindung zu den eigenen Figürchen und ihren Geschichten habe ich so bei keinem dieser Turnierspieler entdeckt. Es drehte sich alles um Leistung und Effizienz.

Auch die soziale Dimension leidet unter so einer ausbeuterischen Regelpolitik. Wenn ich ein Freundschaftsspiel gegen jemanden mache, der das Spiel des Gewinnens halber spielt, dann muss ich mir danach anhören, was ich alles in der Regelnutzung falsch gemacht habe – ironischerweise unabhängig davon, ob ich gewinne oder verliere. Tipps lauten dann, du musst dir x so oft kaufen, wie du kannst. Du nimmst immer y mit. Das sind nicht nur Sätze, die auf eine völlig schiefe Balance hinweisen, sondern die die Spielweise auf eine ganz bestimmte Richtung reduzieren. Ich habe mit dem Hobby angefangen, weil ich den Hintergrund der Welt mochte und epische Momente zwischen den ganzen übertriebenen Einheiten erleben wollte. Was ich dagegen sehe, ist immer wieder dieselbe Konstellation aus Einheiten einer Fraktion, die genau zwei Strategien verfolgen: auf die Missionsziele hetzen oder von hinten alles abschießen. Meine Gegner berechnen bereits anhand der Startaufstellung der Einheiten, ob sie gewinnen werden oder nicht. Dieses freundliche, gesellige Quatschen, während man ein paar Einheiten umher bewegt fehlt, weil sich nur über die maximale Nutzung von Regeln unterhalten wird. Die Regeln sind bei jedem Spiel ein so dominantes Thema, dass für alles andere kein Raum mehr bleibt.

Die Hürde des Spieltestens

Ich sitze nun also da und will eine möglichst faire Kampagne erschaffen, in der alle Armee eine gleiche Chance zum Sieg haben. Zuerst habe ich die Regeln unangetastet gelassen und für das Spiel außerhalb der Schlachten ein Metasystem gebaut. Nach jeder Schlacht gab es Ressourcen, mit denen dann eroberte Gebiete ausgebaut werden konnten. Das war von der Theorie her spannend, aber führte zu einem großen Balancierungsaufwand. Kaum bemerkten die Spieler, dass ich die Regeln noch am Ausgewichten war, verlor ich meine Autorität. Sie kamen mit Kritik, mit eigenen Vorschlägen oder wollten ganz auf das Metasystem verzichten. Also beging ich das Sakrileg und veränderte das Regelwerk des Spiels an den Punkten, die ich als Schwachstellen identifiziert hatte. Die Anfänger fanden das toll, weil ihre Spiele dynamischer, taktischer und fairer wurden. Die Veteranen warfen mir Willkür vor und dass alle ihre Taktiken (die sie 1:1 aus dem Internet kopiert hatten) nicht mehr funktionierten. Am Ende habe ich mir meine Autorität wiederaufgebaut, indem ich meinte, dass ich nur noch so dieses Spiel spiele und jeder, der an der Kampagne teilnehmen will, muss diese, meine Regeln akzeptieren. Das war vielleicht nicht sehr demokratisch, es folgt aber derselben Logik, die auch der Spielehersteller verwendet. Nur habe ich im Gegensatz zu ihm die Möglichkeit, die Regeln nun sehr direkt nach dem Feedback der Spiele anzupassen. Ich habe daraus gelernt, dass man gegen Regelgewöhnung nicht mit vernünftigen Argumenten ankommt. Entweder man selbst besitzt die Autorität, Regeln zu setzen und zu verändern, oder man stimmt in das laute, untätige Meckern der anderen mit ein.

4 Gedanken zu „Die Autorität der Regeln – Widerstand ist zwecklos

  1. Andreas (RPGnosis)

    Das von dir geschilderte Problme würde ich ganz basal so zusammenfassen: es gibt einen massiven Konflikt zwischen Mittel und Zweck auf der Ebene von „Produzenten“ und „Konsumenten“ (oder Herstellern und Nutzern, das klingt etwas weniger kapitalistisch).
    Für dich als Spieler ist das Spielen der Zweck. Du möchtest ein möglichst gutes Spiel haben, also eines, dass, im Fall eines Tabletops, z.B. fair ist. Das Mittel dazu sind die Produkte des Herstellers, theoretisch.
    Für den Hersteller ist Gewinn der Zweck, und das Mittel dafür ist das Verkaufen von Büchern, Figuren et cetera. Das klappt nur, wenn ein Bedarf geschaffen wird, der eben nicht einfach und langfristig befriedigt werden kann – gäbe es einfach pro Edition ein perfektes Regelwerk mit jeweils einem günstigen, fairen und ausgewogenen Armeebuch, hätte man ein super Spiel. Finanziell aber nicht gerade nachhaltig.
    Zum Glück bist du nicht allein. Für die meisten Spieler ist der Zweck ein anderer als deiner. Denen geht es mehr ums Sammeln, Bemalen, Modellbau, was aber wahrscheinlich auch nicht die Mehrheit ist. Für viele geht es um Gemeinschaft, um aktiven Communityaustausch – da gibt es wesentlich weniger, wenn ein Spiel keine Fragen oder Differenzen offen lässt. Sehr häufig ist wahrscheinlich der Zweck des Spielens die Selbstwerterhöhung durch das Gewinnen von Spielen.
    Und darin liegt die Crux. Ein möglichst gutes Spiel und ein möglichst finanziell erfolgreiches Spiel sind nicht dasselbe. Also, so gar nicht.
    Darum gibt es wesentlich mehr finanziell erfolgreiche als gute Spiele – weil die Spiele für die meisten Käufer wohl einen anderen Zweck haben.

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    1. Ariatros Artikelautor

      Vielen Dank für deinen kommentar! Da habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht so weit darüber nachgedacht. Aber ich halte deine Punkte für nachvollziehbar. Man müsste vielleicht wirklich mal das Verhältnis zwischen der Qualität eines Spiels und seinem kommerziellen Erfolg messen.
      Für ist immer diese hartnäckige Regelgläubigkeit schwierig. Weil ich sitze da, wie bei einer PnP-Vorbereitung, prüfe Sichtlinien, bauen Ereignisse ein, versuche Geschichten mitten auf dem Schlachtfeld zu erzählen und was passiert, ist dann ein Basar. Da wird gefeilscht, beschuldigt und ständig nachgeblättert, was gerade aktuell ist und was wegen irgendwas gerade nicht geht. Es wird ständig nur über Regeln gesprochen, anstatt über das Spiel. Das ist meiner Meinung nach ein Missverhältnis und zwar eines, was sich der Hersteller für den Verkauf seiner Produkte kultiviert hat. Es ist mit so viel Mühe verbunden, Regeln zu verändern. Man ist sofort der kritik der Willkür ausgesetzt oder dass die Spiele aufgrund der eigenen Änderungen keinen Spaß machen. Bis man die Spieler zwingt so zu spielen und sie am Ende doch meinen, dass es Spaß gemacht hat und die Änderungen sinnvoll waren. Ich wünschte einfach, es gebe eine größere Bereitschaft sich auf das Abenteuer eigener Regeln einzulassen. Das mag, gerade am Anfang, nicht perfekt sein, aber es hat sich gezeigt (was ja durchaus eine Stärke von Hausregeln ist), dass das Erlebnis sehr gut auf die Spielgruppe abgestimmt werden kann. Die Grundbedingung ist jedoch, dass man diese Regeln auch durchsetzen kann und das ist zumindest bei einem Tabletop wie Warhammer 40k, bei dem eine gewisse Obsession mit Regeln vorherrscht, mehr als problematisch.

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      1. Ariatros Artikelautor

        Ach ja, gerade wieder ein Spiel gehabt. Gegner fing an. Da die Spieler ohne ein Eingreifen des anderens (mit Ausnahme einzelner Buffs oder Debuffs sowie Schutzwürfe) ihre komplette Runde (bewegen, Psikräfte, schießen, Nahkampf) durchspielen können, bin ich erstmal eine halbe Stunde Dinge erledigen gegangen. Normalerweise muss ich nur da bleiben, um ja darauf zu achten, dass mein Gegner nicht schummelt und alle Regeln einhält. Aber da es ein Freund war, dem ich vertraue, hat der ganze 30min mit sich selbst gespielt. Es war mir unverständlich, wie ein Spiel, dass so eine Form der Interaktionslosigkeit zulässt, von so vielen gespielt werden kann. Zumal sich meine Rolle im gegnerischen Zug nur auf das Überwachen der Regeln und das Entfernen von eigenen Verlusten bezieht. Es gibt für ich kaum eine frustrierende Erfahrung als das beim Spielen (dass er mich in der ersten Schussphase schon zur Hälfte ausgelöscht hatte, bevor ich überhaupt mal eine Einheit einsetzen konnte, will ich hier nur mal am Rand erwähnen).

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      2. Andreas (RPGnosis)

        Ja, es gibt die weit verbreitete Auffassung, dass etwas gut sein muss, wenn man dafür Geld bezahlt hat. Oder auch nur, wenn es Geld kostet muss es gut sein. In der Naivität auf die Spitze getrieben: wenn die Regeln nicht gut wären, würden sie ja nicht verkauft werden.
        Ist ja auch unter Rollenspielern verbreitet, die RAW hochhalten, ohne für ein Fünferl drüber nachzudenken, ob das, was im Buch steht, wirklich sinnvoll ist. Viele, gerade komplexere Regelwerke, sind aber oft erschreckend defizitär, auch in spielrelevanten Bereichen. Da Abhilfe zu schaffen, erfordert aber ein hohes Maß an Engagement und am besten noch eigenen Kompetenzen, die auch nicht immer vorhanden sind – darum spielen ja viele Leute z.B. „DSA, aber mit ganz viel Regeln weglassen“.

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