Die Hürde der Sci-Fi – Dysfunktionalität als Rettung?

Aufgrund meiner Forschungsreise musste ich den Beitrag vorziehen, deswegen bitte nicht wundern. Da ich selbst Sci-Fi-Fan bin, habe ich geschaut, ob entsprechende Larp-Veranstaltung in der Richtung existieren. Es hat sich herausgestellt, dass Fantasy-Veranstaltungen völlig dominieren. Die einzigen Cons, die thematisch zumindest in die grobe Richtung gehen, haben allesamt Endzeitelemente in sich. Nach einem Gespräch mit einer Freundin (Grüße an Wookie) hat mich das dazu bewogen, heute mal über das Thema Sci-Fi und Dysfunktionalität zu schreiben.

Das Problem der Sci-Fi

Ich hatte mich mal mit einem Freund darüber unterhalten, welche anderen Möglichkeiten Sci-Fi, aufgrund der Technologie, bietet. Dieser bestritt einen Unterschied zwischen beiden und meinte, alles was die Sci-Fi kann, kann Fantasy auch über Magie. Das halte ich für falsch. Magie hat den Vorteil (und gewaltigen Nachteil), dass sie keine Grenzen kennt. Mit ihr ist alles möglich. Sie verkürzt jede Erklärung auf ein „Das ist so“-Prinzip. Mit Magie lässt sich schwer spielen. Wenn kein fester, vordefinierter Zauberspruch Grenzen für die Wirkung und Kosten der Hexerei setzt, droht sie durch ihre form- und bezugspunktlose Schwammigkeit ins Grenzenlose und Willkürliche abzurutschen. Es gibt zig Regelwerke in denen verschiedenste Magietheorien versuchen, dieses Phänomen versteh und kontrollierbar zu machen, aber am Ende ist es, bei nicht vordefinierten Zaubersprüchen, immer ein Meisterentscheid.

Das ist bei Technologie etwas anderes. Technologie kann nur im Rahmen der Grenzen von bekannten Naturgesetzen wirken. Es kann natürlich sein, dass es noch unverstandene Technologie gibt, die Dinge ermöglichen, die wie Magie wirken, aber hier müssen sich die Spieler nicht so einfach geschlagen geben. Denn sie dürfen immer nach den Wirkungsprinzipien fragen. Die Spielleitung muss dabei zumindest Bezug zu Naturgesetzen nehmen. Das macht ihre Anwendung deutlich vorhersehbarer und aber auch wissensintensiver. Ich habe einen Arzt in der Gruppe. Jedes Mal, wenn er eine Krankheit heilen will, fragt er sehr spezifisches, biologisches Wissen ab. Dieses Wissen existiert mit seinen realen Begriffen in der Sci-Fi und selbstverständlich kann er damit spielen. In der Fantasy kann ich auf die Zeit verweisen oder auf Magie, wenn ich es mir einfach machen will. Die Krankheit kennt er entweder nicht oder sie ist dämonisch. In der Sci-Fi fragt er mich, wenn es eine unbekannte Krankheit ist, um welche Form von Erreger es sich handelt. Er analysiert ihn, führt Tests mit ihm durch und auf jede Frage muss ich eine Antwort kennen, damit er am Ende eine Therapie ableiten kann. Das ist sehr hürdenreich, macht auf seine eigene Weise aber auch Spaß. Ein anderes Beispiel ist da Hacken. Das bekannte Bild handelt vom Hacker, der auf seine Tastatur hackt und irgendwas übernimmt. Jetzt habe ich einen echten Hacker in der Gruppe. Der sagt nicht, ich hacke, sondern er erzeugt Feedback-Loops, operiert mit riesigen Primzahlen und Enthropiewerten bei der Erzeugung von Passwörtern. Das klingt alles wahnsinnig faszinierend, aber ich bin diesem Wissen vollkommen ausgeliefert. Ich würde ihn gerne ein herausforderndes System bieten, aber da er jedes Mal fragt, was genau er denn da vor sich hat und auf jede Situation eine Antwort im Hacker-Vokabular aus dem Ärmel schüttelt, steh ich da etwas ratlos daneben. Das würde mir mit Magie nicht passieren.

Das hat auch seine positiven Seiten. Bei einem Auftrag mussten sie Beweise über die Teilnahme eines bestimmten Unternehmens sicherstellen. Da ich einen BWL-Studenten dabei hatte, konnte ich mit Geldflüssen und Anteilen ein tolles Puzzle bauen, bei dem der Spieler sich wie ein Schneekönig gefreut hatte, sein OT-Wissen völlig legitim einsetzen zu dürfen. Das ist eine der Fälle, die Fantasy eben nicht in diesem Bereich leisten kann.

Aber es wird schon deutlich, wie viel Fachwissen nötig wird, um die Besonderheit der Sci-Fiction hervorzuheben. Sci-Fiction hat, meiner Meinung nach, eine deutlich höhere Hemmschwelle, wenn es sich zumindest tatsächlich um Sci-Fiction und nicht eine Space Opera handelt.

Ist reine Sci-Fi langweilig?

Damit sind wir schon beim Kern des Problems. Sci-Fiction ist von der Aufgabenstellung entweder extrem spezifisch oder langweilig. Du bist krank? Kauf dir einfach entsprechende Medizin. Du sucht Feinde im Wald? Flieg mal mit einer Drohne und Infrarotoptik drüber. Viel mehr noch als im Fantasy werden Probleme durch Technologie marginalisiert. Da ich selbst ein realitätslastiges (die Wortwahl ist bewusst gewählt) Sci-Fi-PnP entworfen habe und spiele, merke ich, wie stark sich die Erzählstruktur von der eines Fantasy-PnP unterscheiden kann. Das beginnt bereits mit der Welt. In der Fantasy ist man sofort drin. Jeder kennt das Mittelalter, das Identifikationspotenzial ist daher groß. Selbst aus heutiger Sicht einfache Aufgaben, fordern Kreativität und Finesse von den Spielern. Das macht Fantasy (ich klammere Magie dabei aus) für mich so großartig. In der Sci-Fi müssen den Spielern die Regeln der Welt erst beigebracht werden. Es gibt natürlich Referenzpunkte aus bekannten Filmen oder Büchern, die die Sci-Fi dann in eine verständliche Kategorie zusammendrücken. Aber selbst darin können findige Spieler sich immer wieder auf ihr OT-Wissen berufen und die Spielleitung zur Erklärung nach den Gesetzmäßigkeiten zwingen. Ich hatte mich schon in früheren Beiträgen dazu geäußert, dass die Abgabe von Macht und Autorität einer Spielleitung zwangsläufig zu Problemen in einer Sitzung führen kann.

Der zweite Punkt ist die Erwartung der Erzählung. Wer Fantasy spielt, kennt die klassischen Helden-Abenteuer, die Dungeons und große Schurken. Diese Erwartungen werden auch auf die Sci-Fi übertragen, wo sie nur bedingt funktionieren. Also ja, natürlich lassen sich solche Abenteuer auch in der Sci-Fi bauen, aber das wird den Möglichkeiten, die sie bietet, nicht gerecht. Ich habe da derzeit ein Experiment laufen. Es gibt keine Schurken, keine Kampagne, keine Dungeons und schon gar keine Helden. Im Sinne eines 4X Spiels stehen den Spielern alle Möglichkeiten offen. Wenn etwas passiert, dann über Zufallsereignisse. Das Ergebnis war bisher allerdings ambivalent. Denn einerseits ist es schön zu sehen, wie ein Spieler sich den Gewinn von Handelsrouten ausrechnet, Treibstoff und Munitionskosten einplant und Werbung betreibt. Ein anderer durchwühlt jeden Schrottplatz nach neuen Teilen für das Schiff oder bastelt individuelle Ausrüstung zusammen, während ein Dritter Netzwerke aufbaut, in Aktien investiert sowie diplomatische Kontakte pflegt. Andererseits muss ich sehr vor Langweile und Leerlauf aufpassen. Denn viele Möglichkeiten bedeuten nicht, dass sie auch genutzt werden. Es fehlen oft die Ideen zur eigenen Zielsetzung, weil von mir erwartet wird, ein fertiges Abenteuer abzuliefern. Ich selbst laufe dabei in Probleme rein, die ich so nicht vorhergesehen habe. In meiner Sci-Fi gibt es keine Aliens. Damit sind alle Feinde Menschen, die dann nur unterschiedlich ausgerüstet sind. Das ist für kampfaffine Charaktere ein großer Motivationsverlust. Ich muss regelmäßig Tiere, Roboter oder genetisch veränderte Bestien einbauen, um zumindest minimale Abwechslung bieten zu können. Dann fehlt die Komponente des Übernatürlichen. Alles ist erklärbar und realitätsnah. Das gibt den Spieler ein gutes Gefühl von Kontrolle, es entzaubert aber auch die Welt. Wenn einmal alle Auftragsarten abgearbeitet sind (Infiltration, Hacken, Diplomatie usw.) fühlt es sich an, als wäre alles gesehen. Ohne eine führende Kampagne oder eigene Ziele der Gruppe gibt es kein Progressionsgefühl, dass aber notwendig wäre, um den einzelnen Aufträgen Schwung zu verleihen. So werden die Aufträge nur des Geldes wegen gemacht und das kann schnell in Monotonie und der Frage enden, warum die Gruppe das überhaupt macht. Ich war froh, dass zumindest ein Abenteuer so dermaßen schiefgelaufen ist, dass die Gruppe nun als Buße eine Spendengala organisieren will, um ihren Ruf wieder aufzubauen.

Dysfunktionalität als wichtiges Konzept

Wird nun also Sci-Fi unter diesen Blickpunkt betrachtet, scheint es intuitiv, warum Sci-Fi so nah wie möglich an einem Fantasy-Abenteuer orientiert werden soll. Nun wird die Dysfunktionalität wichtig, denn sie nimmt den Großteil aller Schwierigkeiten der Sci-Fi und bricht sie auf die Fantasy das Abenteuerlevel der Fantasy herunter. Die Welt muss nicht groß erklärt werden, denn sie funktioniert sowieso nicht mehr so, wie eine gut organisierte Welt funktionieren sollte. Sie ist kaputt und dieses Kaputt-Sein eröffnet die Identifikations- und Handlungsspielräume, die für Spieler so wichtig sind. Warum ist es möglich, in einen Hochsicherheitstrakt einzudringen? Weil ein Teil der Drohnen und Kameras beschädigt, die Wachen korrupt und bestochen sind oder irgendeine Katastrophe einen Weg darein eröffnet hat. Ich bin krank und brauche Medizin! Oh, die müssen wir erst suchen, in ein Armeelagerhaus eindringen oder den örtlichen Bandenchef beklauten. Warum erzeugt das Ding Portale? Weil es eine Technologie aus einem Dunklen Zeitalter ist, die niemand mehr versteht.

Dysfunktionalität eröffnet so viele Möglichkeiten, ohne sich auf rationale, bekannte Naturgesetze verlassen zu können, dass ihre Hemmschwelle und ihr Abenteuerpotenzial dem der Fantasy gleichkommt. Das kann sie aber auch nicht uneingeschränkt. Sie hat die Voraussetzung, dass ihr Narrativ immer aus einer benachteiligten Position heraus geschehen muss. Die Spieler werden entweder als Überlebende, als Ausgestoßene oder sonst wie marginalisierte oder eingeschränkte Gruppe dazu gezwungen, eben nicht den bequemen Lösungsweg der Zivilisation zu gehen. Daraus entspinnen sich überhaupt erst die Abenteuer. Das ist durchaus sinnvoll. Wer will schon im Rollenspiel das machen, was er täglich auf Arbeit macht oder im Alltag erlebt. Reine Sci-Fi ohne Dysfunktionalität nähert sich diesem aber gefährlich nahe an.

Aber ich bin gespannt auf eure Meinungen. Grundsätzlich ließe sich mit der richtigen Erzählerwartung und passenden Spielmechanismen auch ohne Dysfunktionalität spannende Sci-Fi erzählen. Was waren da so eure Erlebnisse mit?

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