Besondere Spiele 2: Remember Me – wie wertvoll sind Erinnerungen?

Im zweiten Teil der Reihe besondere Spiele will ich euch ein Werk vorstellen, welches mich durch seine zugrundeliegende Thematik fasziniert hat. In Remember Me zieht der Spieler nicht aus, um eine eindeutig böse Macht zu erschlagen, sondern er sieht die Konsequenz einer bestimmten Idee. Was wäre, wenn Erinnerungen frei manipulierbar wären?

 

Der Wert der Erinnerungen
Wie kein, mir bekanntes, Spiel vor ihm, zeigt Remember Me, wie wichtig Erinnerungen für eine Person sind. Menschen erlangen in ihrem Leben aus allen Sinneseindrücken Erfahrungen. Sie helfen ihnen sich in bestimmten Situationen zu orientieren und die, für sie richtigste, Entscheidung zu treffen. Dadurch, dass sich ein Mensch an bestimmte Situationen erinnern kann und weiß, wie sein Verhalten den weiteren Werdegang beeinflusst hat, kann er Vergleiche für ähnliche Situationen ziehen. Erinnerungen prägen seinen Charakter und aus ihnen kann er ein Netz aus Verhaltensweisen und Handlungsstrategien entwickeln, um er selbst zu sein. Dieses Selbst ist aber nicht dem Menschen in die Wiege gelegt, wie eine Seele. Eine Seele würde die Entwicklung eines Menschen zu einem gewissen Grad determinieren. Auch ohne Erinnerungen würde der Mensch eine Seele besitzen, die ihn als Fundament für sein Handeln dient. Das Selbst ist aber eine Identität, die sich der Mensch erst für sich erschaffen muss. Das kann er nur mithilfe von Erinnerungen. Sie geben ihm die Grundlage, wiederkehrende Sinneseindrücke zu bewerten, ihnen eine Wichtigkeit zu verleihen und bestimmte Ausgänge, aus ihrer Ableitung, vorherzusehen. Ohne Erinnerungen müsste ein Mensch die Welt jede Sekunde aufs Neue entdecken und wäre ihrer Gesetzmäßigkeiten und Willkür vollkommen ausgeliefert. Das Spiel macht auf eine eindrückliche Weise klar, was mit jenen passiert, die eben ihr Selbst durch Erinnerungsverlust verlieren. Sie werden eine Art Monster in menschlicher Gestalt. Identitätslose Geplagte, die einen Platz in einer Welt suchen, die sie nicht mehr kennen. Ohne Erinnerungen, das macht Remember Me klar, verlieren wir etwas, das uns zu einer menschlichen Person macht.

 

Die selbstentfremdete Person
Was passiert aber, wenn Erinnerungen nicht komplett gelöscht werden, sondern diese zentralen Bestandteile unseres Selbst frei manipulierbar wären? Die Antwort auf diese Frage zeigt sich überall in der Spielwelt. Die Menschen erliegen der Gier, ihre schlechten Erinnerungen zu vergessen und sie geben ihr Geld für fremde, schöne Erinnerungen aus, um sich besser zu fühlen. Alles driftet in einen substanzlosen Hedonismus ab. Die Personen dekonstruieren sich selbst, nur um sich mit Erinnerungen zu füllen, die niemals stattgefunden haben. Der Unterschied zwischen dem Gefühl der Liebe, welches sich erworben werden kann, und der tatsächlichen Erinnerung an die Liebe, ist die geliebte Person, die tatsächlich Zuhause auf einem Selbst wartet. Darin liegt, für mich, auch eine gewaltige, soziale Gefahr. Denn es erinnert mich an ein Experiment mit Mäusen, bei dem über Knopfdruck Glückshormone im Gehirn der männlichen Maus freigelassen wurden. Die Maus wollte nicht mehr essen, sich nicht mehr fortpflanzen oder sonst etwas tun. Die ganze Zeit, bis sie verhungert ist, lag sie auf dem Knopf und hat es sich gut gehen lassen. Es ist der Inbegriff und die Endkonsequenz eines ungezügelten Hedonismus, der das Leben nicht mehr bereichert, sondern zum Lebensziel selbst wird.
Es zeigt auf der anderen Seite auch, welche Bedeutung schlechte Erinnerungen haben. Denn selbst wenn sie schmerzen, können wir aus ihnen lernen anders weiterzuleben. Der Erinnerungsjunkie kann das nicht mehr. Im Prinzip lebt er auch nicht mehr in der wirklichen Welt. Er hat seine Person mit externen Eindrücken entfremdet, um in einer Traumwelt aus Erinnerungen zu leben, die er sich selbst gebaut hat. Es ist fraglich, ob es sich bei solch einen Menschen noch um die gleiche Person handelt oder um ein glückssüchtiges Individuum, dass die Fähigkeit in der Realität zu leben, verloren hat. In diesem Fall hätte sich das Selbst so weit aufgelöst, dass seine Mündigkeit, Autonomie und Würde zu Gunsten eines positiven Erlebens überschrieben wurde. Es wäre unklar, ob solch ein Mensch auf die Frage, wer er ist, noch fähig wäre, zu antworten.

 

Schlüsselerinnerungen
Aber es muss gar nicht so weit gehen, dass ein Mensch seine Identität vollständig durch andere, glücklichere Erinnerungen ersetzt. Im Spiel wird immer wieder gezeigt, wie bloße Schlüsselmomente im Leben einer Person so manipuliert werden, dass sie ganz andere Lehren für sich daraus gezogen hat. Die Menschen sind, von einem Schlag auf den nächsten, wie ausgetauscht. Bereits die subtile Modifizierung einzelner Elemente innerhalb der Schlüsselerinnerung verändert die Bewertung von Erfahrungen und die daraus gebildete, eigene Lebensstrategie massiv. Das hat für mich auf eine einzigartige Weise verdeutlicht, wie kostbar unsere Erinnerungen für uns sind. Nur ihre Gesamtheit, auch wenn sie uns manchmal belastet, macht uns zu den Personen, die wir heute sind. Wenn gesagt wird, Menschen können sich nicht ändern, würde ich diesen Satz, spätestens seit Remember Me, negieren. Denn das zu sagen heißt im Grunde, Menschen erschaffen keine neuen Schlüsselerinnerungen mehr. Das kann daran liegen, weil sie sich keinen neuen Erfahrungen oder Situationen aussetzen, die sich nicht kontrollieren und vorhersehen können. Es kann aber auch einer gewissen Zufriedenheit mit dem eigenen Weltbild und dem Wunsch, dort zu verweilen, zusammenhängen. Allerdings bleiben sie nach wie vor dazu fähig, Schlüsselerinnerungen zu durch Erlebtes zu generieren. Der Mensch besitzt das Potential sich zu verändern stetig in sich. Für diese Erkenntnis und den Einblick in die originelle und philosophische Welt ist Remember Me ein besonderes Spiel für mich.

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