Schach wird für viele als Vorzeigebeispiel für ein ideales Spiel gehalten. Beide Spieler besitzen die gleichen Bedingungen und Möglichkeiten. Der einzige Unterschied zwischen beiden ist der erste Zug, ansonsten sind sie absolut gleichgestellt. Das verändert sich auch im Laufe des Spiels nicht. Im Grunde passen die Spielregeln auf eine halbe A4-Seite. Doch die Kombination einfacher Bewegungsmuster mit der Voraussicht und der Reaktion auf gegnerische Züge erschaffen komplexe Situationen, die wie ein Puzzle immer wieder aufs Neue zum Lösen einladen. Durch diese Gleichheit der Grundbedingungen entscheidet ausschließlich die Befähigung der einzelnen Spieler darüber, wer das Spiel gewinnt. Es kann sehr befriedigend sein, allein mit der eigenen Denkleistung den Gegenüber zu besiegen. Doch warum, wenn nur zu oft betont wird, wie perfekt Schach ist, basieren dann nicht die meisten, besonders kompetitiven Spiele auf dieser Formel? Die Antwort ist denkbar einfach, weil es langweilig ist. Spieler suchen vor allem ein Erlebnis, etwas worüber sie mit positiven Gefühlen sprechen. Das kann auch eine spannende Runde Schach sein, aber das Erlebnis hier ist eher gleichförmig. Für mich besteht ein Großteil des Reizes im Unerwartetem, Anderem und Neuem. Commander & Conquer Generals oder auch Starcraft werfen, als kompetitive Spiele, diese Gleichheit über Bord und stellen dennoch Meilensteile ihres Genres dar. Ersteres ist dazu noch nicht einmal gut ausbalanciert. Mir scheint es, gerade weil man sich von der Formel der Gleichheit entfernt, ohne dabei einen Spieler zu benachteiligen, werden wieder Freiräume für neue Arten von Erleben geöffnet. Einen Höhepunkt diesbezüglich hatte ich mich dem Spiel We were here genießen können
Worum geht es?
„We were here“ ist im Herzen ein lineares Entdeckungs- und Rätselspiel, in dem beide Spieler zusammenarbeiten müssen, um weiter zu kommen. Der Clou ist nun, dass einer den Entdecker spielt, der sich durch arktische Schloss, den Schauplatz des Spieles, bewegt und ständig in Gefahr ist und der andere den Bibliothekar. Dessen Rolle besteht darin, in räumlicher Trennung und in Sicherheit alle Informationen zu sammeln, die der Entdecker für seine Rätsel benötigt. Da sich beide Charaktere nicht sehen, ist der eingebaute Voice Chat, dargestellt über Walki Talkis, zwingend erforderlich.
Ein Beispiel: Der Entdecker steht vor einer verschlossenen Tür, auf denen verschiedene Runen abgebildet sind. Er muss erst einmal den Bibliothekar seine Umgebung beschreiben, damit dieser weiß, welches Buch er suchen soll. Dabei ist zu beachten, dass die Kommunikation über Push-to-talk funktioniert. Das heißt, immer nur einer kann sprechen und er merkt nicht, dass der andere was sagen will, solange er spricht. Das erste, was mein Partner und ich gemacht haben, war, Kommunikationsregeln einzuführen. Jede Nachricht endet mit Kommen, wenn man eine Antwort vom Gesprächspartner erwartet oder mit Ende, wenn das nicht der Fall ist. Hat der Bibliothekar die Informationsquelle gefunden, muss er nun dem Entdecker beschreiben, welche Runen zu drücken sind. Dabei kamen vom fetten Katzenmädchen bis hin zum schreienden Haus alles Mögliche und Unmögliche an Formen vor. Wenn der Entdecker dann alle Runen richtig eingibt, ohne das Zeitlimit zu überschreiten, geht es für ihn weiter.
Was macht es besonders?
Das faszinierende an „We were here“ ist, dass es jede Form von gleichen Bedingungen, gemeinsamen Mechaniken oder irgendetwas, was beide Spieler teilen könnten außer den Herausforderungen, für sein Erlebnis nicht benötigt. Es existiert damit kein Wettbewerb unter den Spielern. Sie können sich nicht miteinander vergleichen oder bei einem Versagen die Schuld aufeinander schieben. Die Rollen sind zu unterschiedlich dafür. Stattdessen müssen sie sich auf einer kommunikativen Meta-Ebene selbst effizient organisieren. Es geht eben nicht um Begabung, bei der der eine schlechter oder besser sein kann, sondern dass man wahrhaftig mit dem anderen kreativ kooperiert.
„We were here“ hebt damit den eigentlichen Kern ein jedes Koop-Spiels hervor: Kommunikation. Natürlich gibt es auch viele andere Spiele, in denen die Koop-Partner grundverschiedene Rollen erhalten. Ein Beispiel hierfür wäre das Brettspiel zu X-Com. Doch auch hier werkeln alle am Lösen einer Situation auf der Grundlage gleicher Spielmechaniken mit. Der erfahrenste Spieler oder der, mit der größten Durchsetzungskraft, kann sehr schnell das Spielgeschehen dominieren. Dann wird aus der gemeinsamen Kommunikation eher eine Einwegkommunikation. „We were here“ schafft es aber für beide Spieler eine Situation zu erzeugen, die sich nicht vergleichen lässt, in der man den Koop-Partner ausreden lassen muss. Diese Ironie, dass die maximale Asymmetrie zu einer kommunikativen und damit spielerischen Gleichberechtigung führt, finde ich bemerkenswert.
„We were here“ verdeutlich auf eine, für mich bis dahin einzigartige, Art und Weise, dass Spielregeln und Mechaniken lediglich Schienen sind, die auf einen bestimmten Effekt zusteuern wollen. Der Gedanke liegt nahe, wenn diese Regeln für alle gleich sind, erleben alle den gleichen Effekt. Das kann aber, durch Erfahrungs- und Leistungsunterschiede der Spieler, den Kern der Sache, bei einem Koop-Spiel die soziale Kommunikation, verfehlen. Im Grunde macht „We were here“ nichts weiter, als all diese Spielmechanismen den Spielern zu überlassen. Es stellt sie lediglich vor ein gemeinsames Problem und macht die Kooperation und damit die Kommunikation zwingend notwendig. Aus diesen asymmetrischen Rollen, die von der Kreativität und den sozialen, nicht den gameristischen, Eigenschaften der Spieler gefüllt werden müssen, schöpft es seinen großen Reiz. Es erinnert mich daran, dass wir Menschen und in Spielen zu mehr fähig sind, als nur die Spielmechaniken zu beherrschen. Es führt mich, in Zeiten von anonymen Moba-Matches, in denen die einzige Kommunikation wütender Flame ist, in eine verloren geglaubte Welt des Miteinander-Sprechens. Ich muss den anderen zuhören, ihn vertrauen und ihn selbst bestmöglich mit meinen Informationen unterstützen. Diese Rückbesinnung zu der ältesten Tugend der Spiele macht es für mich zu einem besonderen Spiel.