Das Spiel mit dem Bösen – Moral in Spielen

Oh Götter, ich hatte vielleicht letztens eine obskure Rollenspielrunde. Auf der Suche nach neuen Spielern, habe ich mal das Experiment gewagt, ohne weitere Informationen zu Spielergruppen zu gehen, über die ich nichts wusste. Ich habe die Vermutung, dass die äußeren Lebensumstände oftmals einen Rückschluss über Personen zulassen. Da hatten wir eine viel zu enge, verschmuddelte Wohnung in einem Ghetto-Gebiet. Alles war unaufgeräumt, es hat streng gerochen und man konnte kaum treten. Wie um ein Klischee zu erfüllen, waren dann auch alle Teilnehmer übergewichtig, hatten fettige Haare und waren Vollblut-Nerds, ohne das jetzt böse zu meinen.
Da hatte ich mir schon gedacht: kein guter Anfang. Aber ich wusste nicht, was auf mich zukommen sollte. Gespielt wurde ein selbstentwickeltes Gangster-Rollenspiel in der Gegenwart, indem jeder einen mehr oder weniger bösen Charakter spielen sollte. Ich will jetzt nicht weiter auf den Systemprototypen eingehen, denn die Inhalte des Spiels haben mich so erschaudern lassen, dass man das System vernachlässigen konnte.
Es ging damit los, dass die Spielleitung am Anfang nochmal betonte, dass wir böse Charaktere sind und uns bitte demzufolge so zu verhalten haben. Daraus sollte die Runde ihren großen Reiz ziehen. Na gut, das bietet sich als Krimineller sicher auch an. Aber schon mit der ersten Szene nimmt dieses Spiel einen absurden Verlauf. Eigentlich sollten wir unseren Kontakt in einer Seitengasse treffen, um unseren nächsten Überfall zu erfahren, aber was passiert? Spieler A (damit gebe ich keine Auskunft über das Geschlecht des Spielers) krallt sich die nächstbeste Person und vergewaltigt sie. Er macht im Laufe dieses Abends übrigens nichts anderes mehr. Spieler B beginnt ein wenig später direkt einen Amoklauf und bringt alles um, was sich nicht wehren kann. Spieler C plündert oder foltert alles, was da noch auf der Straße oder der Gasse liegen geblieben ist. Das war die erste Szene und so viel kann ich sagen, im Verlauf der zwei weiteren Szenen ist das nicht besser geworden. Mein Charakter hatte das Glück, sehr früh zu sterben. Mir wurde ein Messer in den Rücken gerammt, weil ich mich an der Gewaltorgie nicht beteiligen wollte. Das war ein guter Grund, dann die Runde zu verlassen. Die Leute hatten übrigens viel Spaß gehabt, sich mal so entfesseln zu können und die Spielleitung ist bei ihren Taten auch sehr leidenschaftlich beschreibend geworden.
Als ich dann in der Straßenbahn war, musste ich erstmal begreifen, was da gerade passiert war.

 

Böse heißt nicht Böse

War das also einfach nur Pech? War das einfach eine Gruppe von Trollen, die an echtem Rollenspiel kein Interesse hatte?
Meine erste Vermutung ist, dass keiner von den Spielern tatsächlich eine Vorstellung des bösen Charakters hatte. Stattdessen haben sie das Spiel einfach nur als eine Gelegenheit genutzt, ihren unscharfen, ausgehöhlten Begriff des Bösen mit Taten zu füllen, die sie üblicherweise als böse kennen. Das hat mit Moral aber nicht viel zu tun. Faktisch haben sie lediglich eine Schublade mit dem Etikett des Bösen aufgemacht und dann neugierig beobachtet, was in der Welt passiert, wenn man diese, sehr naive Form des Bösen, auf die Spielwelt loslässt. Das halte ich für tragisch, da viel Kunstfertigkeit in das Ausspielen eines bösen Charakters fließen kann. Denn das absolute Böse oder das einfach nur Böse ist so elementar, dass kein Charakter es verkörpern kann, wenn er nicht gleichzeitig eine esoterische Inkarnation der Antimoral ist. Die Frage für einen Spieler, der einen bösen Charakter spielen will, sollte doch zuerst lauten: Was genau heißt denn böse?
An diesem Punkt wird es interessant. Denn man wird schnell feststellen, dass das Böse nur eine Zuschreibung von außen ist. Kurz gesagt, wie leben in einer Gesellschaft mit sehr vielen Mitgliedern. Damit das Zusammenleben funktioniert, dürfen nicht alle alles tun. Deswegen werden Regeln, Rechte und Gesetze erlassen. Wer sich daran hält ist gut und wer das nicht tut, ist böse. Die Begriffe von Gut und Böse variieren also von Gesellschaft zu Gesellschaft. Sie sind Bestandteil einer Ethik, der Lehre vom guten Leben. In einer Überlebensgesellschaft kann alles gut sein, was für das eigene Überleben förderlich ist. Man darf nicht den Fehler begehen, zu denken, dass es eine allgemeine Moralvorstellung gibt. Die lässt sich nämlich nur auf die grundlegendsten Dinge (nicht töten, nicht stehlen etc.) beziehen, die in jeder Gesellschaft immer wichtig sind. Diese grundlegenden Regeln aus Jux und Tollerei zu verletzten ist nicht wirklich böse, sondern eher einfallslos. Was uns wirklich nahe geht und, meiner Meinung nach, den Reiz des Bösen ausmacht, ist die persönliche Perspektive im Bereich der Moral.
Soll ich es jetzt wagen, etwas zu tun, was gegen die aufgestellten Regeln verstößt, um selbst einen Vorteil zu erhalten? Wenn ich das getan habe, kann ich mich dann noch mit mir selbst und meinen eigenen Kodex von normativen Regeln im Reinen sein?

 

Wie funktioniert das Böse?
Moral, das Gute und das Böse, alle diese Dinge werden erst richtig relevant, wenn man sie im Zwiegespräch mit einem selbst klären muss. Das ist etwas, was uns berührt, was wir uns auch im realen Leben immer wieder selbst fragen müssen. Die Ethik ist im Rollenspiel relativ egal. Das sind Schubladen, strikte Gesetze, aber die persönliche Ebene der Moral bringt uns zum Nachdenken. Es wäre falsch zu sagen, ein Charakter ist böse und soll sich jetzt demzufolge so verhalten. Diese Ebene funktioniert anders, nämlich über Raum zur Reflexion. Was für einige böse ist, ist in der Gesellschaft des anderen vielleicht Normalität, vielleicht besitzt ein Bösewicht wirklich gute Gründe, um böse zu handeln. Daraus entspringt der Wert des bösen Charakters: Nicht aus seiner Plumpheit, sondern aus seiner reflektierten Raffinesse.
Am stärksten kann die Spielleitung solch ein Spiel fördern, wenn sie überhaupt keine externe Wertung vornimmt, sondern lediglich die Konsequenzen ausspielt. Denn gerade wenn es kein klares Schwarzweiß gibt, muss sich natürlich jeder Spieler fragen, wie er sich selbst zu dem Geschehen positioniert. Gut und Böse sind unwichtige, veraltete Kategorien im Rollenspiel. Sie sollten mit Entscheidungen und Konsequenzen ausgetauscht werden. Denn nur anhand dieses grauen Maßstabes, kann der Spieler dann für sich selbst entscheiden, ob es richtig oder falsch war, etwas zu tun. Das ihm vorzuschreiben, würde den gesamten Reflexionsprozess und das Hadern mit dem moralischen Bewusstsein zunichte machen.

 

Wie spielt man einen bösen Charakter?

Wenn mich also jemand fragen würde, wie man am besten einen bösen Charakter spielt, würde ich sagen: gar nicht. Es ist, meiner Meinung nach, falsch eine Betonung oder den Schwerpunkt auf dieses Prädikat zu legen. Besser wäre die Überlegung, aus welcher Gesellschaft oder aus welchem Hintergrund muss mein Charakter kommen, um ein möglichst großes Konfliktspiel zu ermöglichen? Das hat auch den Vorteil, dass es das “Böse“ einrahmt und erklärbar macht. Am Ende müssen die anderen verstehen können, warum der eigene Charakter sich böse verhalten hat. Ob sie das ihm dann nun vorwerfen oder ob sie Verständnis dafür zeigen, ist ihnen überlassen. In einer solchen Gruppe würden die Fragen nach Vertrauen, Sicherheit und dem eigenen Vorteilsstreben schnell dominant werden. Das wiederum erschafft ein ganz anderes Spielgefühl. Denn auf einmal sind Grundsicherheiten des Gruppenspiels, wie das selbstverständliche Zusammenspiel oder Loyalität, nicht mehr gegeben. Das sollte in keinem Fall darin enden, dass die Charaktere sich gegenseitig töten, sondern dass eben erst einmal dieses fundamentale Verständnis und Vertrauen aufgebaut werden muss. Da ich selbst schon einmal in so einer Gruppe gespielt habe, in dem Falle war es Black Crusade, kann ich sagen: es auszuprobieren lohnt sich. Es war für mich eine erfrischende Erfahrung. Wie seht ihr das? Habt ihr schon mal einen bösen Charakter gespielt? Wie war das für euch? Ich freue mich über eure Kommentare.

10 Gedanken zu „Das Spiel mit dem Bösen – Moral in Spielen

  1. Herr Littelmann

    Moin!
    Ich beneide dich fast um deine „Alteritätserfahrung“, wenn ich dies wunderbar sperrige Wort an dieser Stelle mal anbringen darf. Kauzige Rollenspieler trifft man ja gelegentlich, aber so eine trollige Gruppe ist auf jeden Fall etwas Besonderes; sogesehen hast du faszinierende Einblicke in die Abgr- ich meine natürlich *Vielfalt* der Rollenspieler erworben.
    Doch genug der Ironie: Obwohl alles, was du über das Böse schreibst, natürlich richtig ist, hast du den m. E. wesentlichen Punkt vergessen, dass es am meisten Spaß macht, Werte und Normen zu verletzen, die in unserer Reallife-Gesellschaft gelten. Vielleicht mag es in der Spielwelt eine Todsünde sein, mit einer unverheirateten Frau zu schlafen – aber so richtig haut mich das als Spieler in unserer sexualisierten Welt nicht mehr um. Abgesehen davon finde ich die meisten Standardherangehensweisen (Mord, Plünderei usw.) schon fragwürdig genug und hätte als SL größte Genugtuung, die Spielwelt entsprechend auf die „guten“ Charaktere reagieren zu lassen.
    Gruß,
    Herr Littelmann

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    1. Ariatros Artikelautor

      Moin moin,

      danke für deinen Kommentar. Aber glaub mir, ich habe da schon so einiges an Erfahrungen gemacht und irgendwann ist der Schutzreflex, darüber lachen zu können, aufgebraucht. Dann Facepalmed man nur noch und versucht zu vergessen XD
      Ich habe dieses einfach mal zu unbekannten Gruppen fahren damals häufiger gemacht und eigentlich immer Pech gehabt. Ich könnte einen ganzen Artikel mit Geschichten über höchst zweifelhafte Gruppen schreiben, die in einer Spielsitzung so viel Unsinn gemacht haben, dass man denken könnte, die parodieren gerade Rollenspiel. Das ging teilweise soweit und war so häufig, dass ich schon dachte, dass meine Gruppe die letzte Bastion des anständigen Rollenspiels war. Aber dann habe ich zum Glück auf Cons noch andere Gleichgesinnte getroffen.
      Ich kann dein Punkt übrigens sehr gut nachvollziehen. Das ist ja auch irgendwie faszinierend, wenn man Chaos stiftet und dann einfach nur beobachtet, wie die Welt darauf reagiert. Wenn man dann irgendeinen Beamten vor sich hat, der einen mit Regeln und Gesetzen knebbeln will und denkt, er hat die Macht und auf einmal zuckt man das Messer oder etwas, mit dem man ihn erpressen kann, und die gesamte Situation dreht sich. Plötzlich merkt er, dass er nur in dem vorgegeben, normativen System Macht besitzt. Ihm werden sehr schnell die Augen geöffnet, dass das Gesetz der Natur (das Überleben des Stärkeren) immer akutell ist und sich nur hinter der Fassade von Zivilisation versteckt. Ach, da werden Erinnerungen wach 😀
      Aber ich finde den Punkt von dir wirklich interessant. Klar, das Verbotene hat immer seinen Reiz und wo kann man ihn besser ausleben, als im Rollenspiel. Aber du sprichst ja direkt von Standardherangehensweisen und ohne Mist, ich hatte mal eine Gruppe (gleiche Startbedingungen, wie bei der in dem Artikel) in DnD. Wir laufen durch ein Zwergendorf und werden dort von !Glas-Zombies! (das war übrigens der erste Monstertyp, den ich mir einfach nicht vorstellen konnte. Wer bitte gießt denn Zombies aus Glas! Macht er dann die Glasfiguren nach der Fertigung kaputt, damit sie trotzdem noch verrotet aussehen oder was?) angegriffen. Ja, alle Zwerge waren tot aber nicht die Zombies und unser Plot-Zwerg (für den das natürlich alles Verwandte waren) geht nach dem Kampf zum Friedhof. Jetzt denkt man, ja, er wird ein Begräbnisritual abhalten, die Toten zur Ruhe beten, irgendwie sowas. Was macht der? Der beginnt die Gräber ausheben und nach Wertgegenständen zu suchen! Ich stehe daneben und rufe schockiert: „Was tut ihr eurer Verwandschaft an! Ihr entehrt alles, was sie zu Lebzeiten waren.“
      Plötzlich und das hat mich als Spieler umgehauen, schaut der mich an, als würde ich eine andere Sprache sprechen und meint dann vollkommen mechanisch: „Ich entweihe nicht, ich loote.“
      Und da dachte ich mir, klar, als OT-Spieler der nie auch nur den Hauch von Immersion spürt, ist das Verhalten rational. In der Welt ist es höchst verwerflich, aber im Rollenspiel werden oft mit solcher Selbstverständlichkeit Dinge getan (?böse? Menschen = Mord als moralisch einwandfreie Lösung), dass das böse eigentlich ad absurdum geführt wird. Für moralische Reflexion ist da schlicht keinen Platz. Vermutlich müsste man sie in den häufigen, gameristischen Gruppen erst vom Regelsystem her fördern, damit sie überhaupt wahrgenommen wird.
      Ich habe mir auf jeden Fall nach deinem Kommentar überlegt, wie amoralisch (also nicht böse, sondern einfach egalitär gegenüber Moral) viele Rollenspielgruppen wohl sein mögen. Vielleicht ist es um so wichtiger, wie du es schon angedeutet hast, dass dann die Spielleitung über das Ausspielen klar macht, dass sie sich nicht konsequenzlos alles erlauben dürfen.

      Gruß zurück,
      Holger

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  2. John Doe

    Hi, ein interessanter Artikel, dem ich so im Grunde vollkommen zustimmen kann. Tatsächlich käme ich auch nicht auf die Idee, einer Gruppe beiwohnen zu wollen, die als „böse“ beschrieben wurde. Da kann, aus den von dir beschriebenen Gründen, nichts bei rauskommen. Denn „böse sein“ hat kein Ziel und es kann nur so sein, dass dann die plaktativsten Vorstellungen herausgeholt werden.
    Wenn hingegen die Vorgabe lautet „Fast Skrupellose Adlige, die alles daran setzen, sich mehr Macht zu verschaffen“, dann würden die entsprechenden Charaktere, nach unseren Moralvorstellungen, auch böse, aber es gibt eine Vorgabe, die sagt, was gefordert ist. Deshalb glaubt auch keiner, sein SC müsse zwangsläufig auch noch ein schwergestörter Perverser sein.
    Apropos skrupellose Adlige: Du hast gefragt, ob man selbst schon einmal einen bösen Charakter gespielt hat. Nach dem Artikel und meiner eigenen kurzen Meinung oben, würde ich natürlich sagen: Nein. Ich spiele allerdings in einer Runde „Das Lied von Eis und Feuer“ einen SC, der als moralisch fragwürdig gelten kann, sowohl nach unseren als auch nach den Maßstäben der Welt. Warum? Er ist ein politischer Intrigant, der andere in den Krieg treiben will und bereit ist Leute für seine Interessen über die Klinge springen zu lassen. Außerdem hat er einen Gefangenen im Kerker ermordet, der allerdings selbst genug auf dem Kerbholz hatte. Ist er dshalb ein böser Charakter? Nein, denn er hat bei seinen Taten immer ein starkes Ziel vor Augen undbegeht keine Gräueltaten aus Lustgewinn. Dazu kommt, dass dieses Verhalten zwar nach Außen hin verpönt ist, aber insgeheim von einem starken Adligen erwartet wird.

    Schöne Woche noch
    John Doe

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    1. Ariatros Artikelautor

      Hallo,
      danke für deine Meinung und dein schönes Beispiel. Ich liebe ja Intrigenspiel. Das ist für mich die Kernessenz eines guten Rollenspiels. Reines Charakterspiel, Immersion und das Lösen von Herausforderungen durch geistige Tätigkeiten. Ich denke, du bringst es wirklich nochmal gut auf den Punkt. In dieser Welt wird Ethik eher noch als Waffe, als als Ideal eingesetzt 😀 Wo beginnt da das Böse, wo hört es auf? Genau durch diese Verankerung des „Bösen“, durch Motivationen, Hintergründe, Schachzüge etc, wird es auf einmal sehr rational und damit zugänglich. Man kann verstehen, warum so gehandelt wird und das deswegen bestimmte Grenzen überschritten werden müssen. Wie man sich selbst dazu positioniert, ist einem dann selbst überlassen und genau das macht das gelungenene „böse“ Charakterspiel, meiner Meinung nach, aus. =)
      Ich muss überdies sagen, ich fand die Welt (und natürlich die Serie, die Bücher habe ich nie zu Ende gelesen) von „Das Lied von Eis und Feuer“ schon immer total spannend. Als ich gehört habe, es wird dazu ein Rollenspiel geben, war ich also höchst interessiert. Die ersten Reviews, die ich gelesen habe, waren aber sehr durchwachsen. Gerade das Intrigenspiel, so hatte ich gelesen, wurde irgendwie auf einen Intrigenangriff und dessen Abwehr als Wurf, nicht als Spiel, reduziert. Da war ich schon etwas ernüchtert. Deswegen würde ich dich gerne offen fragen, wie sich das System den spielt? Klar, man kann immer ein Intrigenabenteuer zusammen schustern, aber ich fand den Gedanken faszinierend, dass das vom System gewollt und mit Regeln gefördert wird.

      Die schöne Woche wünsche ich dir auch, soll ja sehr sonnig werden 😉
      Holger

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      1. John Doe

        Das System insgesamt ist durchaus brauchbar, auch wenn es raffiniertere gibt. In Bezug auf Intrigen und Wortgefechte hat es allerdings einiges zu bieten. Das fängt schon damit an, dass es einen festen Wert namens „Intrigenverteidigung“ hat, sowie „Gelassenheit“. Die sind für die soziale Interaktion das, was im Kampf Kampfverteidigung und Lebenspunkte sind. Kenne ich so aus keinem anderen Spiel. Außerdem sind viele soziale/rhetorische „Manöver“ (mangels eines besseren Wortes) definiert, mitsamt Auswirkungen bei Scheitern und Erfolg. Diese sollten dann natürlich trotzdem spielerisch und erzählerisch umgesesetzt werden. In unserer Runde wird es auch so gehandhabt, dass man schon eine Vorstellung davon haben sollte, was man seinem Gegenüber gerade erzählen will. Dann kann man die Würfel werfen. Ich denke, das ist eine ganz gute Lösung. Soziale Interaktion verkommt nicht zu einer reinen Mechanik, aber die Erfolgsaussischten und die Festlegung der Auswirkungen sind nicht mehr so willkürlich.
        Ich denke, es würde sich lohnen dem System eine Chance zu geben.

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        1. Ariatros Artikelautor

          Alles klar, dann danke für deine Erfahrung. Was du schreibst klingt deutlich spannender, als das, was ich dazu gelesen habe. Ich werde deiner Empfehlung folgen und mal reinschnuppern 😉

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  3. T.L. Donnerhaus

    Danke für den Beitrag! Es ist immer wieder spannend von solchen Erfahrungen zu lesen.

    Ich denke das Problem liegt primär bei der Ungenauigkeit des Begriffes „Böse“. Für den einen bedeutet „böse“ Josef Mengele oder Adolf Hitler, für den anderen bedeutet es „jemand der am Sabbat seinen Akker umgräbt und damit den heiligen Bund mit Jahwe bricht“. Die meisten dürften irgendwo dazwischen liegen.
    Ich fürchte die Spieler in dem Fallbeispiel sind lediglich konsequent dem Framing gefolgt, das sie am Anfang erhalten haben. Was sie taten war definitiv böse. Es war nur vollkommen sinnfrei und chaotisch, weil sie kein gemeinsames Konzept des Begriffsspektrums hatten.
    Rollenspiel ist bereits nicht real. Der eigene Charakter kann sterben ohne das mir ein Haar gekrümmt wird und wenn ich keine Kampagne spielen werde schert mich das vielleicht auch gar nicht. Wenn Selbsterhalt aber vom Tisch ist haben wir die Tür zur Psyche des Psychopathen bereits sperrangelweit geöffnet. Nimm einen Mangel an konkreten Zielen dazu und ein gewalttätiger Amoklauf ist nicht nur möglich, sondern geradezu vorprogrammiert. Real ist das übrigens nicht anders, wie man beispielsweise bei Daesh-Kämpfern beobachten kann.
    Damit so etwas funktioniert muss man meiner Ansicht nach erst einmal Ziele vorgeben. Dinge die der Charakter erreichen will und Dinge die er vielleicht vermeiden will. Wenn ich weiß das mein Charakter bereit ist Gewalt anzuwenden, notfalls sogar zu töten. aber auf keinen Fall in den Knast zurück gehen will und ich dazu die Ziele habe mich zu bemühen dafür zu sorgen das Antonio seine Schulden bei der Familia bezahlt, Kein vermeidbarer Ruckus gemacht werden darf und Respekt von größter Bedeutung ist kann ich einen Gangster spielen der sehr warscheinlich das Prädikat „böse“ verdient, der sich aber in nachvollziehbaren Bahnen bewegt und der sich selbst vielleicht gar nicht als böse betrachtet.
    Das Antonio dann eine Tracht Prügel bekommt ist praktisch vorprogrammiert, aber es ist bereits unwahrscheinlich das er den Tod findet (weil das unnötig Ruckus macht) und ein Blutbad gibt es höchstens dann wenn die Schlinge um den Hals des Charakters sich zuzieht und ihm eine Verhaftung mit Verurteilung droht.
    Man kann so etwas abrunden mit ein paar charakterisierenden Zitaten, aber das sollte den meisten bereits reichen um bei einem One-Shot über die Runden zu kommen. „Sei böse, sei richtig böse“ ist jedoch eine ganz schlechte Idee und viel zu schwammig.
    Das gut und böse eine rein externe Betrachtung ist sehe ich allerdings nicht so und es gibt eine Menge historische Belege die ebenfalls dagegen sprechen. Im politischen Bereich ist es meistens extern und die vermeintlich Bösen sehen sich oft als die Guten, aber sobald wir es mit Schwerstverbrechern und Psychopathen zu tun haben trifft das viel seltener zu und viele von denen haben eine sehr realistische Sicht der eigenen Position. Die meisten Mafiamörder die umfangreich zu ihren Beweggründen aussagten waren sich beispielsweise sehr wohl des Umstands bewusst das sie böses taten. Auch ist bei denen die die eigenen Tagen damit zu rechtfertigen suchen das sie behaupten sie hätten keine andere Wahl gehabt, sei es aufgrund einer psychischen Krankheit oder vermeintlichen Befehlsnotstands, zu beachten das sie damit bereits einen psychischen Schild aufgebaut haben _weil_ ihnen grundsätzlich klar ist das ihr tun falsch ist. Die Relativierung kommt üblicherweise erst nach dem Fakt, selbst wenn sie durch anhaltende Untermauerung irgendwann die Ursache verdrängt und zu einer irrgläubigen Unschuld führt. Das zu entwirren ist dann aber die Aufgabe von Therapeuten, nicht von Moralisten und Ethikern.

    Cheers!

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    1. Ariatros Artikelautor

      Wow, erst einmal vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag.
      Ich würde dir in den meisten Punkten zustimmen. Vielleicht sollte man hier noch einmal betonen, wie wichtig Authentizität für ein Rollenspiel ist. Kennst du Hobbes Leviathan? Das Szenario hat mich nämlich sehr stark daran erinnert. Es gibt einen rechtlosen Naturzustand, indem jeder Anspruch auf alles erheben kann. Der Mensch ist vollkommen entgrenzt und kann seinen Bedürfnissen vollkommen Ausdruck verleihen. Da er weder Tier noch Gott ist, stößt er dabei aber unmittelbar auf die Wünsche anderer Menschen und dem Konflikt sowie Chaos ist Tür und Tor geöffnet. Bei Hobbes wird dieser Zustand durch die freiwillige Abgabe des Naturrechts auf alles an den Staat, für den Tausch für rechtliche Sicherheit, aufgehoben. Damit endet der Krieg aller gegen aller und diese ganzen Menschen, die ihre Rechte abgeben, bilden dann den Körper des Leviathan, der den Staat darstellt.
      Ich glaube, ohne den Leviathan, ohne die Beschränkung ist weder das Gute noch das Böse möglich. Einfach entgrenzt von allem zu sein ist, wie du schon sagst, schlicht chaotisch und im höchsten Maße unauthentisch. Erst durch den Bezug auf etwas, hier auf das Rechtssystem, kann man überhaupt beurteilen, was gut und böse ist. Dieser Beurteilungsprozess ist essentiell, um eine moralische Aussage zu tätigen. Ihn vorweg zu nehmen oder gar nicht erst zu zulassenwäre ein Spiel ohne moralische Inhalte. Du bringst ja auch verschiedene Beispiele, die das Böse in ein System einordnen und genau das muss passieren, wenn man böse oder auch gut sein will. Nur durch die eigene Orientierung in einem System werden diese Kategorien zulässig. Das heißt, wir müssen uns als Teil des Systems, seiner Regeln und Konsequenzen verstehen, um moralsich handeln zu können.
      Ich würde daher auch sagen, dass gut und böse nicht nur im politischen Zuschreibungen von Außen sind. Woher wussten die Mafiamörder, dass sie da böses tun oder der Psychopath, dass er eine Erklärung für sein Handeln benötigt? Ich kann mir das gut über Sozialisierung und Erziehung erklären. Die Gesellschaft ist natürlich sehr daran interessiert ihre Mitglieder in ihren Werten und Normen zu bilden, immerhin leben sie ja in ihr. Wenn ich also handle, dann handle ich in dem System der Werte und Gesetze einer bestimmten Gesellschaft. Auch wenn sie mich vielleicht nicht vollständig determiniert, prägt sie mein moralisches Verständnis. Aber ich glaube, das würde jetzt zu weit in Richtung freier Wille und dem Verhältnis von Individuum und Staat gehen. Wobei ich natürlich gerne auch mal einen rein philosophischen Beitrag verfassen kann, der dann genau für solche Diskussionen da ist. Ich weiß nur nicht, ob das hier die meisten interessiert. Immerhin ist der Großteil wegen dem Rollenspiel hier. Aber vielleicht könnt ihr mir dazu einfach mal Feedback geben, damit ich weiß, ob sich das auch für euch lohnen würde 😉
      Um aber auf das Thema zurück zu kommen. Das Gute und das Böse benötigt notwendig seinen Bezug, als das System von Werten. Es ist nicht böse, ohne jede Idee mit der Brechstange dieses System zu zerstören, sondern in moralischer Reflexion über Vorteile und Notwendigkeiten dieses System vorsichtig zu verbiegen. Dazu benötigt es Authenzität der Welt. Die Spieler müssen innerhalb des Systems spielen, um ein böses Spiel überhaupt zu ermöglichen.

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      1. T.L. Donnerhaus

        Nun es ist doch so: Was bindet uns? Was fesselt uns? Was hällt uns davon ab zu tun was auch immer wir wollen.

        Für die besten unter uns ist es Ethik, für meisten nur Moral und dazu ein Haufen anderer Dinge.

        Gesetze und die Angst vor Strafe.
        Die Furcht von unseren Mitmenschen geschasst und verachtet zu werden.
        Der Wunsch und Drang nach Anerkennung für unsere Taten.
        Die Angst vor dem Tod.
        Die Angst vor Verletzung.

        Fast alles davon entfällt im Rollenspiel.

        Wir haben keine Angst vor Verletzungen, weil wir sie nicht selbst erleiden und weil es in den meisten Systemen sehr einfach ist zu heilen. Sei es mit Magie oder Wundermitteln.
        Wir fürchten den Tod nicht ultimativ, da wir erstens einfach einen neuen Charakter erstellen können und zweitens das Spiel langweilig wird wenn wir unseren Charakter mit zu vielen Ängsten plagen.
        Anerkennung und gesellschaftlicher Druck ist für unseren Charakter egal, da man in den meisten Rollenspielen wurzellose Vagabunden spielt und die wirklichen Peers am Tisch sitzen und nicht in der Dorfschänke.
        Und das Gesetz, nun… Dagegen kann man sich mit Schwert oder Blaster wehren. Manchmal.

        Die Annahme das ein Charakter, von all dem entfesselt, irgendetwas anderes sein könnte als ein Psychopath ist naiv. Nur sind manche harmlose Psychopathen. Kaum ein Rollenspielcharakter ist jedoch geistig auf dem Gleis.
        Das funktioniert erst wenn wir als Spieler ein klein wenig verrückt werden und mental den Spagat hinbekommen einen Charakter zu spielen der all dies hat, obwohl wir selbst wissen das er es nicht bräuchte, nur um dann aktiv und bewusst zu entscheiden wann er es spezifisch bricht oder verliert. Dabei geht es darum die Illusion eines selbsterhaltungs-getriebenen Menschen zu erzeugen, ohne ihm im Zweifel den Vorrang zu geben. Mein Charakter muss den Tod scheuen, aber er muss ihm lachend ins Angesicht springen wenn es gut für die Geschichte ist.

        Mit zunehmender Lebenserfahrung, vor allem aber mit zunehmender Dramaerfahrung, wird das leichter. Gerade junge oder unerfahrene Rollenspieler haben damit große Schwierigkeiten. Reines Lebensalter hat damit nichts zu tun. In fremde Rollen zu schlüpfen ist schwer. Unheimlich schwer.

        Und Spielleiter tendieren dazu kritischer damit zu sein als Spieler. zumindest jene die vorwiegend leiten und selbst selten spielen. So wie ich selbst. Ich war da früher ziemlich arrogant, bis mir bewusst wurde: Wenn wir ein Abenteuer gespielt haben hat jeder meiner Spieler einen Charakter gespielt, die Welt aus einem Blickwinkel gesehen und die Interessen einer Person verfochten, bestenfalls zwei wenn man Spieler und Charakter trennt. Ich jedoch habe dutzende Charaktere jongliert, deren Interessen fast zwangsläufig widersprüchlich waren, die Täter und Opfer waren, Antagonisten und Protagonisten. Daher fällt es mir heute Leicht Bösewichte zu spielen, direkt neben Unschuldslämmern und Helden, Beistehende und Nebencharaktere. Und ich habe einen viel klareren Blick auf die Bedeutung von Moral, die viel zu schwammig und relativ ist, und die Übermacht von Ethik, die diese Schwächen nicht hat. So kann ich einen rechtschaffenen Bösewicht spielen indem ich eine intakte Moral mit ethischen Konzepten in Konflikt bringe oder ich schaffe ein völliges Scheusal indem es selbst mit der eigenen Moral in Konflikt steht. Das Spektrum von Rollenspielen ist da schier grenzenlos.

        Ein letzter Aspekt der ein großes Gewicht einbringt ist nach meiner Erfahrung auch das Selbstbild des Rollenspielers. Warum er spielt und mit welcher Einstellung. Die meisten Konflikte haben meiner Erfahrung die Spieler, die Rollenspiel als etwas sehen das primär Spaß machen muss. Dem will ich nicht völlig widersprechen, aber Spaß kann auch aus Dingen erscheinen die dem Vergnügungsdrang nicht auf direktem Weg dienen. Ein Schiffsmodell bis ins kleinste Detail akkurat zu bauen ist harte Arbeit, anstrengend, erfordert Konzentration und es ist manchmal frustrierend. Der Modellbauer hat insgesamt aber seinen Spaß damit, weil er auf ein Ziel hinarbeitet und auch die plagenden Aspekte im Rückblick schätzt. Rollenspiel kann man auch so spielen, dramaturgiebezogener und edukativer. Jene die es mehr aus diesem Blickwinkel heraus betreiben haben weniger Probleme damit moralische und ethische Konflikte zu handhaben und zu experimentieren und vor allem entgleisen sie dabei seltener. Unbeabsichtigt.

        Cheers!

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        1. Ariatros Artikelautor

          Erst einmal vielen Dank, dass du dir so viel Zeit für deine Antworten nimmst. Ich finde deine Erfahrungsberichte sehr spannend und denke, dass sie für sich stehen. Allerdings widersprechen sie an manchen Punkten meinen Erfahrungen. Vielleicht kann ich sie parallel dazu noch mit meiner Perspektive ergänzen.
          Grundlegend ist es richtig, dass wir immer die Distanz als Schutz haben. Das ist ähnlich bei Computerspielen. Wir sind nicht selbst bedroht oder in der Situation und können daher mit der entsprechenden Distanz Entscheidungen treffen. Aber gute Computerspiele sind die, die genau diesen schützenden Abstand aufheben. Erst wenn wir uns tatsächlich unter Druck, hektisch oder in Gefahr fühlen, wird die simulierte Welt real, wir tauchen in sie ein. Rollenspiele müssen diese Immersion auch schaffen. Das ist anfangs tatsächlich sehr schwer und es gibt genug Spielstile, die da eher mehr Wert auf Mechaniken als auf Atmosphäre setzen. Aber wenn es einmal gelingt, tatsächlich in die Rolle einzutauchen, dann empfinde ich, aus meiner Erfahrung, genau die Dinge, die du gesagt hast. Ich will mich nicht unbeliebt machen, habe Angst um mein leibliches Wohl etc. Selbst in einer gameristischen Runde, die vor allem auf das Spielen über Regeln setzt, werden diese Dinge rational-taktisch miteinbezogen. Es ist für mich von Nachteil, wenn ich verletzt werde. Zwar würde Moral hier auch eher auf eine Vernunftentscheidung runtergebrochen werden (was nützt mir meine Entscheidung?), aber es gibt zumindest eine Auseinandersetzung mit ihr, auch wenn dann wahrscheinlich der emotionale Kampf mit dem eigenen Selbst wegfällt.
          Ich gebe mit dem Selbstbildnis des Rollenspielers recht. Es ist schon sehr wichtig, was man will und dann vom Spiel erwartet. Moral kann da geradezu hinderlich sein. Wenn ich nur Monster abfarmen will, brauch ich keinen Balast. Ich bin ein Held, was ich bekämpfe ist böse. Aber dann geht es meiner Meinung nach auch eher um Spielmechaniken, als um tatsächliches Rollenspiel. Denn das setzt auf eine authentische Welt, in die ich mich reindenken muss. Sie wird dann mit jedem Aspekt facettenreicher. Wenn ich diese Art des Spiels, des Hineintauches, will, dann ist Ethik und Moral ein natürlicher Bestandteil des Spiels, dem ich mich wiederum mit der Ethik und Moral meines Charakters auseinandersetzen muss.

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