Rollenspiel und die Lüge der Freiheit

Ich hatte ja schon mal einen Beitrag geschrieben, warum ich Freiheit in einem PnP als wenig erstrebenswert erachte. Meine Argumentation war zusammengefasst so, dass man sich vor allem sehr viel Arbeit machen muss, um echte Freiheit zu erzeugen. Diese Mehrarbeit ist aber, wenn nämlich das Spielangebot aufgrund der Entscheidungsfreiheit nicht genutzt wird, kein Mehrwert und aufgrund des häufigen Zuschnitts auf Setting und Pacing nur sehr bedingt wiederverwertbar. Da ich selbst in meinem „Sternenkinder“-Regelwerk versuche, echte Freiheit zu ermöglichen, konnte ich da leider auf einen reichen Erfahrungsschatz des Mehraufwandes zurückgreifen. Zumal es da auch noch ein Verhältnis zwischen Qualität und Quantität zu beachten gilt. Nur weil entsprechend viele Alternativen angeboten werden, heißt das nicht, dass alle gleich spannend sind. Tatsächlich erschwert Freiheit es enorm, einen ordentlichen Spannungsbogen zu bauen. Wichtig ist dagegen tatsächlich auch nur, das Gefühl von Freiheit zu vermitteln. Das klappt auch mit einem semi-offenen Abenteuerdesigns ganz gut. In der es zwar bestimmte Gatekeeper-Ereignisse gibt (narrative Nadelohren), die Spieler von den Interaktionen davor oder danach aber frei sind.

Auf jeden Fall halte ich Freiheit mindestens im PnP für eine wertvolle Lüge oder eine nicht lohnende Wahrheit. Jetzt habe ich festgestellt, dass das nicht nur für das PnP gilt. Deswegen will ich euch in diesem Beitrag davon berichten und Freiheit als Ganzes im Rollenspiel in Frage stellen.

Larp: das Hobby der grenzenlosen Möglichkeiten?

Ganz oft haben Larper, besonders Anfänger, diesen Gedanken im Kopf: im Larp kann ich sein, wer auch immer ich will. Das ist in sofern verständlich, weil das Hobby ja auch gerade mit dieser Freiheit wirbt. Sogar das verbreitetste und beliebteste Regelwerk DKWDDK (Du kannst, was du darstellen kannst) verspricht dieses Maximalmaß an Freiheit. Das ist in vieler Hinsicht jedoch ein Problem.
Der erste Punkt ist die tatsächliche Realisierbarkeit dieses Konzepts. Das hat deswegen weniger etwas mit Freiheit zu tun, weil einfach bestimmte Darstellungen durch die Realität eingeschränkt sind. Alles was mit Magie oder Technologie zu tun hat, ist so ein Beispiel. Die noch größere Einschränkung dieser Freiheit stellen aber alle anderen Spieler dar. Larp lebt von Klischees. Das mag diskriminierend sind, aber diese Klischees entscheiden über die Qualität des eigenen Spiels. Klischees sind zusammengepresste Bilder von Rollen, in die die Bewertung der eigenen Darstellung hineingequetscht wird. Meine Gruppe etwa spielt Elfen, klassische Hochelfen, aber eben nicht Herr der Ringe Elben. Das heißt, wir haben bereits ein Klischee, an dem wir uns orientieren und was passiert trotzdem? Wir werden als Menschen bezeichnet, die Elben spielen wollen, weil wir nicht die ätherische Anmut aus den Filmen besitzen. Ja, wir sind keine professionellen Schauspieler, die für eine aufgebaute Szene genau diese eine Rolle einstudiert haben, aber wir werden daran gemessen. Diese Gemessen werden, geschieht ständig im Larp. Wie oft höre ich, dass Spieler absichtlich ignoriert werden, weil sie der eigenen Vorstellung eines Fantasyvolkes oder einer Profession nicht entsprochen haben. Da kommen dann Sätze, wie: „Also als Neuling darfst du auch den Erzmagier spielen, solange du ihn darstellen kannst. Aber du brauchst den langen Bart und den Magierhut, sonst nimmt dich niemand ernst.“. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich diese scheinheilig gepredigte Toleranz höre. Ja, du kannst alles sein was du willst, solange es genau das ist, was ich mir darunter vorstelle.

Das Gegenteil ist übrigens auch der Fall. Ich hatte mal von den Drow berichtet, die so gut und so konsequent gespielt haben, dass sie von allen OT gemieden wurden und alles Böse, was auf der Con geschehen war, wurde ihnen angehaftet. Sicherlich lässt sich sagen, dann sollen sie als Spieler keine Drow spielen. Das ist richtig, aber genau das schränkt die Freiheit ja trotzdem ein. Böse Charaktere haben als Spieler deutlich weniger Handlungsspielraum als andere. Ich spreche hierbei nicht davon, dass sie stattdessen einfach mehr Konfliktspiel haben. Denn das haben sie im Verhältnis nicht. Sie werden schlicht gemieden oder gejagt. Das erste geniert kein Spiel, das andere nur ein Einziges. Also ja, formal haben sie die Freiheit alles zu spielen, nur macht es für das Spiel selbst wenig Sinn.

Gruppenzwang

Der zweite Punkt, den ich anführen will, ist die Integration in eine Gruppe. Das klingt erstmal banal, aber wenn ich einer Gruppe beitrete, muss ich mich notwendig in meiner Freiheit einschränken. Das Problem ist nun aber, wenn Spieler, die genau diesen Freiheitsanspruch einfordern, sich dadurch nicht einhegen lassen wollen. Das ist kein fiktiver Gedanken. Etwa ein Drittel aller Rekrutierungen meiner Gruppe wird dadurch be- oder gar verhindert, weil die Neulinge sich auf das Recht der Freiheit berufen. Sie haben verschiedene Fantasyromane gelesen und fordern ein, dass sie die schillernde Heldenfigur aus den Roman oder Film bei uns spielen können. Wobei das noch nicht einmal mit einer medialen Vorlage zusammenhängen muss. Person X hat sich eine Rüstung gekauft, weil sie diese Rüstung toll findet und will jetzt auf Teufel komm raus diese Rüstung tragen. Blöderweise ist das aber die Nachtigallrüstung aus Skyrim, die gar nicht ins Gruppenkonzept passt. Mal von der völlig frei zusammengewürfelten Abenteurergruppe abgesehen, die aber trotzdem eine gemeinsame Entscheidungs- und Zielsetzungskompetenzen besitzen muss, weil sie ansonsten keine Gruppe wären (sondern nur zufällige Typen, die nebeneinander laufen), benötigen Gruppen Uniformität. Sie müssen von Außen als Gruppe erkennbar sein. Das muss sich nicht notwendig in derselben Uniform oder den gleichen Farben ausdrücken, aber es muss irgendwie gelingen, gemeinsame Aktionen zu koordinieren. Das heißt, es gibt eine Hierarchie und die sagt, welche Interessen oder Ziele auf einer Veranstaltung verfolgt werden. In diese Struktur muss sich ein Spieler, IT wie OT, einfügen lassen können. Auch hier gilt wieder, natürlich ist es möglich ohne Gruppe zu spielen, bestimmte Konzepte, wie etwa Adel, benötigen aber zwingend eine Gruppe, um überhaupt bespielbar zu sein. Darüber hinaus sind auch nicht alle Konzepte auf allen Veranstaltungen erwünscht. Wer Feenspiel kennt, weiß, was ich meine.

Freiheit ist etwas für Idealisten, nicht für Rollenspieler

Das mag eine provokante Überschrift sein, aber sie fasst meine Kritik am falschen Freiheitsverständnis im Rollenspiel zusammen. Natürlich ist man im Rollenspiel zu einem gewissen Grad frei, aber ich hoffe, ich konnte aufzeigen, dass man sich tunlichst vom absoluten Freiheitsgedanken im Rollenspiel entfernen sollte. Das erzeugt nur Enttäuschung, entweder weil man selbst von den anderen Spielern nicht ernst genommen wird oder bei der eigenen Gruppe aneckt.
Freiheit im Rollenspiel entsteht, meiner Meinung nach, am stärksten, wenn die Rahmenbedingungen festgezurrt sind. In den Gesprächen und innerhalb der Spielwelt kann ich sehr frei sein. Selbst wenn ich da eigensinnige Dinge tue, können diese wieder von anderen Spielern angespielt werden. Zwar muss ich darauf achten, dass mein Verhalten noch konsistent und kohärent ist, wobei verrückte Charaktere auch das Schema sprengen, aber ansonsten kann ich tatsächlich machen, was ich will – weil alles im besten Fall Konsequenzen haben kann. Meine Freiheit wird damit das Spiel der anderen und umgekehrt. Das ist die einzige und sinnvolle Form der großen Freiheit im Rollenspiel, die ihr Versprechen erfüllen kann.

Ein Gedanke zu „Rollenspiel und die Lüge der Freiheit

  1. Krassling

    Ich denke interessant ist der scheinbare Widerspruch zwischen den Versprechen der Freiheit an den Einzelnen und den Stärken des Rollenspiels durch die soziale Interaktion als Gruppe.

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