Zuerst vorweg will ich mich entschuldigen, dass ich mich erst jetzt wieder melde. Aber ich war jetzt die ganze Zeit auf Übungsplätzen ohne Internet, jetzt habe ich die Offiziers-AGA und meine Zeit ist einfach dahin. Ich versuche nach wie vor jeden Monat zu schreiben, aber ich kann leider nicht mehr garantieren, dass es auch tatsächlich jeden Monat klappt. Jetzt aber zum Thema:
Ich liebe Computerspiele. Als kleiner Bub bin ich damals mit einem Atari und dann vor allem mit einem Sega Megadrive groß geworden. Von klein auf haben mich Sonic, Link und andere Spielegrößen durch mein Leben begleitet. Heute noch höre ich zur Abenteuerplanung Musik aus verschiedenen Spielen und nutze sie für die meine Szenen. Ich wurde also durch Computerspiele geprägt und von ihnen habe ich viel für das Rollenspiel gelernt. Warum dem so ist und welche Weisheiten in solchen Spielen liegen, darüber würde ich euch gerne in diesem Artikel berichten.
Computerspiel und Rollenspiel
Beide Begriffe sind sich ähnlicher, als es sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Es gibt nicht nur eine Genre der Computerspiele, welches Rollenspiele heißt und aus PnP-Vorlagen erschaffen wurde, beides sind vor allem Spiele. Das heißt erst einmal, dass beide ein Netz von Regeln besitzen, die durch ihre Verzahnung Spielspaß oder ein bestimmtes Erlebnis erschaffen sollen. Das stellt für mich eine entscheidende Übereinkunft dar. Sicherlich kann es auch Ähnlichkeiten in Geschichten, Welten oder Ideen geben, aber sowohl das Computer- als auch das Rollenspiel müssen in erster Linie als Spiel funktionieren.
Beide haben damit zum Ziel, den Spieler in ihre Welt zu ziehen und ihn Spaß zu machen. Die Wege dahin sind sehr unterschiedlich. Einige Spieler wollen triumphieren, scheitern, entscheiden und bangen können oder einfach auch nur entspannen. Rollenspiele nutzen da einen klar eingeschränkteren Bereich. Was in einer Dauerballerorgie Adrenalin in der Computerspielwelt beschert, wäre am Rollenspieltisch sehr ermüdend. Dafür sind natürlich die Möglichkeiten der Spieler im PnP nahezu unbegrenzt. Doch was sie auch hier bindet, sind die Regeln. Ohne Regeln wäre das Erlebnis beliebig und spannungslos. Wenn man sich also fragt, was Rollenspieler von Computerspielen lernen können, dann scheinen es mir in erster Linie die Regeln und eine bestimmte Art des Erlebnisses zu sein.
Sicherlich gibt es auch Inhalte, wie Welten oder Geschichten, die man am Küchentisch nachspielen könnte, aber dabei ist sowieso jede Gruppe frei nach ihrem Geschmack zu wählen. Zudem macht es einen großen, auch atmosphärischen, Unterschied, ob für eine Welt ein Regelsystem vorliegt oder es mit einem allgemeinen Spielsystem bespielt wird. Gerade Sonderregeln, Ausrüstungsgegenstände, spezialisierte Charakterentwicklungsmöglichkeiten und besondere Interaktionsmöglichkeiten lassen den Spieler noch einmal deutlich tiefer in die Welt eintauchen, als mit einem universellen Regelsystem.
Ein weiterer Vorteil an der Vorlage Computerspiel ist, dass die Entwickler sich Gedanken über Balance und Szenenaufbau machen. Computerspiele vermitteln ihr Erlebnis viel direkter als Rollenspiele. Es muss nicht erst eine Szene beschrieben werden, sondern die Szene ist verzögerungslos da. Der Spieler kann sich selbstständig umsehen und sofort wirkt alles auf ihn ein. Um diese Wirkung aufzubauen, benötigt eine Spielleitung Zeit, Vorbereitung und einen Plan. Selbst dann können unvorhersehbare Spielerhandlungen alles ruinieren. Diese Probleme haben Computerspieleentwickler nicht. Sie sind zwar in ihren Darstellungsmöglichkeiten begrenzt, aber dafür kann alles auch nur in ihnen ablaufen. Das ist eine Sicherheit, die für eine Spielleitung schwierig zu erreichen ist, wenn sich das Erlebnis ungezwungen anfühlen soll. Auf der anderen Seite heißt es aber auch, dass man bei der Vorlage Computerspiel auf ein durchdachtes, komponiertes Erlebnis zurückgreifen kann. Eben weil sie mit begrenzten Mitteln arbeiten müssen, muss alles miteinander gut funktionieren. Schon allein die Frage, warum einen die Szene gerade abgeholt hat, bringt Antworten, die nahtlos für die eigene Szenengestaltung im Rollenspiel genutzt werden können. Deswegen halte ich es für interessant, auf diese Nutzung nun weiter einzugehen.
Wie Regeln nutzen?
Ein Spiel funktioniert vor allem über seine Mechaniken. Es gibt zwar zum Beispiel sogenannte Walking-Simulatoren, in denen das Spiel einfach aus dem Laufen durch eine Welt besteht, aber es ist strittig, ob es sich dabei wirklich um ein Spiel handelt. Interessant für die oben aufgeführte Frage sind sowieso ganz andere Regelwerke, nämlich jene, in denen die Spieler bedeutsame Entscheidungen treffen und mit Konsequenzen leben müssen. Meistens laufen im unsichtbaren Hintergrund etliche Prozesse ab, die bestimmen, ob ein Schlag im Spiel trifft oder nicht. Das ist weder gut einsehbar noch übersichtlich. Sinnvoll sind daher nur transparente Systeme. Das muss auch gar nicht das Hauptspiel in all seiner Länge sein. Ich zum Beispiel nutze gerne Minispiele und Rätsel aus Computerspielen. Die können 1:1 ins Rollenspiel übernommen werden. Von einer Würfelpoker-Variante bis zum Schieberätsel ist das alles unproblematisch.
Aber es gibt auch größere Unterfangen. Damals hatte mich Star Wolves, ein Söldner-Sci-Fi-Raumschifftaktikspiel, in seinen Bann gezogen. Das Gute an dem Spiel war, jeder der überschaubaren Werte von Talenten und Ausrüstungen war dargestellt, leicht zu berechnen und ohne Schwierigkeiten in ein PnP übernehmbar. Einfach weil ich mir ein paar Ausrüstungswerte abgeschrieben hatte, konnte ich mit wenig Aufwand eine neue Runde mit vielfältigen Inventar, Preisen und Regeln beginnen. Denn alles war mir bereits auf einem Silbertablett zu Füßen gelegt wurden. Ich musste nur zugreifen. Andere Beispiele, bei denen eine 1:1 Umwandlung funktionieren würde, wären wohl Pillars of Eternity oder Tyranny, deren Regelwerke speziell für klassische Rollenspieler erschaffen wurden.
Aber es geht auch ohne konkrete Zahlen. In den alten Baldurs Gate Teilen kann ich mich besonders noch an die Kämpfe gegen Magier erinnern. Durch Spiegelbilder, Schilde, Duplikate oder bei der Chaosmagie, durch plötzliche Effekte – von denen Feuerwerk noch am harmlosesten war – musste ich meine Taktik stets anpassen. Ähnliches gilt auch bei Taktik-Spielen wie X-Com, in dem jedes neue Alien eine neue Vorgehensweise erforderte. Ohne hierfür die genauen Zahlen zu kennen, reicht es aus, die ansprechendsten Feinde sowie Fertigkeiten für das eigene Regelsystem zu übernehmen.
Ich bin der Meinung, wenn man das Gefühl hat, dass etwas durch die Regeln gut funktioniert, dann kann es sich lohnen, es in das eigene System übersetzen zu wollen. Das Übersetzen selbst ist nicht sonderlich kompliziert. Meistens gibt es im eigenen Regelsystem bereits Äquivalente, die übernommen werden können oder minimal abgeändert werden müssen. Ist das nicht der Fall, können mithilfe des PnP-Regelsystems auch entsprechende Effekte erstellt werden. Wobei es hier zur Balanceprüfung immer noch einen Trockentest in der Vorbereitung geben sollte, damit der Effekt nicht zu stark oder schwach wird. In solchen Situationen können dann die tollsten Geschichten entstehen. Eine Spielleitung kann also auch ohne die Abschrift eines anderen, fremden Regelsystems sich für das eigene System durch Computerspiele ergiebig inspirieren lassen.
Wie Erlebnisse nutzen?
Es passiert mir häufig, dass ich mir in einem Spiel denke, dieses Erlebnis willst du mit anderen teilen. Da die sich aber das entsprechende Computerspiel nicht holen, versuche ich es dann im Rollenspiel nachzubauen. Durch die Vorlage sind bereits die wichtigsten Eckpunkte, wie zeitliche Abfolge, Mechaniken, Positionen usw, geklärt. Nun müssen sie lediglich noch in das eigene Setting übersetzt werden. Das Einzige, was die Spielleitung dazu tun muss, ist sich selbst zu fragen, warum gerade die Szene sie berührt hat und ob sie auch eine ähnliche Wirkung auf ihre Spieler haben könnte.
Grundsätzlich gelingen geschichtliche Wendungen oder sich aufbauende Spannung dabei deutlich besser im Rollenspiel, als Erlebnisse, die über Geschwindigkeit oder einer direkten Konfrontation funktionieren. Das hängt damit zusammen, dass Spieler umso emotionaler auf etwas reagieren, desto mehr sie darin investiert haben. Der Tod eines IT-Familienangehörigen als eine Exposition ist ein häufiger verwendetes Mittel, aber auch ein anstrengendes. Denn der Spieler weiß IT, eigentlich sollte er emotional auf seinen verstorbenen Verwandten reagieren, aber er hat OT keine Verbindung zu dem NSC. Etwas anderes ist es, wenn der NSC aufgetreten und aktiv geworden ist, wenn die Spieler schon Herausforderungen mit ihm bestanden haben, er häufiger in Abenteuern vorgekommen ist oder er einen der Spieler vielleicht sogar schon gerettet hat. Bei einen solchen Tod kann tatsächlich auch OT Trauer empfunden werden. Allerdings ist im Rollenspiel stets das Gefühl des Ungezwungenen zentral. Wenn den Spielern bewusst ist, dass sie keine Möglichkeit hatten, auf sein Ableben Einfluss zu nehmen, dann sorgt das vor allem für Frust. Wenn er als Konsequenz einer Spielerentscheidung gestorben ist, dann entsteht stattdessen Dramatik.
Vielleicht hilft es bei der Analyse nach der Wirkung eines Computerspielerlebnisses, wenn man es auf seine Bestandteile zerlegt. Welche Musik wurde gespielt? Welche Farben und Formen waren zu sehen und lassen sie sich mit einer ähnlichen Wirkung beschreiben? Wie war die Szene in den Verlauf des Spiels eingebettet? Funktioniert sie vielleicht auch unabhängig davon? Was genau geschieht und wer nimmt daran teil? Was ist meine Rolle als Spieler? Wie bindet mich das Spiel in die Szene ein?
Die Antworten auf alle diese Fragen wurden ganz bewusst von den Entwicklern bestimmt. Ich behaupte, dass hinter jeden Raum in einem Computerspiel, der nicht zufällig generiert ist, eine bestimmte Idee vorliegt. Level in Spielen sind keine Ansammlung lose verketteter Gänge. Die Spiele, die für das PnP wichtig sind, wurden komponiert und ihre Komposition lässt sich verstehen sowie extrahieren. Das geschieht unabhängig von den Inhalten des Spiels. Wenn die Welt nicht gerade nach komplett anderen Regeln funktioniert, in die die Erlebnisse eingebettet sind, dann lassen sich dafür immer Äquivalente finden.
Ich kann zumindest aus meiner Erfahrung sagen, dass Computerspiele immer schon zu meinen Inspirationsquellen gehört haben. Wie oben beschrieben, habe ich sie analysiert, genutzt und übersetzt, um tolle Erlebnisse mit meiner Gruppe zu teilen. Ja, es kostet etwas Mühe und Zeit, aber für die besonderen Momente, die daraus entstehen können, lohnt es sich. Wenn ihr das bestätigen könnt oder dem gerne widersprechen möchtest, dann freue ich mich wie immer über einen Kommentar.