Larp in anderen Ländern – Interview mit einer Europäerin

Ich hatte das große Glück, auf der diesjährigen RPC eine europäische Larperin kennenlernen zu dürfen, die in verschiedenen Ländern ihr Hobby betrieben hat. In dem aktuellen Beitrag will ich daher mit ihr darüber sprechen, wie sich Larp in anderen Ländern gestaltet, wo Unterschiede zum deutschen Larp liegen und was man vielleicht auch vom Ausland lernen kann. Ich habe dazu mit ihr ein 30-minütiges Interview geführt, welches ich nun transkribiert habe.

 

Holger: „Hallo Alex. Danke, dass du dir für das Interview heute Zeit nehmen konntest. Ich würde dich bitten, dich kurz vorzustellen – also zu sagen, wer du bist, wie lange du schon larpst und welchen Ländern du bereits gespielt hast.“

Alex: „Gerne. Wo fange ich an? Ich bin fast 22 Jahre alt, wurde in Bulgarien geboren und habe eine ganze Reihe von Umzügen hinter mir. Erst seit 2015 bin ich nach Deutschland gekommen. Aber mit larpen angefangen, habe ich bereits vor 5-6 Jahren. Das war Ende 2012, Anfangs 2013 in Bulgarien. Da hatte mich eine gute Freundin einfach eingeladen und ich war neugierig. Aber ich hatte keine Ahnung, was dort passieren würde. Kaum war ich auf dem Gelände, hat man mir Gummiohren und ein Kleid in die Hand gedrückt und dann sollte ich mich schon anziehen. Ich hatte mich gewundert, weil alle um mich anfingen, sich seltsame Kostüme überzuwerfen. Währenddessen wurde mir Larp erklärt und ich dachte: sieh an, Verrückte laufen mit Gummischwertern durch einen Wald – das ist also Larp. Aber ich habe es dann ausprobiert, es hat den Leuten da Spaß gemacht und mir hat es auch gefallen. So bin ich zum Larp gekommen.
Danach habe ich viel herumexperimentiert und mich ausprobiert. Ich besuchte Veranstaltungen in Serbien, Italien, Tschechien, Schweden und Deutschland. Die Larpszene entwickelt sich dort auch ziemlich schnell, auch wenn sie noch nicht so etabliert ist, wie in Deutschland, wo ich am aktivsten spiele.“

 

Holger: „Gibt es ein einheitliches Konzept vom Larp oder ist larp von Land zu Land sehr unterschiedlich? Kannst du dazu eventuell auch einige Beispiele nennen?“

 

Alex: „Die Grundidee ist überall dieselbe. Unterscheide gibt es vor allem im Setting und dem Geschmack, wie eine Con ablaufen sollte. In Tschechien und vermutlich auch Polen sind Witcher Cons völlig normal, während sie in Deutschland wohl eher einen Sonderstatus hätten. Mythologie, Bücher und andere Inspirationsquellen sind dort andere als in Deutschland.
In den Ländern, in denen ich Veranstaltungen besucht habe, herrschte ein überwiegend großes Angebot an klassischer High-Fantasy. Aber es gibt auch experimentelles oder in Schweden Nordic Larp für Schulungen. Ich habe da zum Bespiel in der Endzeit eine Ingenieurin gespielt, die ein fiktives Unternehmen geführt hat. Das war keine Rolle, die ich mir ausgedacht habe, sondern die für die Schulung verteilt wurde. Plötzlich hatte ich ein Team unter mir und musste es koordinieren, damit wir durch den Tag kommen. Dadurch habe ich viel für die Teamführung im Berufsleben gelernt.
Allgemein lernt man viel, auch beim normalen Larp. Da geht es hauptsächlich um soziale Kompetenzen. Wann ist es angebracht einen Scherz zu machen? Wann muss ich resolut sein, um mich durchsetzen zu können? Wie kann ich Menschen einschätzen? Solche Fragen stelle ich mir beim Larp und sie zu beantworten, hat mich schon viel selbstsicherer werden lassen.
Das ist aber nichts, was jeder von Anfang kann oder was einige tatsächlich lernen wollen. Ich habe schon viele schlechte Manieren auf Cons erlebt und das ist prozentual nicht länderspezifisch. Jedes Land hat Personen mit mangelhaften Sozialverhalten. Grundsätzlich würde ich auch sagen, dass es egal ist, wo die Leute herkommen. Im Sinne der sozialen Interaktion nimmt sich da nichts. Es gibt immer die, die sich für die tollsten Bastler, Krieger und Spieler halten und aggressiv werden, wenn nicht alle nach ihrer Pfeife tanzen. Genauso wie es immer die gibt, die sich nicht trauen dagegen etwas zu sagen. Das ist ein allgemeines Problem auf Cons.
Es gibt auch noch Unterschiede in der Art und Weise, wie sich Larp gewünscht wird. In Bulgarien wird es von vielen Gruppen zum Beispiel als Extremsport angesehen. Es geht denen nur ums kämpfen. Die verstehen nicht, was Larp bereits dem Namen nach ausmacht. Es ist halt viel einfacher, auf Leute draufzuhauen, anstatt mit ihnen zu spielen.“

 

Holger: „Was macht denn Larp für dich aus? Wie definierst du denn eine ideale Con?“

 

Alex: „Larp soll es ermöglichen, in eine fantastische Welt abtauchen und den Alltagsstress vergessen zu können. Das sollte auf keinen Fall ein Wettbewerb sein, wer am besten kämpfen kann oder die beste Klamotte besitzt.
Ich habe schon viel mitgemacht, daher ist es nicht leicht, mich zu begeistern und ich kann dir sagen, Fantasy-Larp läuft überall gleich ab. Überall gibt es ein im Wald verstecktes Artefakt, mit dem man das vorher unbesiegbare Böse besiegen kann, aber in Deutschland ist das extrem. Es ist nahezu immer so – als würde es eine Formel für deutsche Cons geben. Es gibt immer die Endschlacht Samstags um 17 Uhr, immer den Angriff bei der Anreise und immer die Elfe in weißgrüner Klamotte, die ohne Waffen zwischen den Verwundeten umherrennt und die alle heilt. Wer ist das eigentlich? Oder ist das eine bekannte Figur aus der Mythologie bei euch?
Es scheint zumindest viele Stereotypen in Deutschland zu geben oder anders: Leute haben Charaktere, die alles können, nicht mehr gerne. Deswegen spezialisieren sich scheinbar viele und werden dann in eine Richtung immer extremer, was stereotyp wirken kann. In anderen Ländern ist das anders. Da ist man gerne Superman, der alles kann. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass man in Deutschland schon seit über 20 Jahren larpt und irgendwie alles bereits einmal gesehen hat. Da hat man dann keinen Bock auf die Eier legende Wollmilchsau, sondern will dann etwas ganz Spezielles sein. Die Menschen hier kommen auch aus den verschiedensten Bereichen zum Larp: PnP, Videospiele, Bücher, Serie, Magic etc. In anderen Ländern hat man da weniger Inspirationsquellen.
Ich habe bei mir festgestellt, dass ich für eine gute Con nichts Spezielles sondern eigentlich nur gutes Charakterspiel brauche. Orga, Plot oder Setting können da egal sein, solange die Leute auf der Con mit einem spielen können. Das ist es, was mich überrascht, wo sich unerwartete Möglichkeiten und tolle Geschichten ergeben.“

 

Holger: „Kannst du empfehlen ins Ausland zu fahren und dort Cons zu besuchen oder lohnt es sich, durch die Gleichheit des Larps, nicht genug?“

 

Alex: „Oh doch, das kann schon richtig cool sein. Dort kann man Konzepte bespielen, die in Deutschland nicht klappen würden. Schon allein die Regelwerke sind ganz anders. In Schweden funktioniert Magie zum Beispiel ganz anders, ohne Stäbe und Feuerbälle. Da ist das alles sehr naturbezogen und schamanistisch und besitzt eine tiefe, mythologische Einbettung. Auch können da NSCs auftauchen, die in der deutschen High-Fantasy vollkommen unbekannt sind. Oder eine Gruppe bringt mal ein selbstgebautes Drachenboot mit und nutzt das als ihre Unterkunft. Da können völlig neuartige Dinge passieren, die man nicht gewohnt ist, aber in dem Land ganz normal sind. Deswegen lohnt es sich.“

 

Holger: „Dann zuletzt: wie siehst du die Zukunft des Larps? Wird es internationaler und vernetzter werden oder bleibt es eher in den nationalen Grenzen?“

 

Alex: „Das Problem ist, dass sich viele nicht trauen, in einer unbekannten Larpgemeinschaft zu spielen, die eben nicht so spielen, wie man es gewohnt ist. Viele in Osteuropa empfinden deutsches Larp als extrem skriptiert. Es gibt einen unheimlich starken Regelfokus, den kaum jemand durchblicken kann und der sehr einschränkt – wie im Phönixsystem, in dem ich mir die Fertigkeit Schild kaufen muss, um überhaupt einen Schild tragen zu dürfen!
Außerdem sind die Geschmäcker wie gesagt verschiedene. In Osteuropa liegt der Schwerpunkt auf dem Kampf, das ist hier anders. Ich finde gut, dass es anders ist, deswegen spiele ich in Deutschland am liebsten. Deutschland ist, was die Settings und die Entwicklungsmöglichkeiten für meinen Charakter betrifft, offener und vielfältiger als die anderen Länder. Das heißt nicht, dass es damit für jeden gleich besser ist. Einige lieben eben den uneingeschränkten Kampf und das bekommen sie dann in Bulgarien oder Serbien mehr, als in Deutschland. Ich glaube auch deutsche Spieler hätten keine große Lust in Bulgarien vermöbelt zu werden, wo man es mit den Sicherheitsregeln nicht so genau nimmt. Ich denke daher, dass sich Larp weiterhin vor allem in den nationalen Grenzen abspielen wird.“

 

Holger: „Dann vielen Dank für das Gespräch.“

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